Als wir heute Morgen in seinem Rolls Royce sassen und Pietro uns zum Meyers Empire fuhr, war Damian ungewöhnlich still. Zwar hielt er die ganze Zeit über meine Hand eisern umklammert, aber er schenkte mir kein einziges Lächeln. Irgendwas beschäftigt ihn. Ich könnte mehrere Gründe aufzählen, habe aber Angst davor, dass wirklich etwas davon für seine Verschlossenheit verantwortlich ist.
Warum nur konnte ich meinen Mund nicht halten, sondern musste ihm sagen, dass ich dabei bin, mich in ihn zu verlieben? Ich hätte ihm auch gleich unter die Nase binden können: Ich liebe dich .
Obwohl ich mir geschworen habe, diese Worte niemals wieder zu benützen, sind sie mir einfach über die Lippen gerutscht. Damian verzauberte mich mit seinem Charme und seinem autoritären Auftreten, dass ich nicht anders konnte, als ihm zu sagen, was er mir bedeutet. Aber umgekehrt habe ich keine Ahnung.
„Bist du schon wieder bei deinem geheimnisvollen Liebhaber?“ Miras fröhliche Stimme reisst mich aus meinen Überlegungen. Sie lächelt mich über den Tisch hinweg an, ihr Kopf ist in eine Hand gestützt.
„Ist mir das so einfach anzusehen?“
„Gerne würde ich erfahren, wer für deine schwunghafte Laune zuständig ist. Aber ich kenne dich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass du es für dich behältst.“ Theatralisch seufzt sie. „Muss ja ein ganz geheimnisvoller Womanizer sein.“
„Ja.“ klage ich. „Vielleicht ist aber genau das mein Problem.“
„Geniess die Zeit. Du bist jung und hast dein ganzes Leben noch vor dir. Wenn er nicht begreift, was er an dir hat, ist er eben nicht der Richtige für dich.“
„Es klingt so einfach aus deinem Mund. Du hast schliesslich schon deinen Prinzen gefunden und er vergöttert dich.“
„Und ich vergöttere ihn.“ Mira erhebt sich aus ihrem Stuhl, kommt auf meine Seite und drückt mir die Schultern. „Glaub mir, auch du wirst ihn noch finden, wenn du ihn nicht bereits hast.“
Ich lege meine Hände auf ihre. „Danke.“
„So und jetzt lass uns Pause machen. Ich habe einen Bärenhunger und Rose wartet bestimmt schon in der Lobby.“
Nach wenigen Minuten gehen wir zu dritt durch die Londoner Strassen, um uns in einem gemütlichen Bistro einen feinen Snack zu gönnen. Heute entscheide ich mich für ein Sandwich gefüllt mit Käse und dünnen Fleischscheiben, während meine Begleiterinnen eine heisse Suppe wählen. Wir setzen uns an einen kleinen runden Tisch und geniessen unsere Speisen.
„Habe ich euch schon von meinem heutigen Malheur erzählt?“ fragt uns Mira zwischen zwei Bissen.
„Was hast du dir jetzt wieder geleistet?“ möchten Rose und ich gleichzeitig wissen. Mira ist bekannt für ihre Missgeschicke.
„Ich habe mir lange überlegt, ob ich meine neuen Stiefeletten mit dem mörderischen Absatz anziehen soll. Hätte ich doch nur auf meinen Instinkt gehört, denn kaum war ich auf der Strasse, hat sich mein Schuh in einer gottverdammten Rille verfangen und ich konnte mich nur noch mit den Händen auffangen, als ich auf die Strasse platschte. Ihr glaubt gar nicht, wie peinlich es war. So viele Leute haben mir dabei zugesehen, wie ich wie ein schwerer Sack Kartoffel nach vorne fiel.“
Ich versuche mich zusammenzureissen, um nicht laut loszulachen, aber als ich mir vorstelle wie Mira vor einem Haufen von Menschen auf die Nase fliegt, ist es um mich geschehen und lasse meiner Belustigung freien Lauf und für einen Moment vergesse ich, dass Damian jetzt mit Suzanne in seinem Appartement zusammensitzt. Obwohl mich Mira böse anfunkelt, stimmt Rose in mein Gelächter ein und wir halten uns dabei die Bäuche fest.
„Wartet nur, bis euch so etwas passiert.“
„Das ist gar nicht möglich. Du sorgst schon genug für solche Patzer.“ bringe ich schmunzelnd hervor.
Meine Mitbewohnerin versucht zu schmollen, was ihr jedoch gänzlich misslingt und selbst anfängt über ihren Fehltritt zu grinsen.
Ich liebe das gemütliche Zusammensitzen und befreite Plaudern mit ihnen. Wahrscheinlich können sich Rose und Mira gar kein Bild machen, wie viel sie mir bedeuten und mir mein Leben bereichern. Ich wüsste nicht, wie ich ohne sie die Tage meistern würde. Sie sind ausser meinem Dad und Sandy der einzige stabile Halt in meinem Dasein. Allerdings würde ich auch gerne Damian zu diesen Personen zählen, aber dafür komme ich nicht genug nahe an ihn ran. Viel zu viele Geheimnisse schweben zwischen uns. Nicht nur von seiner Seite her, leider auch von meiner.
Als unsere Mittagspause vorbei ist, gehen wir wieder zurück an unseren Arbeitsplatz ins Meyer Empire, dessen gigantische Bauweise mich noch immer einschüchtert, so wie der markante Inhaber dieses Gebäudes.
Gerade als wir die Strasse überqueren möchten, drängen sich doch tatsächlich wenige Sonnenstrahlen durch den wolkenverhangenen Londonerhimmel, der schon seit Tagen kein Licht mehr hindurchliess. Ich bleibe stehen, halte meine beiden Mitarbeiterinnen zurück und bedeute ihnen zu warten. Dann schliesse ich die Augen, beuge meinen Kopf in den Nacken und lasse den warmen Glanz auf mein Gesicht scheinen.
Nur nebenbei höre ich Mira und Rose wie sie über mich witzeln, trotzdem weiss ich, dass sie mich nicht verspotten, sondern für mich freuen, wie mich die wenigen Sonnenstrahlen entzücken können. Keine Minute dauert der ganze Schein, trotzdem hat er mich mit unsichtbarer Kraft gestärkt.
Noch bevor ich wieder auf meine Umgebung schaue und ihn sehen kann, nehme ich ihn wahr. Er steht neben seinem dunklen Rolls Royce und starrt mich an. Sein intensiver Augenkontakt verursacht mir eine Gänsehaut auf dem ganzen Körper. Aber nicht, weil er bis in meine Seele zu sehen vermag, sondern weil sein Gesichtsausdruck hart und kalt wirkt. Kein bisschen verrät es über seine Gefühlsregung, trotzdem glaube ich dass er wütend und missgelaunt ist und das ich der Grund dafür bin. Meine Hände werden feucht. Ich beginne zu schwitzen, obwohl eisige Temperatur herrscht. Plötzlich wendet er sich ab, sagt irgendwas zu Pietro und verschwindet in seinem Wolkenkratzer.
„Habt ihr heute Aila schon gesehen?“ reisst mich Mira aus meiner Starre.
Rose und ich schütteln gleichzeitig den Kopf. Und so horche ich interessiert Miras Erzählung, darüber wie sie die Blondine und unseren direkten Vorgesetzten in einer nicht misszuverstehenden Umarmung beobachtete.
„Ich sage euch, als sie bemerkt hat, dass sie beobachtet wurde, fiel sie fast hin, lief knallrot an und getraute sich kein einziges Mal, mich anzusehen.“
„Die taffe Aila. Kaum zu glauben, dass sie aus ihrer Rolle fallen kann. Aber glaubt sie wirklich wir seien so naiv und würden nicht schon längst wissen, dass sie mit unserem finsteren Baker in die Kiste springt?“ kommentiert Rose Miras Beobachtung.
Als die Ampel auf Grün schaltet, überqueren wir die Strasse und gehen geradewegs auf die Glastüren zu, in denen vor wenigen Augenblicken Damian verschwunden ist. Während wir durch die Lobby auf die Aufzüge zusteuern, frage ich mich nicht zum ersten Mal, wie Rose und Mira reagieren würden, wenn sie von meiner Affäre mit unserem Chef wüssten. Würden sie mich genauso abstempeln wie Aila oder könnten sie Verständnis dafür aufbringen?
Zurück in meinem Büro befestige ich den Mantel und verstaue die Handtasche unter dem Schreibtisch, nachdem ich kurz auf mein Smartphone geschaut habe. Ich habe gehofft eine SMS von Damian erhalten zu haben, doch keine einzige Nachricht ist bei mir eingegangen. Warum hat er sich heute auf der Fahrt hierher so distanziert verhalten und warum hat er sich noch nicht bei mir gemeldet? Was ist nur geschehen? Was sehe ich nicht?
Etwas enttäuscht setze ich mich an meinen Tisch, auf dem ein paar Unterlagen liegen, die vor meiner Pause noch nicht dagewesen sind. Baker muss mir neue Akten gebracht haben. Wenigstens fehlt es mir nicht an Arbeit. Seufzend beende ich den Bildschirmschoner und öffne ein Programm, um Zahlungen einzufügen.
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