1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 „Was ist los? Warum bist du so angefressen?“, wollte Elias wissen, der, wie so oft, neben ihm herging. Scar blieb stumm. Wenn Scar überhaupt so etwas wie einen Freund hatte, dann war es wohl Elias. Sie hatten ihn vor zwei Jahren von einem Drogendealer-Ring „geerbt“, der versucht hatte, im Mocovic-Gebiet Fuß zu fassen. Victor hätte nach der Zerschlagung des Rings am liebsten alle getötet, doch Scar hatte ihm klar gemacht, dass es sich auszahlen würde, die Talentiertesten der Organisation am Leben zu lassen. Und Elias war wirklich ein begnadeter Verhandlungskünstler. Zu Scars Verwunderung hatte er sich nicht bei Victor angebiedert, wie die meisten es versucht hätten, sondern hatte sich lieber mit ihm abgegeben. Elias war angenehm. Klug, loyal, unaufdringlich. Meistens zumindest.
„Komm schon. Liegt es an der Kleinen von vorhin?“, versuchte es Elias erneut. Scar warf ihm einen prüfenden Blick zu. Natürlich.
„Du hast sie geschickt“, stellte er fest.
Elias zuckte mit den Schultern.
„Na und?“
„Ich brauche das nicht, klar? Ich brauche niemanden, der mir die Nutten organisiert.“ Scar merkte, wie versteckte Wut ich ihm hochkroch. Elias schien das nicht zu bemerken.
„Meinetwegen. Ich dachte nur, du könntest mal wieder eine Frau gebrauchen. Außerdem hättest du sie ja jederzeit wegschicken können. Was du ja nicht getan hast…“
Scar schwieg. Es war doch sinnlos, ihm zu erklären, wie es sich anfühlte, ein Monster zu sein.
„Dann war sie also nicht die Richtige für diesen Job?“, wollte Elias wissen. Der Schalk blitzte hinter seinem Lächeln hervor.
Scar holte tief Luft. Er dachte an die blonden Haare, an die festen Brüste und das feuchte, heiße Glück zwischen ihren Schenkeln. Und an den versuchten Kuss.
„Sie hatte Angst vor mir.“
„Angst? So hat sie aber nicht ausgesehen, als sie aus dem Separee gekommen ist.“
Dann lachte er laut auf.
„Sie sah eher so aus, als hätte sie ein Bus gestreift.“
Was? Scar starrte Elias verständnislos an.
„Du meine Güte! So wie die aussah, mein Lieber, schätze ich, dass sie sich jederzeit wieder von dir Angst einflößen lassen würde. Oder auch etwas anderes…“
Scar konnte es selbst nicht einordnen, aber irgendwo in seinem Inneren fiel eine kleine Last irgendwo herunter und löste sich auf.
„Victor, das ist langweilig hier“, hörte er Shorty weiter vorne nörgeln.
Victor war stehen geblieben und schien etwas in einiger Entfernung zu fixieren. Dann drehte er sich zu Shorty um – ein diabolisches Grinsen im Gesicht.
„Gib mir deinen Schlagstock.“
„Soll ich dich nicht doch noch bis nach Hause begleiten?“ Rudi atmete schwer. Der kurze Fußmarsch von Lucas Kneipe bis zu seinem Gemüseladen hatte den großen, dicken Mann deutlich angestrengt. Er schnaufte wie eine Dampfmaschine.
„Rudi, du machst jetzt, dass du ins Bett kommst, klar? Und versuch dich das nächste Mal nicht ganz so sehr aufzuregen. Das ist ungesund.“ Und langwierig, ergänzte Maya in Gedanken.
„Oh, aber diese Friesens, die bringen mich auch immer wieder zur Weißglut!“, schimpfte Rudi wie auf Kommando.
„Schhhh! Ist ja okay, Rudi. Das wissen wir alle mittlerweile ziemlich genau. Mach’s gut.“ Sie wandte sich zum Gehen.
„Soll ich dich wirklich nicht begleiten?“
Maya drehte sich kurz um.
„Sei mir nicht böse, aber ich bin schneller zu Hause, als du dich in Bewegung setzen könntest.“
Rudi murmelte gekränkt in sein Doppelkinn.
„Schon gut.“
„Gute Nacht, Rudi.“
„Gut‘ Nacht, Maya.“
Maya hörte noch seine Schlüssel scheppern, als sie nach links in ihre Straße einbog. Die Luft war für eine Frühsommernacht erstaunlich warm. Sie hatte ihren grünen Parka ausgezogen und teilweise in ihre Umhängetasche gestopft. Der Reißverschluss kratzte bei jedem Schritt an ihrer Jeans. Maya war vollständig platt. Immer noch schwirrte ihr der Kopf von den unnötigen Diskussionen. Sie griff nach hinten und löste ihren Pferdeschwanz. Schon besser. Alles was sie wollte, war in ihr Bett zu kriechen und endlose Stunden zu schlafen. Hoffentlich gab es keinen Zusammenstoß mit Rocco mehr. Das würde sie heute nicht auch noch aushalten. Aber sie hatten sich nicht mehr versöhnt, bevor Maya zu dem Treffen aufgebrochen war. Rocco hatte sich schmollend ins Café verzogen und Maya hatte ihn in Ruhe gelassen. Na ja, immerhin war er an die Arbeit gegangen. Maya sah das als Indiz dafür, dass sich seine Wut bereits ein wenig verzogen hatte. Maya fragte sich, was er wohl mit seinem Bild machen würde. Es verstecken? Es zerstören? Oder wenn alle Teufel ihn ritten, es ausstellen?
Wenige Meter von ihrem Café entfernt sah sie die Antwort. Aus ihrem nachts mit einem kleinen Spot beleuchteten Schaufenster blickten ihr fünf weiße Gesichter entgegen. Er hatte es ausgestellt. Im Fenster ihres Cafés. Schlagartig war sie hellwach.
„Rocco, du…“ ihr fiel kein Schimpfwort ein, dass auch nur annähernd ihre Wut ausgedrückt hätte. Sie rannte die letzten Meter, sperrte hastig die Tür zum Café auf und stürmte hinein.
„Rocco!“, rief sie. Das Blut stieg ihr in den Kopf.
„Rocco, du Feigling! Was hast du dir dabei gedacht?“
Mit ein paar schnellen Schritten war sie im Atelier, knipste das Licht an und sah sich um. Er war nicht da.
„Rocco!“, versuchte sie es ein letztes Mal.
„Na warte, du… wenn ich dich in die Finger kriege…“
Mit einem wütenden Schrei drehte sie sich um und lief zurück ins Café. Jetzt galt es erst einmal dieses Bild zu beseitigen. Sie würde es jetzt gleich eigenhändig zerschneiden. Maya musste auch im Schankraum das Licht einschalten, um in der Schublade nach einer Schere zu wühlen. Irgendwo hier, bei den Schraubenziehern und den Eislöffeln musste eine sein. Rocco hatte das Bild wahrscheinlich mit Nylonschnüren befestigt. So wie sie es immer mit den Werken tat, die sie im Schaufenster ausstellte. Sie würde diese Bedrohung nicht nur abschneiden. Sie würde die Schere durch die Leinwand rammen, bis nichts als Fetzen blieben.
Maya trat von hinten an das Schaufenster und griff nach dem Bild. Da bemerkte sie eine Bewegung auf der anderen Seite des Glases. Erschrocken fuhr Maya hoch. Und was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ihr Verstand setzte aus. Ganz so, als wollte er nicht verstehen, dass dieses schreckliche Grinsen vor dem Fenster zu Victor Mocovic gehörte. Maya war unfähig, sich zu bewegen.
„Es ist doch fast so, als würde man in einen Spiegel blicken, findet ihr nicht?“ Seine Augen fixierten sie während er mit samtener, amüsierter Stimme zu seinen Begleitern sprach. Aus dem Hintergrund drang Gelächter durch die immer noch offen stehende Tür an Mayas Ohr. Doch sie sah nur Victor. Er sah genauso aus, wie auf den Fotos in den Zeitungen. Genau so, wie auf dem Bild. Dunkelhaarig, drahtig, attraktiv. Das hätte wunderschöne Babys gegeben, schoss ihr in einem Anflug von Wahnsinn durch den Kopf.
„Hey du, Kleine“, sprach er sie an. Seine Stimme klang immer noch belustigt. „Komm mal hier her.“
Читать дальше