»Morgen bin ich den ganzen Tag lang mit meinem Vater unterwegs.«
»Ich bin noch länger hier, wenn Du Interesse hast, kannst Du mir ja eine Nachricht in meinem Hotel hinterlassen. Ich wohne unweit von hier im Aparthotel Blue Horizon.«
»Das Blue Horizon?«, wunderte sich Chin Lee, »Außer dem Bali Star Hotel gibt es hier im Ort wohl kaum etwas ...«
»Du verstehst es immer noch nicht. Ich habe zwar ein verhältnismäßig winziges Loch als Zimmer, aber so bekomme ich vorgeführt, wie privilegiert ich eigentlich bin ... sagt mein geliebter Vater. Aber nebenbei erwähnt, mir gefällt diese Schlichtheit, ich werde die Hotelanlage wohl kaufen«, log Ryan. In Wahrheit war das Studio ein Traum für ihn. Einfach und dennoch alles, was er benötigte, war im Zimmer vorhanden. Noch dazu hatte er einen direkten Blick auf Marias Villa.
»Meine Zimmernummer ist 214, wenn Du also Deine Schmucksammlung erweitern willst, lass es mich einfach wissen, wann ich Dich abholen soll.«
Ryan trank sein Glas aus und erhob sich. Er reichte Maria die Hand.
»Es war mir eine Ehre, Dich getroffen zu haben. Du machst einen interessanten Eindruck, ich hätte nichts dagegen, Dich besser kennenzulernen, Maria.«
Ihr war anzusehen, dass sie Ryan interessiert fand.
»Ich werde es mir überlegen und Dich wissen lassen.«
Ryan gab auch Chin Lee die Hand, blickte ihn nochmals abfällig an und ging zu Giannis. Er zahlte die Champagnerrunden und winkte dann noch die Kellnerin zu sich.
»Dein erster Tag heute?«, fragte er sie auf Griechisch.
»Ja, warum? Erkennt man das so schnell?«
»Etwas. Pass das nächste Mal etwas auf Deine schönen, langen Haare auf und lass Dich nicht von scheinbar reichen Snobs beeindrucken. Das sind auch nur Menschen, einige davon glauben nur, sie sind etwas Besseres.«
»Ach, wirklich? Ich weiß nicht, ob Du gerade der Richtige bist, um das zu beurteilen.«
Ryan schmunzelte, gab ihr einen 10-Euro-Schein Trinkgeld und verabschiedete sich von ihr und Giannis, mit dem Versprechen, schon morgen wieder zu kommen. Er blickte noch einmal zu Maria und Chin Lee, die sich nach vorne gebeugt miteinander unterhielten.
»Ernsthaft, Milliarden? Dann hat er wohl wirklich Recht und spielt in einer anderen Liga. Aber in einer für mich sehr interessanten«, konnte Ryan von Marias Lippen ablesen. Chin Lee sprach zu ihr. Sie schüttelte den Kopf und blickte für einen Moment zu Ryan.
Als sich ihre Blicke trafen, blickte Maria schnell wieder zu Chin Lee, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Ihre Körpersprache verriet ihm, dass sie zumindest neugierig geworden war.
»Nein, ich werde alleine mit ihm fahren. Ich kann schon auf mich aufpassen«, sagte Maria.
Sehr gut, dann läuft ja alles nach Plan, freute sich Ryan und verließ die Bar. Für heute hatte er genug erreicht.
Im Zimmer angekommen zog er umgehend die für ihn untypischen Klamotten aus und legte die Brille ab, an die er sich noch immer nicht wirklich gewöhnt hatte. Danach ging er mit seiner Kamera auf den Balkon und spionierte die Villa aus. Er musste einige Zeit warten, bis im Haus Lichter angingen. Im Erdgeschoss wurde es nur hell, im Obergeschoss blieben zwei Zimmer beleuchtet. Ryan holte sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und wartete, um herauszufinden, wo Marias Zimmer lag. Er musste mehrere Minuten warten, bis er Erfolg hatte. Durch das Objektiv seiner Kamera sah er deutlich, wie Maria im Bademantel in ihr Zimmer kam. Soweit Ryan sehen konnte, war das Zimmer mit weißen Möbeln eingerichtet. Zwei Kästen, ein Schreibtisch mit einem Laptop und ein Bett konnte er erkennen. Ryan sah zu, wie die junge Frau ihren Bademantel abstreifte und splitternackt vor dem Spiegel des Schreibtisches stand.
Maria hatte einen sehr anziehenden Körper, schlank aber nicht zu dünn und auch ohne Make-up eine äußerst hübsche Frau. Ryan erkannte sogar ihr Piercing, das ihren Schamhügel zierte. Er ging davon aus, dass der kleine glänzende Stein ein Edelstein war. Sie kämmte sich ihre blonden, noch nassen Haare mehrere Minuten lang glatt und war scheinbar tief in Gedanken versunken.
So ansprechend sie auch war, Ryan kannte das alles schon von den eindeutigen Fotos, die er von ihrer Festplatte kopiert hatte. Als sich Maria ins Bett legte, konnte er nur noch die Füße sehen. Das Licht erlosch und die Vorstellung war vorüber.
Nachdenklich lehnte er sich zurück und sah zu den Sternen am wolkenlosen Himmel.
Einen Tag hatte er nun frei, bevor das Lügenspiel weiterging. Er hoffte, dass Maria sich wirklich melden würde, damit seine Chancen bei ihr stiegen. Soweit er erkannt hatte, war sie neugierig geworden, ein sehr guter Anfang.
Jeden Moment würde die Sonne über dem Meer aufgehen, der Horizont war in Rosa und blau getaucht, das Dorf lag noch im Halbdunkeln. Die Aussicht vom Strand über die Felsen und das Meer zu dieser Uhrzeit glich einer kitschigen Postkarte. Es war der Strand vor der Bar »Porto Paradiso«.
Der kleine Abschnitt war an beiden Seiten von Felsen eingegrenzt. Der flache, feine Sandstrand dazwischen war ein gutbesuchtes Ziel für Touristen und auch Einheimische. Während auf der einen Seite eine steil ansteigendende Straße weiter durch den Ort führte, diente der Felsen am anderen Ende des knapp hundert Meter langen Strands als kleine Aussichtsmöglichkeit. Sowohl zum Hauptstrand am Beginn von Bali als auch den Hafen konnte man von hier aus sehen, vorausgesetzt, man war mutig genug, sich auf den teils schroffen Felsen nach vorne zu trauen.
Tákis und Ryan standen barfuß im Sand, die kleinen Wellen reichten gerade einmal bis zu den Knöcheln. Beide Männer trugen kurze Trainingshosen und ein dunkles Trägershirt. Tákis stand mehrmals pro Woche vor Sonnenaufgang auf und spazierte zum Strand. Neben seinem intensiven Sport- und Fitnesstraining nahm er sich auch die Zeit zur Meditation. Wie schon die letzten Tage war Ryan mitgekommen, alleine um das Schauspiel zu erleben, wenn der Sonnenaufgang Bali und das Meer in die unterschiedlichsten Farben tauchte.
Er kopierte Tákis Bewegungen, konzentrierte sich auf einen Punkt am Horizont und atmete mehrmals tief ein und aus. Sein Kopf war leer, er hatte alle Gedanken ausgeschaltet, hörte nur auf seine Atmung und seinen Herzschlag. Von Tákis wusste er, dass diese Stunde der inneren Ruhe, wie sein bester Freund es nannte, ihm sehr gut tat. Er hatte die Meditationskenntnisse von einer Bekannten von Despina erlernt, die ihm angeboten hatte, auf diesem Weg seine Wut und Trauer zu verarbeiten. Zu einem Teil hatte es auch geholfen, gleichzeitig war sein Wunsch nach Rache aber gewachsen.
Langsam zog Tákis ein Bein hoch, eng angewinkelt vor seinem Körper. Ohne das Gleichgewicht zu verlieren, hielt er die Position über eine Minute lang.
Am Horizont erschien die Sonne, langsam stieg die gelbe Scheibe vor ihnen aus dem Meer. Tákis stellte wieder beide Beine auf den nassen Sand und blickte Ryan ernst an.
»Nachdem Du sie nun zum ersten Mal persönlich getroffen hast, glaubst Du immer noch an unseren Plan?«, fragte er mit ernster Miene.
»Das war nur der erste Schritt, aber es hat perfekt geklappt. Wenn wir morgen auch so ein Glück haben und mein Schnellkurs in menschlicher Psychologie erfolgreich ist, bin ich bald ein Dauergast in der Villa.«
»Ich habe Nikos erklärt, was er zu tun hat. Er freut sich schon darauf, uns zu helfen.«
Ihre Ruhe wurde von einem herankommenden Wagen unterbrochen. Es war Theo, dem gemeinsam mit Giannis die Strandbar und das Restaurant ‚Porto Paradiso‘ gehörte. Als er ausstieg und die zwei Männer sah, winkte er ihnen freundlich zu.
»Morgen! Schon wieder so zeitig auf den Beinen?«, rief er ihnen zu. Kurz darauf gesellten sich Ryan und Tákis zu ihm und tranken einen frisch gepressten Fruchtsaft, während Theo die Bar eröffnete.
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