Der Security-Mann zuckte mit den Schultern und grinste breit. »Ihr hättet vorher fragen können, ob es heute eine besondere Veranstaltung gibt.«
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür zur Halle. Drei kleinere Männer schlichen sich vorbei, alle besaßen einen sehr unförmigem Körperbau, der vermutlich das Resultat jahrelanger Einnahme von Steroiden war. Ihre Haut war so intensiv solariumgebräunt, dass sich der Vergleich mit Brathähnchen aufdrängte, die sich tagtäglich bei Karls Imbiss gegenüber des Bürogebäudes drehen.
Der Türsteher gab den Weg frei. »Die Show ist vorbei. Ihr könnt jetzt rein.«
»Los!«, rief Ralf, »stürzen wir uns ins Gefecht und auf die Frauen.«
Auf den ersten Blick schien es, als wäre heute eine Tanztee-Veranstaltung. Ausschließlich weibliches Publikum war in der Halle, fast nur Seniorinnen.
Während Waldemar schon benommen war, sich am Tresen festhielt und gelangweilt trank, diskutierten Winfrieds Begleiter den Großteil des Abends über ihre Jobs und lästerten über Kollegen und Vorgesetzte – kein Thema, über das Winfried heute reden oder bei dem er zuhören wollte. Daher trat er mit dem Bierglas auf die Tanzfläche, um Abstand zu gewinnen.
Eine der älteren Damen sprach ihn an: »Schöner junger Mann, magst du es heiß und feucht?«
»Mein Bier?« Er stutzte und sprach verunsichert: »Das mag ich lieber kalt.«
»Mann bist du schüchtern, Kleiner. Wie wäre es jetzt in einem Bett? Darin hätten wir es jetzt schön warm.«
»Ich will jetzt noch nicht ins Bett. Dafür ist es noch zu früh und ich bin heute mit meinen Kumpels unterwegs. Ich bin erwachsen und du bist nicht meine Mutter. Ich verstehe wirklich nicht, was du von mir willst.«
»Na, dann wünsche ich dir noch viel Spaß mit deinen Kumpels!« Sie zog einen Schmollmund und entfernte sich.
Die Damenwelt war für Winfried schon immer ein Rätsel. Ständig redeten sie Unsinn und waren bei den Antworten, die er gab, beleidigt.
Er kehrte zurück zu seinen Kumpels, Ralf fragte: »Winfried, was wollte denn die Oma von dir?«
»Sie meinte, für mich wäre es Zeit, ins Bett zu gehen.«
»Echt? Unglaublich! Heute sind nur Bekloppte unterwegs. Auf, holen wir uns noch ein Bier.«
Zwei Stunden nach Mitternacht verkündete der DJ einen Schlager-Special. Was er nun auflegte, war Faschingsmusik und das Publikum auf der Tanzfläche begeisterte sich bei Polonese und Hühnertanz. Gelangweilt stand Winfrieds Gruppe an der Bar und bestellte ein Bier nach dem anderen, zwischendurch spendierte regelmäßig jemand aus der Runde Tequila.
Der DJ machte eine Durchsage: »Sonst mache ich das nicht, dreimal hintereinander das gleiche Lied auflegen. Aber ihr habt es euch gewünscht. Action! Was liebt der Chinese? Polonese!« Schallend lachte er ins Mikrofon.
Durch die Disco zog sich ein Menschenschlange, laut grölten alle mit. »Fiesta, Fiesta Mexikana!«
»Mensch, lasst uns heimgehen!«, schlug Ralf frustriert vor. »Mir langt's. Ende Gelände, echt. Heute läuft hier für uns nichts mehr.« Die Zustimmung der Anderen folgte sofort.
Sie begaben sich zum Ausgang. In der Tiefgarage schwankte Waldemar wie im schwerem Seegang und hangelte sich zwischen den geparkten Fahrzeugen hindurch. Bei einem weißlackierten Cabrio blieb er stehen, hielt sich an der Fahrertür fest und entleerte laut gurgelnd seinen Mageninhalt in das Innere des Wagens.
»Was ist los, Waldemar?«, fragte Winfried besorgt, »geht's dir nicht gut?«
Waldemar würgte und entleerte sich abermals in den Wagen. Er hob seinen Kopf, löste sich von der Karosserie, fand sein Gleichgewicht wieder und grinste. »Mir geht es bestens. Wisst ihr, wessen Auto das ist? Das ist das Cabrio unseres Geschäftsführers. Ex-Geschäftsführers«, sprach er lallend.
Schwankend ging Waldemar ein paar Schritte vorwärts, sie folgten ihm zu seinem Auto, einem rostigen Gefährt, das aufgrund zahlloser Unfälle schon vollkommen verbeult war.
»Meinst du, dass du in deinem Zustand noch in der Lage bist, zu fahren?«, fragte Ralf skeptisch.
»Fahren kann ich ganz sicher noch«, erhielt er zur Antwort, »und auf vier Reifen kann ich nicht umkippen. Laufen kann ich nicht mehr. Kommt, steigt ein. Ich habe eine Idee, wo wir jetzt noch richtig Spaß haben können!«
Nach kurzem Zögern nahmen alle in seinem Wagen Platz. Waldemar startete mit quietschenden Reifen, brauste die Kurven der Parkebene in die Höhe, zerschmetterte die Schranke und gab nach Verlassen des Parkhauses durchgehend Vollgas. In Schlangenlinien und mit maximalem Tempo raste er durch die Straßenschluchten der Frankfurter Skyline.
Er legte eine Vollbremsung hin, das Fahrzeug blieb vor einem Bürogebäude stehen und er verkündete freudig: »Wir sind da!«
»Moment! Was sollen wir hier?«, fragte Winfried überrascht, »das ist unser Bürogebäude!«
Waldemar stieg aus und lachte. »Ex-Bürogebäude! Ich habe doch versprochen, dass wir noch Riesenspaß haben werden.« Er lockerte einen Pflasterstein vom Gehweg und warf ihn gegen eine Scheibe, die laut zerplatzte.
»Das ist ja cool, was du für Arbeitskollegen hast!«, lachte Gernot, nahm als zweiter einen Stein und warf ihn in ein anderes Fenster, das sich ebenso in Scherben auflöste.
Ralf schloss sich nun auch an. Mit ohrenbetäubendem Scheppern zerlegten sie ein Fenster des Gebäudes nach dem anderen, bis unzählige Scheiben zerschmettert waren. »Das macht echt Spaß!«, rief Waldemar gutgelaunt, »es ist mittlerweile meine Hauptbeschäftigung!«
Sie hielten inne, als sich Blaulicht näherte, ein Polizeiauto bei ihnen hielt und zwei Polizisten ausstiegen. »Anwohner hatten Randale gemeldet. Wisst ihr etwas? Und das Wrack im absoluten Halteverbot, ist das euer Auto?«
»Nein«, antwortete Waldemar, »hier waren eben noch ein paar Halbstarke, wahrscheinlich ist es deren Auto. Die sind weggelaufen, als sie das Blaulicht gesehen haben. Gerade sind sie dort um die Hausecke gerannt.«
»Danke!«, entgegneten die Polizisten kurz und rannten in die Richtung, die Waldemar ihnen gezeigt hatte. Als sie um die Hausecke verschwunden waren, rief Waldemar seine Begleiter zur Eile: »Sofort einsteigen, machen wir uns vom Acker!« Hektisch nahmen sie Platz im Auto und er gab Vollgas, bis sie das Bankenviertel verlassen hatten.
»Du musst doch etwas machen. Irgendwas!«
In letzter Zeit gingen ihm die vorwurfsvollen Bemerkungen aus seinem Bekanntenkreis immer mehr auf die Nerven, daher durchstöberte er in einer Wochenendausgabe der Regionalzeitung die Stellenangebote und bewarb sich bei zwei Unternehmen. Mit Erfolg. Zwei Vorstellungsgespräche wurden vereinbart, geschickterweise ließen sich beide Termine auf zwei aufeinanderfolgende Tage legen.
Schon den Tag zuvor hatte Winfried sich nach Stuttgart begeben und in einem Hotelzimmer einquartiert. Als er vormittags durch das Summen seines Weckers langsam wach wurde, kamen ihm zunehmend Zweifel, ob er das Vorstellungsgespräch derart aufgeregt überstehen würde. Es ist zu früh, mein Schädel brummt, ich fühle mich gar nicht wohl. In der Minibar entdeckte er einen hochprozentigen Drink mit Namen ›Seelenerfrischer‹, leerte ihn in einem Zug und sprach sich Mut zu. Ein kräftiger Schluck am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Und den Kater. Und beruhigt die Nerven.
Als er im Bad seinen Kulturbeutel öffnete, fiel eine Dose mit kleinen bunten Pillen heraus. Seit Jahren befand sich diese schon ungeöffnet in der Tasche, ein Überbleibsel aus seiner Party-Zeit, das ihm damals ein Freund besorgt hatte. Es würde ihm gut tun - hatte dieser versprochen - und eine euphorische Stimmung hervorrufen. Die hätte er jetzt dringend nötig. Die passende Gelegenheit, die Wirkung einmal zu testen. Nachdem er eine der Pillen geschluckt hatte, bemerkte er noch keine Veränderung, jedoch machte es ihn optimistischer. Ich bin bereit für das Gefecht. Es kann losgehen.
Читать дальше