Michael Sohmen - Der Jakobsweg am Meer

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An Landschaft und Kultur ist der Camino del Norte entlang der spanischen Nordküste so vielfältig wie kaum ein anderer Weg. Die Pilgertour führt durch Naturschutzgebiete, über kilometerlange Strände und in mittelalterliche Städte.
Doch Vorsicht vor den Pilgern!
Man lernt Menschen kennen, denen man im realen Leben nie begegnen würde. Die Wanderung beginnt in Begleitung eines belgischen Ex-Soldaten, der als Türsteher eines Swingerclubs arbeitet.
Viele spanische Junkies und Chicas sind unterwegs sowie Pilger aus Frankreich, Deutschland und Dänemark. Auf den Schlussetappen gibt es Ärger mit dänischen Seniorinnen, bis die Tour mit einem Polizeieinsatz gegen die eigene Pilgergruppe endet.
Ein Bericht über ein etwas verrücktes Abenteuer.

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Michael Sohmen

Der Jakobsweg am Meer

Meine Wanderung auf dem Camino del Norte

Impressum

© 2019 Michael Sohmen

Buchcover: Michael Sohmen

E-Book Version 1

Erste Veröffentlichung April 2019

Kontakt: michael@pilgern-online.de

Internet: http://www.pilgern-online.de

Das Buch ist auch erhältlich als Printausgabe:

ISBN: 9783749449941

Baskenland

Pais Vasco

Das letzte Abenteuer der Menschheit

1. August, Irun, der Startpunkt des Camino del Norte

Viele träumen davon, einen 8000er zu besteigen, die Antarktis zu durchqueren oder gar einen neuen Kontinent zu entdecken. Den meisten bleibt es verwehrt. Aber es gibt großartige Abenteuer, die jeder Mensch erleben kann. Auf dem Jakobsweg.

Vor zwei Jahren war ich auf meinem ersten Pilgerweg, dem Camino Francés. Der bekannteste aller Caminos war ein Erlebnis, das mich nie mehr losgelassen hatte. Dramen, Bilder und Erinnerungen sind noch so präsent, als wäre alles gestern erst passiert.

Diesmal habe ich mir einen ganz besonderen Leckerbissen vorgenommen. Die spanische Nordküste direkt am Meer. Frühmorgens lande ich mit dem Fernbus in San Sebastian, wo der Weg zwar nicht beginnt, doch da ich um 5 Uhr morgens angekommen bin, setze ich auf Bewährtes. Ich begebe mich zum Strand und warte auf die Morgendämmerung.

Als sich die Sonne am Horizont erhebt, laufe ich zur Station des Euskatren. Die Fahrt nach Irun gleicht einer Reise durch die Schweizer Berge. Tunnel, Bergrücken und enge Täler mit Ortschaften, deren Gebäude sich bis an die Felswände schmiegen, manches Haus klammert sich an einen Abhang.

Dass mir noch unbekannt ist, wo sich die Herberge von Irun befindet, sehe ich positiv. So kann ich die Wartezeit mit einer Erkundigung überbrücken. Bei der Suche erreiche ich ein kleines Haus mit der Aufschrift Frontière. Der Grenzübergang. Auf der anderen Seite befindet sich Frankreich, Hendaya nennt sich die Stadt jenseits. Bei einer Rundtour entdecke ich keine erwähnenswerten Sehenswürdigkeiten, decke mich in einer Boulangerie mit Croissants ein und kehre nach Spanien zurück. Grenzbeamte sind nirgends zu sehen. Hier zeigt die Europäische Union ihre wunderbare Seite. Bei der Überquerung der Brücke über den Fluss würde mir nicht einmal auffallen, dass ich von einer Stadt in die nächste wechsle.

Als ich zur Mittagszeit die Herberge endlich gefunden habe, begegne ich am Eingang dem Verwalter, der mir sagt, dass die Unterkunft erst am späten Nachmittag geöffnet wird.

Die Zeit bis dahin vertreibe ich mir mit einem Stadtrundgang. Als mir immer noch viel Zeit bleibt, begebe ich mich in einen Naturpark unterhalb der Stadt. Dort befindet sich ein Vogelschutzgebiet mit einem Rundgang, der durch eine Auenlandschaft führt. Es gibt Beobachtungsstationen, aus denen man heimlich Möwen, Enten, Schwäne und mir unbekannte Vogelarten beobachten kann.

Eine halbe Stunde vor der Öffnungszeit kehre ich zur Herberge zurück, dort hat sich mittlerweile eine Schar an Pilgern versammelt. Als sich die Tür öffnet, geht es zu wie beim ersten Sommerschlussverkauf nach der Öffnung der DDR-Grenze. Zu viele Leute, zu wenig Angebote. Ich bin froh, dass ich mir einen Platz vorne in der Schlange erkämpfen kann und nicht bei der Verteilung der Schlafplätze leer ausgehe.

Wiedersehen

2. August, Irun → San Sebastian

Nachdem ich Irun hinter mir gelassen habe, führt ein steiler Aufstieg auf ein Plateau, welches mit dem Santuario de Guadalupe gekrönt ist. Die Kirche aus dem sechzehnten Jahrhundert ist in der großen Ära der Seefahrt erbaut worden, rundum kann man das Meer sehen. Die Aussicht könnte idyllisch sein, wenn der Nebel nicht so dicht wäre und kein Nieselregen fallen würde.

Die Trübsal löst sich auf, als ich ein bewaldetes Gelände hinter mir gelassen habe und mir der Blick hinunter eine grandiose Aussicht auf einen Hafen bietet. Mächtige Lastschiffe und Ruderboote machen sich bei der Fahrt durch einen engen Kanal gegenseitig den Platz streitig.

Unterhalb von mir befindet sich eine Burgruine. Nachdem ich viele Stufen an ihr vorbei bis zum Hafen hinabgestiegen bin, zieht mich die malerische Altstadt von Pasai Donibane in ihren Bann. Deren Häuser sind so eng zusammengerückt, dass sogar die Straße darunter verschwindet. Ich wandere durch Tunnel an grün-roten Flaggen und Plakaten vorbei, die für ein autonomes Baskenland werben und erreiche eine Anlegestelle. Am Ufer ist eine Pilgerfigur aus Metall aufgestellt, die ein Ruder in der Hand hält. Ich hatte gelesen, dass man sich komfortabel mit dem Boot zur anderen Seite bringen lassen könnte. Wenn ich das täte, wäre ich ein Touregrino. So bezeichnet man Pilger, die sich per Taxi von Ort zu Ort kutschieren lassen. Andere sollen das ruhig tun, doch mein Weg ist das nicht. Meine Füße können mich noch weit tragen, zudem habe ich es nicht eilig. Ich will jeden Meter des Camino del Norte in vollen Zügen genießen. Nicht in einer überfüllten Bahn, sondern zu Fuß.

Als ich die Anlegestelle und die malerische Stadt hinter mir gelassen habe, folgt totale Ödnis. Die Neubausiedlungen sind wenig abwechslungsreich und als ich den industriell genutzten Teil des Hafens erreiche, sehe ich nur noch Schrott. Unmengen von Schrott. Aus dem, was über die See angeliefert wurde, hatte man ein gigantisches Gebirge aus Altmetall errichtet. Mit einem Güterzug wird es weitertransportiert, an dem komme ich am Ende des Geländes vorbei. Während ich auf dem Seitenstreifen der Autobahn vorangehe, führe ich ein stummes Selbstgespräch.

Ich hätte mir die fünf Kilometer der totalen Monotonie mit einer kurzen Bootsfahrt ersparen können. Doch auf der allerersten Etappe des Caminos so einen Kompromiss einzugehen, schien mir absurd. Wäre mir jedoch klar gewesen, was ich mir durch diesen Umweg eingebrockt habe, wäre eine Überfahrt die bessere Entscheidung gewesen.

Während die Temperaturen ansteigen, gestaltet es sich schwierig, einen geeigneten Weg vom Hafen durch Vorstadtsiedlungen bis zum heutigen Ziel zu finden. Als ich den Sandstrand endlich vor mir sehe, fällt eine Last von mir. Ich bin angekommen. Es ist San Sebastian mit seiner schier endlosen Strandpromenade. Leider darf ich es mir nicht erlauben, eine längere Pause einzulegen und die Sonne zu genießen. Die Erinnerung an den gestrigen Pilgeransturm treibt mich vorwärts. Mein Umweg hat mich viel Zeit gekostet und vermutlich bin ich schon zu spät. Wenn ich mich beeile, kann ich in der Unterkunft vielleicht noch den letzten Platz erwischen.

Nach meinen Informationen gibt es für Pilger nur die Jugendherberge, diese befindet sich erst ganz am Ende von San Sebastian. Nach unzähligen Schritten die Promenade entlang und nach einem Tunnel weist der gelbe Pfeil nach links, bergauf. Nach wenigen Metern entdecke ich schon den gesuchten Hinweis an einem Gebäude. Die Herberge. Ich bin angekommen. Doch ich hätte mir Zeit lassen können, denn die Herberge ist noch nicht geöffnet und bis auf eine kleine Schülergruppe wartet niemand.

Nachdem ich mich eingerichtet habe, nehme ich Kontakt zu Javi auf. Den spanischen Pilger habe ich auf dem Camino Francés kennengelernt. Er wohnt in San Sebastian, nicht weit von der Herberge und er verspricht, in wenigen Minuten mit dem Auto hier zu sein. Ich warte am Eingang, als plötzlich eine Kolonne von Polizeiautos vorbeifährt. Die Straße wird abgesperrt. Eine Stunde lang passiert nichts, danach rauschen Radfahrer vorbei. Es folgen unzählige. Mal fährt ein einzelner den Berg hinab, mal eine größere Gruppe. Während die Leute am Rand applaudieren, denke ich an Javi. Irgendwo steht er mit seinem Auto an den Absperrungen und kommt nicht durch. Nach zwei Stunden ist der Spuk fast vorbei, lustig dekorierte Kettcars und Dreiräder fahren vorbei und nach einem kurzen Seifenkistenrennen wird die Absperrung aufgehoben. Die Clásica San Sebastián ist beendet.

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