das brave Schwesterchen in ihre Mitte und flogen
damit vor den Augen der Mutter immer höher und
höher, bis sie am Himmel verschwanden. Die Mutter
saß auf der Bank vor dem Hause, blickte nach und
weinte vor Freude Tränen und dachte: »Du gehst voraus,
ich hoffe dich aber einstens wieder zu finden, liebes
Kind!«
G a n z T i r o l .
Fußnoten
1 Schmecken im Dialekt riechen.
2. Zistel im Körbel1.
Es war einmal ein armes, armes Mädchen, dem waren
seine Eltern gestorben und sie hatten ihm nichts hinterlassen
als die Lumpen, die es am Leibe trug. Das
Mädchen mußte aus der väterlichen Hütte fort – denn
die wurde verkauft, um die alten Gläubiger zu befriedigen
– und wußte nicht, wo aus und wo an. Weinend
ging es fort und in den dunkeln Wald hinein, in dem
es früher so oft Himbeeren und Schwämme gepflückt
hatte, und dachte, wenn die Menschen mich verlassen,
so werden die Hasen und Rehe mir ein Winkelchen
bei ihnen gönnen. Wie das arme Kind so weiter
und weiter ging und immer tiefer und tiefer in den
dunkeln Wald hineinkam, fing es an Abend zu werden
und die alten Föhren und Tannen warfen gar unheimliche
Schatten. Das Mädchen überkam eine unnennbare
Furcht und es fing an so heftig zu weinen,
daß die Tropfen auf das Heidrich und das weiche
Moos niedertröpfelten, als ob Tau fiele. Wie das
arme schmutzige Mädchen nun so weinte, daß die
kalten Felsen damit hätten Erbarmen haben mögen,
stund plötzlich ein Jäger vor ihm und sprach: »Was
weinst du, mein Kind?« Das Mädchen schlug die
blauen Augen auf und ließ sie wieder sinken und
sprach schluchzend: »Weil ich nichts habe und es
mich so hungert und es hier so unheimlich ist!« – Bei
diesen Worten zitterte das arme verlassene Kind und
weinte noch bitterlicher als zuvor. –
»Sei still!« fiel tröstend der Jäger ein. »Wenn nur
das fehlt, so kann leicht geholfen werden. Geh mit
mir und du sollst Wunderdinge sehen und es soll dich
nicht gereuen.« – Das Mädchen war damit zufrieden
und folgte seinem Führer. Dieser ging, ohne ein Wort
zu sprechen, immer weiter und weiter in den dunkeln
Wald hinein, bis er vor einer riesigen, bemoosten
Eiche stehen blieb. »Liebes Kind«, unterbrach der geheimnißvolle
Jäger die Stille, »wir sind am Platze;
nun sei getrost und weine nicht mehr!« Das Mädchen
wischte sich mit der Schürze noch zwei große Tränen
aus den Augen und stund dann stille und war neugierig,
was da kommen sollte. – »Graue Eiche, öffne
dich! sprach der Jäger im gebieterischen Tone. Und
sieh! – wie auf einen Zauberschlag tat sich der breite
Stamm auf und innen glitzerte, glänzte und schimmerte
es, daß einem hätte das Sehen vergehen
mögen.« Da waren silberne Kleider und goldene
Münzen und prächtige Edelsteine und alles funkelte
und leuchtete in die Wette. Das arme überraschte
Mädchen wußte nicht, wie ihm geschah. Es hielt
beide Hände unter die Schürze und hielt vor Staunen
den Mund und beide Augen weit offen und schaute
und schaute und konnte sich nicht satt sehen.
»Dies alles ist dein und du kannst von diesen Dingen
nehmen, soviel du willst,« sprach der Jäger,
»wenn du es vor den Menschen da draußen geheim
haltest und meinen Namen merkest.«
Das freudig erstaunte Kind stammelte ein frohes
»O ja« und meinte, den Namen werde es sich schon
merken, wenn es ihn nur erst wüßte.
Der Jäger fuhr weiter: »Ich heiß Z i s t e l i m
K ö r b e l . « – »Zistel im Körbel«, flüsterte das Mädchen
vor sich hin, um den sonderbaren Namen seinem
Gedächtnisse recht sicher einzuprägen. –
»In sieben Jahren werde ich wieder kommen, bis
dahin kannst du dir vom Baume holen, was du willst.
Komme ich aber dann wieder und kannst du nicht
meinen Namen nennen, so wirst du höchst unglücklich
werden. Gebrauche die Schätze klug, denn davon
hängt dein Glück ab.« –
Das Mädchen wollte dem grünen Jäger danken,
aber er war schon verschwunden und die Eiche hatte
sich geschlossen und stand ernst und ruhig vor ihm,
nur in den Zweigen spielte hin und wieder ein Lüftchen.
Das Mädchen wußte nicht recht, ob das Geschehene
Wirklichkeit oder ein Traum sei, und sprach versuchsweise:
»Graue Eiche, öffne dich!« Und sieh, der
Baum öffnete sich und zeigte wieder alle seine Herrlichkeit
wie früher. Mit zitternden Händchen griff die
arme Waise hinein und nahm einen blanken Zwanzi-
ger und der dicke Stamm schloß sich wieder wie ehevor
und die Eiche stand so ernst und ruhig da, als ob
nichts geschehen wäre. Es fing schon an zu dunkeln,
da dachte sich das Mädchen: »Hier im Walde kann
ich doch nicht übernachten, denn es könnte der Bär
oder der Wolf kommen und mich fressen.« Es sah
noch einmal den Baum an und schaute sich genau das
Plätzchen ab, auf dem er stund, und ging der Seite zu,
auf welcher der Wald sich zu lichten schien. Kaum
war es einige Schritte gegangen, so kam es auf eine
schöne, breite Straße und auf dieser ging es weiter
und weiter und wiederholte immer bei sich halblaut
»Zistel im Körbel«, bis es plötzlich vor einem großen,
schönen Schlosse stand, in dem es gar lustig herzugehen
schien. Das Mädchen faßte sich ein Herz und
ging in den Hof hinein und über die Stiege hinauf bis
zur Küche. Dort war des Grafen Köchin gerade mit
Bereitung des Abendessens beschäftigt und der Braten
bratzelte, daß es eine Lust war. Das Mädchen näherte
sich schüchtern dem Herde und bat die Köchin
um eine Nachtherberge oder um einen Dienst. Die
Köchin sah aber das Mädchen vom Kopfe bis zu den
Zehen an und fing an zu schmälen und zu schimpfen:
»Pack dich fort aus der Küche! Wir können hier kein
so schmutziges, garstiges Bettelkind brauchen.«
Das arme Kind schrak zusammen und fing an zu
weinen und hörte nicht auf zu bitten und zu weinen.
Endlich wurde das harte Herz der Wirtschäfterin erweicht
und sie sprach barsch zum Mädchen: »Nun,
wenn du es anders nicht tust, so kannst halt die Hennen
und Hühnlein hüten. Du mußt aber früh aufstehen
und darfst erst spät dich niederlegen und schlafen
mußt du auch im Hühnerhäuschen. Hab aber acht! –
Denn geht ein Hühnlein verloren, so wirst du aus dem
Hause gejagt.« –
Das Mägdlein war darüber froh und ging auf die
Wiese hinunter in das Hühnerhaus und trieb die
Hähne, die Hennen und die Hühnchen ein und schlief
dort auf dem Stroh. Frühmorgens trieb es dann seine
Herde aus und flüsterte »Zistel im Körbel« und hütete
den Tag durch und abends trieb es die Hähne, die
Hennen und die Hühnchen wieder ein und schlief in
ihrer Mitte auf dem Stroh. So ging es eine Woche und
das Mädchen fühlte sich wohl und dachte oft an die
graue Eiche und das Zistel im Körbel. –
Da kam nun der Sonntag und die Glocken klangen
von allen Seiten und die Leute gingen in ihrem Sonntagsputze
in die Kirche. Dem Mädchen wurde aber
weh ums Herz, als es die schönen Kleider der Kirchgänger
sah und es allein so schmutzig im grauen Kittelchen
dastund. Da kam ihm die graue Eiche in den
Sinn und es ging in den Wald hinaus, bis es zum
Wunderbaume kam, und sprach mit zitternder Stimme:
»Graue Eiche, öffne dich!« – Die graue Eiche öff-
nete sich und in ihr waren die schönsten Kleider, so
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