1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Meine Eltern gaben mir immer 20 Mark für ihn mit. Erst später wurde mir klar, warum er sich direkt nach jeder Stunde mit den Worten: „Ich muss noch schnell etwas besorgen!“ verabschiedete und zum Lebensmittelmarkt gegenüber lief. Bei allem, was uns musikalisch verband, hatte er aber auch die Vorbehalte des klassischen Musikers vor der Pop-Welt. Als ich ihn fragte, ob er den damals angesagten Song „Dschingis Khan“ der gleichnamigen Gruppe kennen würde, gab er zu, diesen schon einmal gehört zu haben. Morgens beim Zähneputzen. Ich verstand den Wink und verschonte ihn mit meiner Pianoversion des Liedes.
Irgendwann luden meine Eltern Michael zum Kaffee zu uns nach Hause ein. Nach einer Weile Smalltalk musste ich das Wohnzimmer verlassen, denn sie wollten seine ehrliche Meinung dazu, ob ich talentiert genug sei, um Musiker zu werden. Nett, wie er war, und da ich ja überdies zu seiner Ernährung beitrug, sagte er Ja. Er meinte, dass ich meine Komposition „Lampenfieber“ durchaus als Aufnahme für ein Kompositionsstudium vorlegen könne. Damit waren meine Eltern beruhigt und sahen in mir den zukünftigen Oberstudienrat mit den Fächern Musik und Erdkunde. Deshalb konnten sie herzlich über unser „Fachchinesisch“ lachen. Ihr Favorit war der „verkürzte Doppeldominant-Septakkord mit tief alterierter Quinte“. Grämen Sie sich nicht, wenn Sie nur Spanisch verstehen: Die wenigsten Musiker wissen, was damit gemeint ist! Wenn Sie mich treffen und es ist ein Klavier in der Nähe, zeige ich Ihnen gerne, welch einfachen Akkord man in der Klassik meint, mit diesem Wortmonstrum beschreiben zu müssen. Ich musste, jung wie ich war, nicht nur durch die Pubertät, sondern auch da durch.
Das Klavier stand im Zimmer meiner Schwester...

1979: „Lampenfieber“ – Mein Coming-out als Komponist.
Vor einigen Jahren war ich auf einer Hochzeit in Neumünster engagiert. Unter den Gästen befand sich ein ca. 13-jähriges Mädchen, das mich mit großen Augen anschaute. Ich empfand das aufgrund Ihres Alters als unangenehm. Ich lächelte einmal zurück und dachte gleichzeitig, dass man so etwas nicht tut. Dabei war ich einem Missverständnis aufgesessen, das sich schnell aufklären sollte: In einer Pause lief sie mir mit ein paar Noten unter dem Arm über den Weg und fragte, ob sie auf meinem „Flügel“ etwas spielen dürfe. Natürlich willigte ich ein und wartete erleichtert und gespannt auf das, was kommen würde. In diesem Alter freiwillig und scheinbar ohne jedes Lampenfieber vor etwa 100 Erwachsenen etwas vortragen zu wollen, ist schon etwas Besonderes! Und sie spielte nicht nur, sie sang auch noch dazu! Es war musikalisch nicht perfekt, aber in dem Lied schwang eine große Menge ihrer Persönlichkeit mit. Das veranlasste mich dazu, am Ende der Feier ihren Vater aufzusuchen. Ich fragte ihn, ob er schon wüsste, dass seine Tochter Musikerin werden würde. Ja, das war ihm bekannt.
Ich füge diese kleine Anekdote hier an, weil ich mir sicher bin, dass alle Erwachsenen mit Gespür genau dasselbe auch bei mir bereits in so jungen Jahren hätten feststellen können. Meiner Musiklehrerin war mein über das „Klavierschülermusizieren“ Hinausgehende nicht verborgen geblieben. So bekam ich zum Beispiel, wenn wir im Schulchor Händels „Te Deum“ oder seinen „Messias“ einstudierten, statt der Tenorstimme wie selbstverständlich immer einen Klavierauszug. Damit ich auch die anderen Stimmen und die Begleitung mitverfolgen konnte, um so die ganze Komposition zu begreifen. Wenn wir Dienstagmorgen in der ersten Stunde Volkslieder wie „Schwesterlein, Schwesterlein, wann gehen wir nach Haus?“ sangen, durfte ich auch schon mal an den Flügel, um das Lied ohne Noten zu begleiten. Nichts anderes mache ich heute als Piano Man: Lieder auf dem Klavier nach den Harmonien frei begleiten! Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es heute mit 35 Jahren Übung etwas flüssiger geht.
Meine eigenen Kompositionen wurden immer länger, und 1979 gab ich einem aufgeregt überhasteten Stück den Titel „Lampenfieber“. Dieses „Opus Magnum“ gestattete mir meine Musiklehrerin zur feierlichen Abiturientenentlassung am 3. Juli 1979 vor ca. 500 Eltern und Schülern am großen Steinway-Flügel in der Schulaula vorzutragen. Klavier zu spielen und zu komponieren war für mich das Normalste auf der Welt. Insofern fühlte ich mich nicht als etwas Besonderes. Mein Lampenfieber beim Vortrag von „Lampenfieber“ hielt sich zum Glück in erträglichen Grenzen. Das ziemlich schnelle Stück spielte ich nicht perfekt, aber den Umständen entsprechend recht ordentlich. Als nach dem Schlussakkord vor allem die älteren Schüler wie wild anfingen zu klatschen, weil das Stück wirklich ein bisschen „abging“, war ich dann doch etwas stolz. Auch einzelne Lehrer klopften mir in den nächsten Tagen noch auf die Schulter, was meine Leistungen im Unterricht eher selten auslösten.
Sollte der ein oder andere Klavierspieler unter meinen Lesern neugierig geworden sein, so findet er auf meiner Homepage nicht nur eine Aufnahme meines ersten „Pop-Instrumentals“, sondern auch die Noten zum Nachspielen! In denen hat der junge, aufstrebende Komponist es sich in aller Bescheidenheit nicht nehmen lassen, auch seinen „Urtextfingersatz“ der Nachwelt zu empfehlen.
1979: Klaus spielt abends so schön auf dem Schifferklavier.
Konsequenz in der Kindererziehung ist anstrengend, aber wichtig. Im Falle des schon vor dem Klavier avisierten Akkordeons war sie aber vonseiten meiner Eltern nicht uneigennützig. Denn wir verbrachten unsere Sommerwochenenden und -ferien ausnahmslos, man könnte auch sagen zwanghaft, auf dem eigenen Segelboot. Damit war auch gleich die Frage nach dem zu erlernenden Repertoire für mein Zweitinstrument geklärt: Seemannslieder! Was kann nach einem Segeltag in der dänischen Südsee oder den schwedischen Schären romantischer sein, als der Klang eines Schifferklaviers, der an einem lauen Sommerabend durch den Hafen schwebt und sich mit dem Schrei der Möwen im Abendwind vermischt? Da recken sich auf den umliegenden Booten alle Hälse in die Höhe und man will wissen, welche Crew mit dem Glück gesegnet ist, einen Musiker an Bord zu haben!
Traurig, aber wahr: Diese Idylle beschreibt die wenigen Momente in meinem Leben, in denen meine Eltern stolz auf mich waren. Und das vermutlich nur, weil dabei auch ein wenig Glanz auf sie abfiel. Ich war ein normales Kind, das ungefragte Beschallen fremder Erwachsener war mir immer peinlich.
Einmal fragte meine Mutter, ob mir selber eigentlich auch klar sei, dass ich nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte wäre. Aber man könne ja zum Glück noch was retten. Mit der Musik hätte ich nämlich die Chance, bei meinen Mitmenschen zu punkten! Wie immer widersprach ich meinen Eltern nicht. Auch wenn ich anderer Meinung war. Ich hatte mich selber noch nicht abgeschrieben und hielt es für möglich, dass in mir auch noch andere Gaben und Talente schlummerten.
Schließlich war ich erst dreizehn. Auch sah ich keinen Sinn darin, andere zu beeindrucken. Omas Goldjunge war mit sich selbst zufrieden.
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