Dort träumte er in todtenähnlicher Erstarrung dem
Frühlinge entgegen. Wenn aber wiederum seine Zeit
kam, so erwachte der Sommergott und brach mit den
himmlischen Kriegern auf, um neuerdings wider die
Winterriesen zu kämpfen, die inzwischen Not und
Jammer über die Welt gebracht hatten. Ein furchtbarer
Kampf entstand, die Dämonen wurden besiegt –
eine stürmische Wetternacht und der Frühling, die
schöne goldene Zeit, war wieder eingekehrt im Lande.
Diese Mythe hat sich nun nach zwei Seiten hin
weiter entwickelt. Was man von den Vorgängen im
Sonnenjahre erzählte, übertrug man später, als der ursprüngliche
Sinn der Mythe sich verwischte, auf das
Weltenjahr. Man verlegte den furchtbaren Kampf mit
den Dämonen an das Ende der Tage und knüpfte
daran den Untergang der Welt. Die goldene Zeit,
sagte man dann, sei durch die Schuld der Götter und
den Tod des Lichtgottes (Baldur) für immer verloren
gegangen. Das Verderbniß in der Welt nehme immer
zu, bis endlich die furchtbarste Verwilderung einbricht.
Drei Jahre hindurch werden ungerechte, widernatürliche
Kriege, Mord und Ehebruch die Welt erfüllen.
Dann folgt ein furchtbarer Winter, der wiederum
drei Jahre dauert. Hierauf geht der lange gefürchtete
Kampf zwischen den Dämonen und Göttern los, in
welchem die meisten Götter getödtet werden. Götter
und Dämonen erschlagen sich wechselseitig; bis endlich
die ganze Welt im Weltbrande untergeht. Aber
nachdem das Schreckliche vollendet ist, taucht die
Erde zum andernmale aus dem Wasser und fängt an
schöner und herrlicher zu grünen, der Lichtgott (Baldur)
kommt aus der Unterwelt zurück und die goldenen
Zeiten kehren wieder.
Wie hier auf das Weltenjahr so wurde anderseits
der Mythus vom schlafenden Sommergotte auf die
Erde übertragen. Der Sommergott gieng in die Gestalten
der Lieblingshelden seines Voltes über. Das geschah
insbesondere nach Einführung des Christenthums,
wo man die Götter nicht mehr als solche erkannte,
sondern in ihnen höchstens Könige und Helden
erblickte, die vor grauer Zeit gelebt hätten. So
entstanden in Böhmen die Sagen von König Wenzel
und den Rittern im Berge Blanik. König Wenzel ist
der Gott Swantowit, die Ritter die himmlischen Krieger,
an deren Spitze der Gott einst der Erde die schöne
goldene Zeit des Frühlings erkämpfen wird. Nur
wird jetzt unter der schönen goldenen Zeit die Größe
und Herrlichkeit des Böhmerlandes verstanden. So
hat die Sage politische Färbung gewonnen; auch
mischt sie sich vielfach mit den Mythen vom Weltuntergange.
Daß die Sage vom Berge Blanik, trotz ihrer Aehnlichkeit
mit den deutschen Sagen vom Kyffhäuser,
slavischen Ursprungs sei, erhellt aus den verwandten
serbischen und bulgarischen Sagen von König Marko,
der vielfach an Swantowits Stelle getreten ist.
In der Bulgarei glaubt man, der König Marko sei
nicht gestorben, sondern lebe noch. Einmal sei er als
Handelsmann auf einem Schiffe übers Meer gefahren;
ein plötzlicher Sturm aber habe ihn genötigt auf einer
wüsten Insel zu landen. Dort habe er wunderschöne
Paläste gefunden und in diesen Palästen wohne er gegenwärtig.
Bald aber wird die Zeit kommen, wo er
wieder auf Erden herumgehen wird.
Nach einer anderen Sage soll sich König Marko irgendwo
verborgen halten, seitdem die Flinten erfunden
worden. Er habe es nicht glauben wollen, daß
eine Flinte eine solche Wirkung hervorbringen könne
und habe deshalb einen Versuch gemacht. Dabei sei
ihm die Hand durchbohrt worden. Da habe Marko
ausgerufen: Jetzt ist es Zeit, daß ich gehe. Wenn das
kleinste Kind einen Helden tödten kann, so mag ich
nicht länger mehr auf der Erde leben.
Westlich von Vardar in der Nähe des eisernen
Thors erhebt sich ein Berg, dort soll der König Marko
verborgen sein. Wenn die Reisenden dort vorübergehen,
rufen sie: Marko, lebst du? Und wenn das Echo
die Worte wiederholt, so sagen sie, Marko habe geantwortet.
Nach serbischem Volksglauben soll der Königssohn
Marko im Berge Urvina mit seinem Pferde Scharatz
schlafen. Sein Schwert wächst langsam aus dem
Berge. Wenn es völlig herausgekommen sein wird, so
wird Marko erwachen und sein Volk befreien. Bis
jetzt ragt es aber erst bis zur Hälfte aus dem Berge
(mündlich). Nach anderen Sagen hat er sich nach Erfindung
des Schießpulvers in die Alpen zurückgezogen,
wo er noch immer als Eremit in einer Höhle
lebt.1
Merkwürdig in mehr als einer Beziehung sind die
Sagen von dem huculischen Räuberhauptmann
Dobocz in den Karpathen. Es war dies ein ungeheuer
starker Mann, der Thüren aus den Angeln hob,
Schlösser abdrehte und sich oft, von einer ganzen
Compagnie Soldaten umringt, glücklich durchschlug.
Er trug ein Drahthemd, das ihn unverwundbar mach-
te. Wegen seiner wunderbaren Heldenthaten wurde er
von den Huculen für einen Gott gehalten. Im Gebirge
des Streyer Kreises unweit dem Dorfe Polansko liegt
in einem Walde ein Felsen, der die Form eines großen
Hauses hat. In diesen Felsen sind mit vieler Mühe
Zimmer, Fenster und Thüren eingemeißelt. Das soll
die Arbeit des Dobocz sein und hier soll er auch gewohnt
haben. Doch hauste Dobocz auch auf der
Czorna hora inmitten der Karpathen in einer tiefen
Höhle, die mit seiner Felsenwohnung bei Polansko
durch einen unterirdischen Gang in Verbindung stand.
Von hier aus besuchte er seine Geliebte, die Frau
eines huculischen Bauern, die eine böse Zauberin
war. Sie soll sehr schön und kräftig, aber auch sehr
eifersüchtig gewesen sein und alle übrigen Geliebten
des berühmten Räubers verzaubert haben. Von ihrem
Manne angestiftet fragte sie einst den Räuber, wie er
zu verwunden sei. Dobocz antwortete, daß er nur
durch eine Glaskugel getödtet werden könne, über
welcher 12 heil. Messen gelesen worden wären, doch
müßten in der Glaskugel sieben Weizenkörner sein,
über deren jedes wiederum zwölf Messen gelesen
worden wären. Mit einer solchen Kugel erschoß denn
auch der Mann den Räuber, als dieser seine Geliebte
besuchen wollte. Zum Tode getroffen nahm Dobocz
noch seinen Topor (Axt) und spaltete damit einen ungeheueren
Eichenklotz und bestimmte, daß der sein
Nachfolger werden solle, der einen ähnlichen Hieb
führen könne. Aber niemand war das im Stande. Nach
andern aber ist Dobocz nicht todt, sondern von seiner
eifersüchtigen Geliebten in die Felsenhöle auf der
Czorna hora auf viele, viele Jahre verzaubert. Dort
unter jenem Felsen haust er noch bis heute und zählt
fortwährend das Geld, das er dort verborgen hat. An
gewissen Tagen des Jahres kommt er mit seinen Gesellen
heraus und ist dort schon öfters von den Bergbewohnern
gesehen worden. Zu der Wohnung selbst
soll man erst durch drei eiserne Thüren gelangen, aber
die Felsenhöle ist von ungeheurer Tiefe und mancher
Bergbewohner, der von Habgier getrieben sich die
Reichthümer des berühmten Räubers aus der Tiefe
holen wollte, hat da seinen Untergang gefunden. Auch
zieht Dobocz jeden, der sich dem Steine nähert, in die
Höle hinein, daß er niemals wieder zum Vorschein
kommt. Mit diesen Leuten verstärkt Dobocz seine
Bande, denn nachdem der Zauber seiner Geliebten gebrochen
sein wird, wird er mit seiner Räuberschar
wieder zum Vorschein kommen und Rache nehmen an
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