Als sie mit Mühe und Not am Ufer angekommen sind, nimmt der Riese den Stab aus Hyllas Hand und steckt ihn in die Erde, und sogleich schlägt der Stab aus und treibt Blüten. Den erschöpften Hyllas haucht er an, und er empfängt neue Kraft.
Hyllas zieht alleine mit dem Leichnam weiter. Auf dem Weg durch die Steppe kommen ihm die guten Kentauren entgegen, die er einst als Wildpferde gefangen hatte. Sie formen einen Leichenzug und sie bestatten Chiron im Obstgarten hinter der Hütte.
Im Schein der Grablichter steigt die Seele Chirons über der Totenstätte auf und lässt sich auf Hyllas nieder. Dieser bringt das Gehege wieder instand und nimmt seine Arbeit als Bereiter von Wildpferden wieder auf. Dank der alten Kraft, die er zurückgewonnen hat, schliesst er Freundschaft mit einem Leittier der Steppe. Das Wissen Chirons hilft ihm bei der Dressur der Tiere. Bald braucht er das Gehege nicht mehr und vermag die Herde durch die Anweisung des Hengstes frei zu dirigieren.
Bald macht er sich einen Namen als Pferdehändler und beliefert die Könige und Fürsten aller Wüstenländer mit seinen Tieren. Darunter auch die Sterndeuter Kaspar, Melchior und Balthasar, die auf der Suche nach dem Messias sind. Hyllas bestimmt einen Stellvertreter für seine Herde und schliesst sich mit seinem Hengst Wanjka an, den König im Lande Palästina zu suchen.
Am drauf folgenden Tag sah ich, wie ein strahlender König in majestätischen Kleidern ehrfurchtsvoll eine mit Gold beschlagene Schatztruhe an den Fuss der Krippe stellte. Als er die Schatulle öffnete, strömte warmes Licht aus deren Inneren hervor, bis der ganze Raum davon erfüllt war. Weil ich selber keinen solchen Schatz besass, mich der Gegenstand aber derart faszinierte, machte ich mir darüber Gedanken, wie ich auch zu einem solch kostbaren Schatz gelangen könnte. So sehr beschäftigte ich mich damit, dass mir die Truhe sogar des nachts im Schlaf erschien.
Nur dass jetzt der warme Schein in gleissendes Licht verwandelt war und mich derart blendete, dass mir das Unterscheiden von einzelnen Gegenständen unmöglich war. Wie ein Blinder tappte ich in der Hitze herum. Die Umgebung war in eine Wüste von heissem Goldstaub verwandelt, und ich wusste weder mich an einem schattigen Ort zu bergen noch in welche Richtung der Lichtquelle zu entfliehen, da ich ihren Ausgangspunkt nicht feststellen konnte.
Als ich erwachte und über den Traum nachdachte wurde mir bewusst, dass die Schatztruhe keine Gabe von mir sein konnte, da sie mir im Traum fremd und unzuträglich erschienen war. Weil ich aber wusste, dass das Jesuskind eine Person von unermesslichem, innerem Reichtum und grosser Ausstrahlung war, wollte ich ihm etwas schenken, das ihm entsprach und worüber er sich freuen würde.
Da stieg mir seit langem wieder ins Bewusstsein, dass sich in meinem Innern so etwas wie eine goldene Kugel befand, die sich bei meiner Taufe gebildet und auf welcher die Konturen eines Medaillons oder einer Skulptur eingezeichnet waren. Weil das Sujet aber nicht fertig ausgebildet war, war es mir bis dahin nicht gelungen, das Motiv des Kunstgegenstandes auszumachen. Nichtsdestotrotz war ich gewillt, auch diese unvollendete Kostbarkeit dem Jesuskind zu übergeben und in die Krippe zu legen.
Kaum hatte ich das getan, stieg Jesus aus der Krippe heraus und wiederholte an mir das Ritual der Taufe durch Segnung mit flüssigem Öl auf Stirn und Brust. Und wie vor meinem inneren Aug formte sich die Goldkugel vollständig aus zur Figur des heiligen Christophorus, der das Jesuskind über den reissenden Fluss trägt. Anders aber als bei bekannten Motiven drückte die Last des Jesuskindes, der in seinem Schoss im Symbol einer kleinen Goldkugel den Globus trug, den Heiligen nicht nieder. Es machte vielmehr den Anschein, dass Christophorus das Kind als eine Trophäe stolz auf seiner Schulter trug.
Das Fehlen nach dem Abschied
Ich wusste jetzt mit Sicherheit, dass mich nur der blosse Gedanke an meinen Vater niederschmettern konnte. Daher versuchte ich, mit dem Fiasko meiner Letztbegegnung mit ihm nachsichtig umzugehen. Als ich über den lichtbeschienenen Markusplatz taumelte, wurden die Eindrücke dieses Abschieds noch einmal klar und stark. Mich überkam die jähe Einsicht, dass ich wieder einmal meinem eigenen Paradox in die Falle gelaufen war. Wollte ich den Bann, der von meinem Vater ausging, tatsächlich mit einer Gürtelschnalle und Gamaschen lösen ?! Da stolperte ich wie über meinen eigenen Schiedsspruch, fiel mitten aufs Kopfsteinpflaster und blieb schluckzend liegen. Das Erbe meines Vaters war unter mir begraben. Ich betete um Erbarmen und einen Gnadenstoss, so ergeben fühlte ich mich in meiner Nichtsnutzigkeit. Ich kam mir vor wie ein Pilger, dessen Glaubenskraft kurz vor der Wallfahrtskirche versiegt war. Die Sonne gleiste auf mich herab, aber ich war unbeweglich und wie gebunden. Ich war Isaak, der auf dem Brandopferalter seinem Schicksal harrte. Über mir spürte ich ein konkaves Glas, welches die Sonnenstrahlen auf meinem Mantel bündelte, und ich wartete darauf, entfacht zu werden. Da legte ein Engel seine Hand an mich und half mir auf die Beine.
HÄNDLER: Kommen Sie. Ich helfe Ihnen aufstehen.
Es war ein Händler, der hier in der Nähe sein Geschäft haben musste und vom Mittagsgebet in der Kirche zurückkam. Er trug ein reich besticktes, gelbes Kleid und einen Bart, ähnlich wie mein Vater, aber blond. Ich konnte nicht anders als ihn schluchzend umarmen; das Erbe drückte ich ihm in den Rücken. Er versuchte mich zu beruhigen. Aber als ich meine Umklammerung nicht löste, wurde es ihm unangenehm. Er befreite sich und strich mich aufmunternd über den Hinterkopf.
HÄNDLER: Haben Sie Mut, junger Mann. Und beten Sie zu San Marco, dem
Löwen, um Kraft.
Auch er war wie alle andern schönen Männer auch, nur eine Variation meines Vaters. Und er war ein Abbild des allmächtigen, himmlischen Vaters. Mein Vater aber war nicht Gott, sondern ein Götze, ein Bronzeschmied aus Tyrus, ein Kraftprotz und ein Heide. Und ich war sein Erbe, der Riemen um seine Lenden, der Schutz seiner Schuhe vor dem Schmutz der Strasse. Und als solcher fühlte ich mich in diesem Moment auf seltsame Art geliebt, wenngleich ich mich in dieser Liebe verloren fühlte.
Ich blickte dem reichen Händler nach und seinen kräftigen Waden. Bestimmt war er so reich, dass er sich das Almosen leisten konnte, mich zu umarmen. Es bedeutete ihm nichts. Mir aber war sein Almosen geschenkt worden, und nun war ich wieder allein mit Gott.
WIRT: (Im Hintergrund. Ein Herr tritt ein.)Guten Abend, Hans Tischhauser.
WIRTIN: Guten Abend, Hans Tischhauser. Bitte sehr, hier ist Ihr Schlüssel.
HANS T.: (Heller Tenor.)Danke. (Er verschwindet durch eine Tür.)
DIVERSE: He, habt ihr das mitbekommen? Was für ein Zufall!
DIV.: Was ist denn?
DIV.: Was ist geschehen?
DIV.: Eben ist Hans Tischhauser eingetoffen.
DIV.: Du machst Witze.
DIV.: Nein. Wirklich. Habt ihr denn nicht gehört, wie er vom Wirt und der Wirtin begrüsst worden ist?
DIV.: Wo ist er denn jetzt?
DIV.: Er hat den Schlüssel bekommen und ging durch die Tür zum Treppenhaus.
FREMDER: Ach. Du meinst den kleinen Zwerg mit der hellen Stimme?
DIV.: Natürlich. Hans ist Kleinbürger in unserer Stadt.
DIV.: Ja,hast du wirklich einen Riesen erwartet? Wie will er denn im Tisch hausen, wenn er zwei Meter misst? Er ist doch kein Selbstquäler!
FREMDER: (Steht auf.)Ich geh ihn sofort begrüssen.
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