der Prozess des Trauerns schloss den Kreis.
Jetzt fand das Leid eine Richtung und versickerte tief in des Grabes
Erde, wo nachher viele Blumenkränze lagen.
Es war das erste Mal, da man verstand, VERSTAND OHNE NACHZUDENKEN, und da die Trauer zu dem grössten Tröster wurde.
Darauf würd man sich noch oft berufen: Man hatte einmal Bedeutung gelebt.
Er , der in der einen Nacht Verwünschungen sprach, stand heut´ auf der rechten Seit des Todes. Er , der Captain, der seine Hand am Metallgerüst vom Torhüter seines Teams geschnitten, hat sie aufgelegt und einen Toten lebend gerettet, der auf dem Grabhügel schon vornüberneigte.
Nach diesem Morgen durft man alles wagen, Weil einem nichts Gravierenderes passieren konnte.
In diesem Augenblick packte ihn tatsächlich eine Böe. Wir befanden uns auf einer Balkonterrasse der Hochschule. Der Wind fuhr ihm mit geschickten Bewegungen in den Blazer, und rang ihm zuerst den einen, und wie er danach zu greifen versuchte, den andern Ärmel ab und trug das Kleidungsstück in die unsichtbare Dunkelheit. Selber überrascht von dieser Attacke der Natur gewahrte ich ihn für einen Augenblick entblösst. Durch Licht- und Schatteneinwirkung zeichnete sich auf der senkrechten Mittellinie seiner Brust eine dicke, schwarze Böschung, die gegen unten breiter und üppiger wurde.
Die Böe, die ihm den Blazer fortgetragen hatte, hatte ihn so gewaltsam ergriffen, dass er die gesamte Kleidung korrigieren musste. Er knöpfte sein Hemd zu und schloss den Reissverschluss. Es wirkte so, als würde er Wolle verpacken. Die Wolle eines Wolfspelz.
Obwohl mich der Windstoss nicht direkt tangiert hatte, fühlte ich mich nach der Pause heiter und belebt, statt grüblerisch und ernst wie vorher. Ich hatte das Gefühl, als sei mir in dieser Pause das Wesen des Menschen um einen bedeutsamen Aspekt klarer geworden. Immer hatte ich um den Einfluss von Licht und Schatten auf das Innere des Menschen gewusst, aber die unmittelbare Nähe, in der beides nebeneinanderlag, war mir auf diese eigentümliche Art und Weise offenbar geworden. Ich fühlte mich persönlich betroffen.
Vielleicht, so versuchte ich gemäss den Regeln der psychischen Gesetzlichkeiten zu folgern, war der Mann mit diesem Bart schon früh und dennoch nicht früh genug seiner Mutterbindung Herr geworden, vielleicht hat ihn der Bart vor seinem Anwalt-Vater grad stehen lassen, vielleicht konnte er sich mit Hilfe des Bartes gegenüber Kamaraden vor dem zarteren Geschlecht durchsetzen. Der Bart, so sagte ich mir in der Betrachtung, dieser schöne Bart ist eine tragische Heldengestalt.
Der Bart konnte singen; ein tragender Tenor, der mitten im Verband weit über den Chor hinauswuchs und als Solo-Stimme jene Hörer durchdrang, die ihn nicht durch einen Willensentschluss – sei’s aus Gründen der Rivalität oder aus Furcht vor Betörung – zurückwiesen. Aus der Bartöffnung drang die Stimme des Schwanenkönigs, der dank seiner Krone um den Mund gar als weisse und schmerzempfindliche Seele den See, die Seelen-Landschaft Musik regieren konnte und so auch in musischer Disziplin der Premier war; wenn auch immer als beides: als Beherrscher und Beherrschter, denn auch der Wunsch, die eigene Freiheit und Sensibilität auszudrücken, die in jedem Gesangsbedürfnis liegt, durfte sich nie anders ausdrücken als im Überragen der andern und in der Bestleistung, durfte nie Spiel sein oder Liebesgeständnis.
Der Bart konnte auch boxen und ringen und war in allen Wettkämpfen in der ersten Kategorie anzutreffen. Aber er war auch Geist, er konnte reden, betonen und auf gewinnende Weise vortragen, bilderreich und weise, denn der Bart war ehrgeizig und begabt und wollte in jeder Disziplin siegen. Doch nur Gott durfte sehen, wie der Bart auch weinte und wie das Gebet immer wieder über seine langen Stoppeln strauchelte. So konnte der Bart auch lieben, nur eben nach Bartes Art. Und auch umgekehrt wurde der Bart geliebt oder gehasst wie es dem Barte zukam, aber nicht dem Menschen, der ihn trug. Ich weiss es, weil auch für mich dieser Bart Heimat war oder mich zumindest an mein Nest erinnerte, das ich verloren hatte.
Zeitweise schwelgte ich sogar in der Vorstellung, dass, würde nur eins dieser Haare meiner knabenhaften Gesichtshaut eingepfropft, auch an mir der Keim der Männlichkeit aufbricht und sich Wille und Eindeutigkeiten abzeichnen, aufgrund deren ich mich andern gegenüber fühlbar machen konnte, um mich selber auch einmal so wahrzunehmen, wie es dieser Mann scheinbar immer tat.
ERZÄHLER: EINER stösst mit BAUCH Bauch an Bauch zusammen.
BAUCH: Entschuldige bitte.
EINER: Pardon. Ich habe versucht, mich dünn zu machen. Aber es ist halt eng hier.
BAUCH: Mein T-Shirt ist zu kurz. Gestern hat es noch gereicht. Ich weiss nicht, was über Nacht passiert ist. Vielleicht bin ich schwanger.
EINER: Als ich zur Welt kam, war mein Vater auch dick.
BAUCH: Entschuldige, aber das Korsett hat sich gelöst. Ich muss es losbinden.
EINER: Wozu brauchst du es?
BAUCH: Wegen meinem Rücken. Ausserdem bin ich ein wenig eitel und binde meinen Bauch gern etwas zurück. Nun haben sich auch noch Haare in der Schnur verwickelt.
EINER: Warte. Ich hole eine Schere. Entschuldige, wenn ich dir eine kleine Glaze schneide. – (Zu sich.)Noch nie hab ich einen solchen Bauch gesehen. Mir ist, als würde er mich wie mit einer Bettdecke einhüllen.
BAUCH: Jetzt hab ich einen richten Mutterbauch. Ich wäre wirklich froh, ich könnte mein Kind austragen!
EINER: Du stellst dir wirklich vor, du hast ein Kind?
BAUCH: Ja, deshalb habe ich es so überfüttert. Ich habe Angst, es könnte verhungern. Ich habe schon öfter geträumt, ich würde immer dicker und mein Kind immer kleiner.
EINER: Das Kind hat zu wenig Raum, um mit dir etwas zu unternehmen. Wenn du ein wenig Sport treibst, jauchzt dein Kind. Es wächst dann schneller. Ich weiss das, weil ich selber ein Kind eines Vaters bin wie dir.
BAUCH: Ich möchte mich wirklich mehr bewegen. Sonst fühl ich mich bald selber wie im Laufgitter.
EINER: Schade, dass du schon gehst.
BAUCH: Ich lass dir meinen Bauch da. Du wirst sehen, er nimmt ab wie der Mond.
ERZÄHLER: Er schnallt sich den Bauch ab und gibt ihn ihm. Dieser hält sich den dicken Bauch um seinen kleinen und atmet tief in sich hinein.
EINER: Danke. Ich werde ihn auch immer wieder einmal glattstreichen.
ERZÄHLER: Er ruft ihm nach.
EINER: Viel Freude an dem Kind.
Begegnung mit dem Captain (und dem Trikot-Team)
Dass er mit den Menschen war, war nicht sehr verschieden davon, dass er sich auch mitten in ihnen befand. Und genau wie seine Handlungen einem Geist entsprachen, so redeten seine Gesten eine innerliche Qualität.
Als Captain einer Mannschaft war er für die Schlagkraft seines Teams zuständig.
Er hatte eine eigne Art zu pflegen. Blau weiss vertikale Streifen mit der roten Zahl und klangvollen Namen war das Trikot seines Teams.
Dass die Streifen nach der Länge nochmals vielgeteilt, und im Silber hell und dunkel schimmern, entging jeder bewussten Betrachtung, tat ihre Wirkung aber instinktiv.
Die Siegerhemden auszubreiten, ihren Geruch und Schweiss im selben Raum reinigen und vermischen, war, wenn nicht die Pflicht, dann doch sein regeltreues Unternehmen.
Er kannte sie und wusste wie platzieren, welche Namenszüge sich folgen, welche Nummern zu entrücken; er kannte die Spuren Schweiss, die Flecken Gras, die Farb der Wunden und wusste sie zu ordnen und die Kräfte zu sortieren.
Um Hantelstangen legt er sie, über Stuhllehnen, Tisch und Sitze, ganz nach einem inneren Gesetz. Selbst jedoch behielt er seines an, um mit ihm bei ihnen zu sein.
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