Ich nickte kurz.
„Sie sind jetzt exakt dreizehn Minuten zu spät. Wir waren für neun Uhr verabredet und wie spät ist es jetzt?“ Er sah mich auffordernd an. Ich rechnete: laut seiner Aussage war ich dreizehn Minuten zu spät, also musste es neun Uhr dreizehn sein.
„Neun Uhr dreizehn“, tat ich dann auch kund und blickte ihn lächelnd an.
„Falsch, mein lieber Lärpers.“ Sanurski stierte auf seine dämliche Armbanduhr. „Es ist jetzt neun Uhr vierzehn. Ihnen geht das Gefühl für die Zeit und die Pünktlichkeit ab!“
Aus dem Augenwinkel konnte ich Birgit grinsen sehen.
„Lärpers, Lärpers. Sie sollten sich ein Beispiel an dieser Dame dort nehmen.“ Er blickte auf und fixierte die Zicke mit einem lüsternen Blick. „Sie war pünktlich, sehr pünktlich sogar. Frau Zickler ist nämlich auch neu bei uns und kommt ebenfalls vom Arbeitsamt. Aber im Gegensatz zu ihnen war die Dame pünktlich, sehr pünktlich.“
Ja, das sagte er schon. Aber diese ‚Dame’ war ja auch schuld daran, dass ich zu spät gekommen war. Nur das konnte ich dem guten Sanurski nicht auf die übergroße Nase binden ...
„Nun, Herr Lärpers, zukünftig erwarte ich mehr Pünktlichkeit von ihnen. Sonst können sie direkt wieder zu ihrem Arbeitsamt zurückkehren. Haben sie mich verstanden?“
Ich nickte. „Habe ich, Herr Sanurski, habe ich.“ Der Mann sprach ja laut genug.
Sanurski sah wieder auf seine Uhr: „Die vertrödelte Zeit werde ich ihnen vom Lohn abziehen. Sie können von Glück reden, dass wir dringend Leute brauchen. Sonst würde ich sie auf der Stelle wieder fortschicken.“ Dann machte er eine Pause und schien etwas zu überlegen. Ich blickte ihn fragend an. Sanurski tippte mit dem Finger auf seinen Schreibtisch: „Ich bringe sie jetzt in die Abteilung, in der sie zunächst mit ihrer Arbeit beginnen. Die Frau Zickler ist über ihre Aufgaben schon informiert - sie war schließlich pünktlich da. Lassen sie sich von ihr erklären, was es zu tun gibt. Hier“, er schob uns beiden zwei kleine Kästchen mit einer Art Stift am Band zu, „benutzen sie diese Geräte. Aber gehen sie mir schonend damit um, Beschädigungen werden ihnen vom Lohn abgezogen.“
Ich nahm den Kasten an mich. Das Ding schien so eine Art überdimensionaler Tabletcomputer zu sein. Nun gut, Birgit würde ja schon wissen, wie die Geräte zu bedienen waren ...
Sanurski verlor kein weiteres Wort und nickte uns auch nur stumm zu, als er uns vor einem Regal mit Reinigungsartikeln stehen ließ. Als der Abteilungsleiter endlich außer Hörweite war, fuhr ich Birgit an: „Verdammt, warum hast du mich draußen warten lassen?“ - „Lieber Johni, du kamst einfach nicht, da bin ich schon einmal hineingegangen. Außerdem schien es mir besser so, dass wir nicht zusammen eintrafen, da wir uns ja angeblich nicht kennen. Da hättest du aber auch selbst drauf kommen können ...“
Ich nickte. Ja, war vielleicht auch besser so. Nur hätten wir das ja zuvor auch absprechen können. „Und was ist jetzt hier unsere Aufgabe?“ Ich blickte an dem Regal entlang. Putzmittel, Klarspüler, Waschpulver und Seifen - das war alles meilenweit von den Keksen in meinem Traum entfernt. Und natürlich war uns von Sanurski kein Kaffee angeboten worden. Was also sollten wir machen?
„Inventur“, klärte Birgit mich auf. „Wir zählen die Artikel im Regal und tragen die Menge dann auf unserem Tabletcomputer in die entsprechende Tabelle ein. Der Abteilungsleiter hat mir alles genau erklärt; es war ja auch genügend Zeit.“
„Ja, dreizehn Minuten“, erinnerte ich mich an Sanurskis vorwurfsvolle Worte. „In der kurzen Zeit hat er dir alles erklärt? Dann kann es ja nicht viel zu tun geben ...“
„Vertue dich nicht, Johni, das hört sich leichter an, als es ist. Außerdem hat Sanurski genaue Vorstellungen davon, was wir in welcher Zeit zu schaffen haben.“
Birgit aktivierte ihren Computer und drückte mit dem Stift ein paar Mal auf dem Bildschirm herum. Ich wollte es ihr gleichtun, scheiterte aber schon beim Einschalten des Gerätes.
„Wie geht das Ding denn an?“, wollte ich wissen.
„Außen am Rand ist ein Einschaltknopf. Dann brauchst du die Vorgaben lediglich noch zu bestätigen und den Bereich für die Erfassung wählen. Ja, und dann geht die Zählerei auch schon los. Du fängst am besten dort hinten an.“
Ich fand nach einigem Suchen den Knopf und schließlich landete ich in einer Tabelle. Nun gut, die Arbeit konnte beginnen. Sorgfältig zählte ich die einzelnen Artikel in dem Regal und trug schließlich mein Ergebnis am Tablet ein. Eine langweilige Arbeit, die mir aber gut von der Hand ging.
Ich war so vertieft in meine Aufgabe, dass ich auf Birgit erst aufmerksam wurde, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte. „Prima Johni, du kommst ja wirklich sehr gut voran. Vielleicht solltest du den Beruf wechseln und hier Lagerarbeiter oder so etwas werden.“ Die Zicke lachte leise.
„Was ist, Birgit? Warum störst du mich jetzt?“ - „Mittagspause, Johni. Du hast nicht gemerkt, wie die Zeit verging?“
Ich wunderte mich selbst. Aber wenn ich schon einmal bei der Sache war - dann auch richtig!
„Und jetzt? Was machen wir in der Pause?“
Birgit lachte: „Ja, was wohl? Ausruhen, etwas essen und die Kollegen hier kennenlernen. Hast du denn unseren Auftrag vergessen?“
Das hatte ich in der Tat, würde es aber vor der Zicke niemals zugeben. Ja, unser Auftrag: deswegen waren wir ja schließlich hier. „Natürlich nicht, liebe Birgit. Glaubst du denn, dass ich die ganze Zeit nur Spülmittel gezählt hätte? Ich habe natürlich auch die Umgebung im Auge behalten. Detektivarbeit geleistet, was sonst?“
„Sah aber nicht so aus, Johni“, grinste sie und einmal mehr bereute ich, diesen Auftrag mit ihr zusammen erledigen zu müssen.
„Da siehst du mal, wie wirklich gute Detektivarbeit aussieht. Selbst du hast nicht bemerkt, dass ich hier alles ständig observiere.“
Birgit schüttelte den Kopf: „Dann hast du ja sicher auch bemerkt, wie die ältere Kundin ein Stück Seife eingesteckt hat!“ - „Seife? Was für Seife?“ - „Kernseife.“
Natürlich war mir so etwas nicht aufgefallen. Nicht einmal einen Kunden oder eine Kundin hatte ich bemerkt. „Natürlich habe ich das gesehen. Aber was sollte ich denn machen? Wir haben einen größeren Auftrag, als einer Kernseifen - Diebin hinterher zu spüren.“
„Johni, Johni! Du hast nicht aufgepasst, denn dann wäre dir aufgefallen, dass es keine Kernseife war, sondern eine Flasche Spülmittel. Das ist doch der Beweis, dass du auf nichts hier geachtet hast, du Superdetektiv.“
„Na wenigstens scheinst du deine Augen ja überall zu haben“, entgegnete ich pikiert. „Hoffentlich schaffst du dann dein Pensum. Sonst schmeißt Sanurski dich nämlich raus und ich kann die ganze Arbeit hier alleine machen.“
„Da mach dir mal keine Sorgen, lieber Johni. Außerdem habe ich schon mehr geschafft, als du. Du bist einfach zu langsam.“ Sie zeigte auf das Regal und bezeichnete einen Punkt, bis zu dem sie die Waren erfasst hatte. Es war deutlich mehr, als bei mir.
„Wo ist denn hier die Kantine?“, lenkte ich vom Thema ab. Außerdem hatte ich jetzt wirklich Hunger. Und wer wusste schon, wie lange unsere Pause dauerte. Also, warum hier herumstehen und die Zeit vertrödeln?
Birgit deutete mir, ihr zu folgen und schließlich marschierten wir an Sanurskis Büro vorbei in Richtung Umkleide. Mir fiel ein, dass wir - wieder entgegen meinem Traum - hier nicht einmal einen Arbeitskittel bekommen hatten. Gut, dass ich heute eher einfache und zweckmäßige Kleidung trug.
Birgit führte mich zu einer Tür, die genau gegenüber der Umkleidekabine lag. Dieser Raum war mir vorher nicht aufgefallen, aber ich konnte meine Augen ja auch nicht überall haben. Er war recht klein - es fanden gerade einmal zwei Tische darin Platz. Zwei Tische und acht Stühle, von denen sieben besetzt waren. Als wir in das Zimmer traten, wurde es plötzlich totenstill. Vierzehn Augen richteten sich auf Birgit und mich, kauende Münder standen still und zum Mund geführte Gläser verharrten in der Luft.
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