eine große Hungersnot war und viele Menschen Hungers
starben.« – »Und ich«, sagte der dritte, »kann
mich erinnern, zu meiner Zeit, als ich ein Kind war,
wurde der Schatz des Kaisers Konstantin vergraben.
« – »Also bist du der älteste von allen«, antworteten
ihm die beiden andern Adler. – »Da, unter der
Steinplatte dort,« fuhr der dritte fort, »sind dreihundert
Lasten Gold vergraben.« Der verborgene Mann
hörte das Gespräch der Adler und verhielt sich ganz
still.
Am nächsten Morgen kamen die Leute des Zaren,
ihn zu rufen: »Komm, der Zar läßt dich rufen.« Darauf
antwortete er: »Sagt dem Zaren, er soll dreihundert
Maultiere und sechshundert Säcke schicken.« Die
Boten kehrten zum Zaren zurück und richteten ihm
aus, was ihnen der Mann befohlen hatte. Der Zar befahl
sogleich, ihm die gewünschten Maultiere und
Säcke zu schicken, und es sollten viele von seinen
Leuten mitgehen, ihm zu helfen. Als die Leute bei
dem Manne angekommen waren, sagte er zu ihnen:
»Hebt die Platte da auf.« Das taten sie und was sahen
sie? Einen Brunnen voll Gold. Sie schöpften und
schöpften und füllten genau sechshundert Säcke voll,
luden sie auf die Maultiere und brachten sie dem
Zaren, aber so heimlich, daß es niemand anders erfuhr
außer den vom Zaren gesandten Leuten; dem aber, der
das Gold gefunden hatte, gaben sie nicht einen roten
Heller, ja kümmerten sich weiter nicht um ihn. Der
Arme wartete und wartete, daß der Zar ihn rufen und
ihm etwas geben sollte, aber sein Warten war ganz
vergebens, der Zar hatte ihn schon ganz vergessen.
Zuletzt, als ihm das Warten zu lange wurde, schickte
er seinen Vater zum Zaren, um wenigstens eine Mütze
voll Gold von ihm zu verlangen. Der Vater ging also
zu dem Zaren und sagte: »Erhabener Zar, mein Sohn
schickt mich, du möchtest ihm eine Mütze voll Gold
geben.« – »Was für ein Sohn?« fragte der Zar. – »Na
der, der dir den Schatz gefunden hat«, antwortete der
Vater. Der Zar aber rief: »Mach, daß du von hier fortkommst!
Was für ein Schatz? Wer hat einen Schatz
gefunden?« Der Zar hatte nämlich Angst, es könnte
einer erfahren; ein anderer Zar, der damals lebte, größer
und stärker als er, könnte davon hören. Am anderen
Tage schickte der Sohn wieder seinen Vater zum
Zaren, eine Mütze voll Gold zu fordern; da aber hielten
ihn die Leute des Zaren auf seinen Befehl an und
schlugen ihm den Kopf ab.
Als der Sohn hörte, daß man seinen Vater getötet
hatte, ging er selbst zum Zaren und sagte zu ihm: »Er-
habener Zar, der und der Zar« (nämlich der, vor dem
er Angst hatte), »läßt dich vielmals grüßen, du solltest
mir meinen Vater wiedergeben, aber er will ihn
lebend und gesund; oder aber, wenn du willst, töte
auch mich; nur glaube nicht, daß es so geht wie bei
meinem Vater; ich bin von einem größern Zaren gesandt.
Also merke dir, daß ich meinen Vater lebendig
wieder haben will.« Da standen der Zar und seine
Leute in Bedenken, was sie nun machen sollten: der
Mann, der Vater, ist tot, und sein Sohn will ihn lebendig
haben; endlich sagten sie zu ihm: »Warte, wir
wollen sehen, was das Gesetz sagt; der Mann ist tot
und kann nicht wieder lebendig werden.« Im Gesetz
fanden sie geschrieben: soviel der Kopf des getöteten
Mannes wiegt, so viel Gold soll dem Sohne, der
klagt, gegeben werden. Damit gab der sich zufrieden.
Gut, sie legten nun den Kopf in eine Wagschale
und in die andre, sagen wir, ein Kilo Gold. Aber die
Schale mit dem Kopf kam nicht in die Höhe; sie verdoppelten
und verdreifachten das Gold, aber die Schale
wollte nicht hoch kommen, der Kopf war schwerer.
Da legten sie fünfzigmal, hundertmal, tausendmal soviel
Gold darauf, aber die Schale mit dem Kopf stieg
nicht in die Höhe. Alle wunderten sich, was das zu
bedeuten habe. Sie legten nun das ganze gefundene
Gold, die dreihundert Lasten dazu, aber die Schale
mit dem Kopf blieb stehen. Wieder wunderten sich
alle, was aus dieser so sonderbaren Sache werden
sollte. Es kamen nun gelehrte und belesene, weise und
kluge Leute zusammen, um herauszufinden, warum
die Wagschale mit dem Kopfe nicht aufsteige; aber
sie konnten es nicht herausbringen.
Da sagte der selbst, der den Schatz gefunden hatte
und seinen Vater lebendig wieder haben wollte, zu
ihnen: »Ich will euch zeigen, weshalb der Kopf nicht
hoch kommt.« Einstimmig riefen alle: »Wenn du auch
das noch triffst, dann wollen wir dich von jetzt an
zum Zaren haben«; und auch der Zar selbst sagte:
»Ich steige von jetzt an vom Throne, und du sollst
dich darauf setzen, wenn du es triffst.« Der Mann
aber sagte: »Bringt mir ein Tuch!« Als sie es ihm gebracht
hatten, verband er dem Totenkopf die Augen
damit und sagte zu ihnen: »Wägt jetzt!« Sie legten
ihn nun auf die Wagschale, und zwei Kilo reichten
aus. – »Wie kommt es,« fragten sie, »daß der Kopf
sich gegen zwei Kilo hebt?« – »Das kommt daher,«
antwortete der Mann, »daß er mit offenen Augen sich
niemals heben kann, denn solange das Auge sieht,
könnt ihr alle Lasten Gold darauf legen, es wird sich
nicht heben. So ist es auch mit dir, erhabener Zar, so
viele Lasten Gold habe ich dir gegeben, von mir hast
du sie bekommen, aber du hast immer noch nicht
genug davon, und mir hast du nicht einen roten Heller
abgegeben; du willst aber immer noch mehr. So konn-
te auch die Wagschale mit meines Vaters Kopf, solange
er die Augen offen hatte, sich nicht heben; erst
zuletzt, als wir sie verbunden hatten, hob die Schale
sich gegen nur zwei Kilo. So ist das Auge des Menschen
gierig und unersättlich«.
9. Die Taten des Zarensohnes und seiner beiden
Gefährten
Es waren einmal ein Zar und eine Zarin; die hatten
zehn Jahre lang keine Kinder, und die Zarin fing jedesmal
an zu weinen, wenn sie Kinder sah. Einmal
sah sie einen Mann, der hatte sieben Kinder und ging
betteln, um die Kinder zu ernähren. Einmal kam er
auch an die Tür der Zarin; die war wieder betrübt, daß
sie kein Kind hatte, und gab ihm Geld und Brot. Da
ging einmal gerade ein alter Mann mit weißem Bart
vorüber und sah, wie die Zarin weinte, als sie die
Kinder des Bettlers sah. Der Alte fragte sie: »Warum
weinst du?« Sie antwortete ihm: »Dem da, der sie
nicht ernähren kann, hat Gott Kinder gegeben, und
mir, die sie nähren und kleiden kann, gibt er keine.«
Darauf sagte der Alte: »Wenn du mich zum Gevatter
nimmst, will ich dir ein Kind geben.« – »Warum
nicht? Ich will dich zum Gevatter nehmen.« Der Alte
gab ihr darauf einen Apfel und sagte: »Eine Hälfte iß
du, und die andere gib dem Zaren.« Die Zarin nahm
den Apfel, gab die eine Hälfte dem Zaren, die andere
aß sie selbst. Nach neun Monaten bekam sie ein
Kind, einen Jungen; bei seiner Geburt schoß man mit
Kanonen. Bis zum zehnten Jahr hatten sie ihm noch
keinen Namen gegeben und schickten ihn so ohne
Namen in die Schule. Der Junge aber, traf er auf dem
Schulwege einen Menschen, schlug er ihn nieder, und
die Rinder, die auf die Weide getrieben wurden, packte
er am Schwanze und schleuderte sie zur Seite. Da
klagten die Hirten beim Zaren: »Willst du uns schützen,
oder willst du unser Vieh schlagen lassen?« Als
der Junge aus der Schule kam, sagte der Zar zu ihm:
»Was schlägst du das Vieh? Die Leute sind hierher
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