»Ich habe Sie als Bezugsperson angegeben. Sie wirkten nett und da dachte ich … ich hoffe, es verärgert Sie nicht zu sehr. Sie erhalten einmal im Jahr einen Brief, wie sich Jane so macht und welche Schwerpunkte sie belegen wird. Sie müssen sich auch um nichts kümmern, wir haben der Schule vollkommene Entscheidungsfreiheit gegeben, das heißt, Sie könnten auch nichts tun. Jane wird in den Ferien in der Schule bleiben und mit spätestens 17, wahrscheinlich 16, jemandem als persönliche Hilfskraft zugeteilt werden. Das haben wir bereits bestimmt. Mein Mann will nicht, dass sie irgendwo in der Arbeitswelt auftaucht. Sie soll für immer für alle Welt weggesperrt sein. Übrigens weiß er nicht, dass ich Sie benannt habe. Es ist so, als würde er Jane verabscheuen. Aber wahrscheinlich ist das auch besser so.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, das alles hatte ich nicht erwartet.
»Sie können natürlich noch dem allen widersprechen, dazu haben Sie ab jetzt eine Woche die Möglichkeit. Hier ist der Brief mit allen Informationen. Ich werde nun gehen.« Damit drehte sie sich, ohne auch nur eine Sekunde zu warten, um und ab da betrat sie nie wieder meinen Laden. Ihre Familie kaufte ab sofort bei unserem größten Konkurrenten ein und tatsächlich hatten wir die nächsten zwei Jahre die niedrigsten Umsätze seit der Eröffnung, wie es Mister Crawford vorhergesagt hatte.
In den nächsten Jahren bekam ich immer zum Halbjahr einen Brief der Schule. Jane war anfangs sehr ignorant und wollte nichts von Schule wissen. Sämtliche Noten waren schlecht und sie drohten, sie als eine Art Mätresse zu verkaufen. Doch dann im zweiten Jahr wurde sie besser. Sie bekam nur noch selten Strafen und lernte gute Umgangsformen. Mit 16 wurde sie Haushälterin bei einer kleinen Familie, dort bediente sie die Gäste und verstand sich mit allen sehr gut. Durch ihre hervorragenden Leistungen schickte die Schule Jane zu einer sehr reichen adligen Familie. Wie sie mir später erklärte, hatte sie dort eine schreckliche Zeit. Drei lange Jahre dauerte es, bis sie endlich ausgelernt hatte und schließlich als eine Haushälterin zu einem kleinen Weingut bestellt wurde. Dort lernte sie dann auch ihren Mann, den Vater ihrer Kinder, kennen, Liam. Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. In diesem Jahr schrieb mir Jane einen Brief, ich war so angetan, dass ich mir die Tränen nicht verkneifen konnte.
» Lieber Sir Nicholai,
am Ende meiner Ausbildung erfuhr ich, dass Sie als meine Bezugsperson ernannt wurden und mich dadurch vor Schlimmerem bewahrt haben. Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich habe hier einen netten jungen Mann kennengelernt und er bat mich bereits nach einem Jahr, ihn zu heiraten. Diese Hochzeit steht nun an und wir würden uns riesig freuen, wenn der gutherzigste Mann, den ich je kennengelernt habe, dabei sein könnte.
Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere beiden Treffen in ihrem Laden. Ich wünschte, Sie wären mein Vater gewesen. Es tut mir leid, so etwas zu sagen, steht mir nicht zu.
Wissen Sie, ich wollte nie wieder etwas von Zauberei hören, aber mein Mann stammt aus einer angesehenen Zaubererfamilie. Sie verachten meine Familie, während ich nicht weiß, was ich fühlen soll. Ich denke, es ist Traurigkeit. Sie sind so verbohrt, dass sie es nicht besser wussten. Doch trotzdem werde ich sie nicht mehr in mein Herz lassen und sie auch nie wieder sehen.
Unsere Hochzeit findet am 29.6 in Maine statt. Sie beginnt in der viktorianischen Kirche. Wir hoffen wirklich sehr, dass Sie kommen. Denn ohne Sie wären wir nicht zusammen.
Bis dahin wünschen wir Ihnen noch eine angenehme Zeit und einen regen Verkauf. Natürlich werden unsere Kinder nur bei Ihnen ihren Zauberstab kaufen.
Mit frohem Herzen
Jane und Liam Fings«
Und nun stand sie hier in meinem Laden. Wie sie es gesagt hatte. Es erfüllte mich mit großer Freude, sie heute glücklich zu sehen. Sie hatte eine schwere Zeit. Erst vor einem halben Jahr war ihr Mann verschwunden. Keiner wusste wohin und ich hoffte inständig, dass er bald wieder zurück sein würde. Sie erschienen mir immer sehr fröhlich und Jane erzählte mir nur selten von Problemen. Nach ihrer Hochzeit war ich zu einer starken Bezugsperson geworden und obwohl ich sozusagen ihr bester Freund war, als Vater würde ich mich nun nicht bezeichnen, behandelten sie mich alle stets höflich.
An diesem ereignisreichen Tag wurde Klars sehr wütend. Ich hatte gerade für seine Schwester einen Zauberstab gefunden, einen aus Kirschholz, genau wie bei ihrer Mutter. Als Jane dies hörte, schenkte sie mir ein trauriges Lächeln. Nun war Klars an der Reihe, aber wir fanden einfach keinen. Nami hatte sich mittlerweile auf einen Hocker ans Fenster gesetzt und gähnte absichtlich laut. »Hau doch einfach ab!«, schrie er sie wütend an. Ich war gerade in meinem Lagerraum und suchte nach meinen eher widerspenstigen Stäben, da ich vermutete, dass sie gut zu ihm passen würden. Dort hinten ist es ordentlich aufgeräumt. Jede Reihe ist wohl überlegt befüllt. Jeder Stab nimmt ein eigenes Kissen ein und die widerspenstigen lagern oben. Sie mögen es, auf die anderen herabblicken zu können. Jedenfalls, gerade als ich einen Stab von einem abendländischen Lebensbaum mitsamt seines blauen Kissens aus der oberen Ablage holen wollte, hörte ich diesen Schrei. Schnell packte ich den Stab und eilte in den Hauptraum. Klars warf mir einen bösen Blick zu, als ob ich an allem Schuld wäre. Zunächst hatte ich ihm eher leicht handhabbare Zauberstäbe angeboten, denn diese sind für Anfänger meist besser geeignet, nur selten funktioniert keiner von ihnen. Nun ja, seine Mutter war etwas besorgt und meinte: »Nicholai, wir können auch ein andermal wiederkommen. Bestimmt hast du bald neue Kunden.« Ich musste lächeln, Jane war immer besorgt um andere Menschen, das lag wohl an ihrer Ausbildung. »Ach Jane, keine Sorge. Klars ist nicht der Erste, bei dem es nicht auf Anhieb klappt. Wir haben noch 20 Minuten bis die nächste Lady kommt. Und weißt du Klars, bei denen, wo es mit der Stabsuche länger dauert, liegt es meist an ihrem besonderen Temperament und diese bekommen dann auch die besten Stäbe.«
Ermutigt trat er auf mich zu und warf einen erwartungsvollen Blick auf den Stab in meinen Händen. Seine Augen glänzten und er sagte ehrfurchtsvoll: »Ich will ihn lieber nicht berühren. Er ist so wundervoll. Ich wäre einfach nur enttäuscht, wenn er es nicht wäre.«
Ich schmunzelte. Diese Faszination war das Zeichen, dass der Stab der richtige war. Man spürt die Verbindung einfach. Der Stab sendet eine Art Welle aus und wenn diese auf jemanden trifft, der den Vorstellungen entspricht, dann kann dieser nicht anders, als eine Bewunderung zu spüren. Aber eines muss ich euch verraten, der Zauberstab von Klars war wirklich schön. Er war rötlich braun, rau, man konnte die einzelnen Erhebungen der Rinde fühlen.
Ich sprach ihm Mut zu und schließlich griff er nach ihm. Die Spitze des Stabs begann zu leuchten und Klars bewegte seine Hand, er dachte dabei nicht nach, denn sie wurde geführt. Eine feine Feuerlinie bildete sich in der Luft und Klars strahlte über beide Ohren. Auch Jane war voller Freude. »Danke Nicholai, für deine Geduld. Du bist bei uns jederzeit zum Essen eingeladen.«
»Das ist mein Job, Jane. Aber ein Essen schlage ich natürlich nicht aus. Wann beginnt denn die Schule?«
Während wir uns unterhielten, plauderten auch die Zwillinge vor dem Schaufenster und waren richtig aufgedreht. Man konnte direkt sehen, wie sie froh waren, die letzte Hürde vor ihrer Ausbildung genommen zu haben.
»In ein paar Wochen. Wir haben bereits alles besorgt, die Stäbe waren nun die Belohnung für das mehr oder weniger ruhige Einkaufen.« Sie lachte herzhaft. Es war schön, sie so zu sehen.
Vielleicht werdet ihr euch fragen, wie ich euch die Geschichte von den Zwillingen erzählen soll, wenn ich doch gar nicht immer persönlich vor Ort war. Nun, in all den Jahren kamen viele Personen auf mich zu und erzählten mir die Einzelheiten. Natürlich konnte ich die meisten Erlebnisse auch durch magische Vorkehrungen sehen , sozusagen wie bei einem Fernseher. Dies gelingt aber nur mit dem vollkommenen Einverständnis der erinnernden Person, wobei die meisten nichts dagegen hatten. Und dann vor ein paar Jahren besuchte mich jemand aus der Fings Familie und bat mich die Geschichte niederzuschreiben. Ich kann euch sagen, dass ich da ganz schön froh war, alles in mein Tagebuch geschrieben zu haben. Sonst hätte ich das wohl nicht so gut geschafft.
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