Jedenfalls saß Nami gerade in der ersten Reihe neben Elizabeth und lauschte gebannt den Worten ihrer Lehrerin Miss Miberson. Diese sprach gerade über die verschiedenen Maserungen und dass man daran erkennen könne, wie impulsiv der Stab sei.
»Je rauer, desto schwieriger wird es, den Zauberstab zu kontrollieren,« erklärte sie, »hat er jedoch überhaupt keine Erhebungen, ist er schneller untreu. Somit geht bei diesem ein Besitzerwechsel schnell vonstatten, was für Verkäufer natürlich ideal ist. Für den Besitzer ist es jedoch anstrengend, eine tiefe Beziehung einzugehen.«
Nami war fasziniert und freute sich bereits auf den Teil, wo sie den eigenen Zauberstab analysieren sollten.
In der zweiten Hälfte der Stunde war es so weit. Sie schlugen ihr Buch an der entsprechenden Seite auf und arbeiteten gemeinsam in Partnerarbeit. Nami ließ Elizabeth den Anfang machen.
»Also mein Zauberstab ist relativ kurz und weich, aber nicht vollkommen glatt. Außerdem ist er sehr hell. Hm, also kurz steht für eine langsame Geschwindigkeit und Helligkeit für Klugheit. Weich, aber nicht ganz glatt …«
Nami fiel ihr ungeduldig ins Wort: »Heißt, dass er leicht zu handhaben ist und schnell Vertrauen aufbringt.«
Sie stutze kurz, es war ihr peinlich, wie sie Elizabeth unterbrochen hatte. Doch sie war erleichtert, als Elizabeth lachte: »Du bist da ja ganz Feuer und Flamme. Jetzt bin ich mal auf deinen gespannt.«
In diesem Moment trat Miss Miberson zu ihnen und wartete auf Namis Analyse. Sie schaute Nami auffordernd an, worauf diese tief durchatmete und ehrgeizig begann: »Der Stab hat einen rötlichen Schimmer, was für Impulsivität steht. Außerdem hat er einige Erhebungen und ist rau, aber nicht in der obersten Kategorie. Er hat also einen eigenen Willen, aber beugt sich am Ende dem Halter. Und seine Länge – die ist mittelmäßig. Etwa 30 Zentimeter. Also ist die Effektgeschwindigkeit genau ideal.«
Erwartungsvoll schaute sie zu Miss Miberson auf, welche sich bei der Analyse über Nami gebeugt hatte. Jetzt nickte sie und meinte: »Einen sehr guten Zauberstab hast du da. Doch es ist wichtig, dass du ihn zu kontrollieren lernst, denn sonst wirst du seine volle Stärke niemals erreichen.«
Nami war stolz. Sie hatte ihren Stab richtig analysiert und Miss Miberson diesen als gut bezeichnet. Sie fand, dass ihr Start an der Schule nicht viel besser verlaufen hätte können. Am vorigen Tag beim Essen war zwar ein kleiner Dämpfer gewesen, doch jetzt war sie wieder in Hochstimmung.
Klars hockte nach einem anstrengen Tag in seinem Zimmer. Es war bereits Bettruhe, deshalb saß er im Dunkeln auf seinem Bett. Er sah das dunkle Schulhaus an. Kein Licht brannte und die Laternen waren auch ausgeschaltet. Es durfte ja niemand mehr draußen sein und die Lehrkräfte konnten sich auch mit ihrem Zauberstab Licht verschaffen. Er sah hoch zum Himmel, keine Wolke war zu sehen, nur all die Sterne und eine dünne Mondsichel. Doch am liebsten mochte er die Sicht zum Wald. Dieser war düster und unheimlich. Wie gerne würde er dort einen Nachtspaziergang machen. Vielleicht konnte er ihn sich zumindest einmal untertags anschauen. Am Wochenende durften sie das Schulgelände verlassen, dann würde er das auf jeden Fall tun. Hoffentlich war dann auch Mako da.
Klars hatte beschlossen, die ersten Wochen nicht nach Hause zu fahren. Es gab hier so viel zu entdecken und er wollte die Zeit am Wochenende dafür nutzen. Er wollte sich gerade hinlegen und die Augen schließen, als er etwas sah. Ein Schatten kam aus dem Wald heraus. Klars konnte nichts Näheres erkennen, wäre es doch nur Vollmond gewesen. Die Gestalt kam näher, sie hielt sich eng an die Wand des Schulgebäudes gedrückt. Nun, da sie näher war, konnte Klars sehen, dass die Person eine Kapuze trug und nach vorne gebeugt lief. Er drückte sich fest gegen die Scheibe, er wollte mehr erkennen. Plötzlich hob sich die Kapuze und die Öffnung zeigte Richtung Klars. Dieser erschrak so sehr, dass er sich sofort vom Bett fallen ließ. Hoffentlich hatte man ihn nicht gesehen. Er war sich sicher, dass diese Gestalt nichts Gutes im Schilde führte und hatte deshalb Angst, erkannt worden zu sein. Er wusste, dass man von außen eigentlich nicht hereinschauen konnte. Aber traf das auch für dieses Wesen zu?
Er wartete eine Ewigkeit, bis er wieder aufs Bett stieg. Sein Herz raste noch immer und er atmete schwer. Langsam warf er wieder einen Blick nach draußen. Was, wenn die Person nun vor seinem Fenster stand? Das Zimmer war zwar erhöht, aber eine große Person könnte auf der Veranda stehen und hineinschauen oder davor fliegen. Doch – nichts. Alles war wieder leer. Vorsichtshalber stand er zitternd auf und schloss den Vorhang. So schön die Fenster von der Decke bis zum Boden zuvor noch waren, so Angst machte das offene Zimmer ihm jetzt. Er kam sich vor, als würde er auf einem Präsentierteller liegen. Für jeden weithin sichtbar.
Kapitel 10 – Neuer Tag, neue Chancen
Es hatte lange gedauert, bis Klars einschlafen konnte. Er hatte die ganze Nacht gelauscht, ob jemand vor seinem Fenster war oder gar durch die Tür hereinkam. Erst als der Himmel bereits heller wurde, waren ihm die Augen zugefallen. Und als der Wecker klingelte, kam es ihm vor, als hätte er keine Minute geschlafen.
Nami hingegen war fit wie ein Turnschuh. Sie hatte gut geschlafen und freute sich nach einer geruhsamen Nacht auf den Zauberunterricht. Bisher war ihr noch kein Zauber gelungen, aber heute würde sie es schaffen, das wusste sie. Strahlend ging sie in Richtung Essenssaal. Auf dem Weg sah sie andere Anfänger in ihren Räumen essen. Sie nahm sich vor, am Abend in den Gemeinschaftsraum zu gehen, um neue Leute kennenzulernen. Oder vielleicht sollte sie auf dem Schulgelände spazieren, damit sie sich mit älteren Schülern austauschen konnte. Das wäre bestimmt interessant und Klars könnte ihr ein paar Jungs vorstellen. Sie war in Gedanken versunken, als Elizabeth sie von hinten erschreckte. Sie hatte Namis Augen zugehalten. Diese zuckte zusammen und drehte sich dann lachend um.
»Hatte keinen Zweifel, dass du es bist,« verkündete Nami laut. Elizabeth grinste sie an.
»Karin meinte grade eben, dass sie sich sicher ist, dass wir drei heute den Lichtzauber schaffen. Es ärgert mich, dass Marie diesen schon auf Hängelampen anwenden kann und wir anderen noch nicht mal eine Glühbirne direkt vor uns schaffen,« meinte sie dann.
Nami nickte und sagte inbrünstig: »Ich weiß , dass wir es heute schaffen.«
Mit diesen Worten in ihrem Hinterkopf konnten sie zufrieden und voller Vorfreude frühstücken.
Und schon eine Stunde später durften sie ihren Willen unter Beweis stellen. Die vier Mädchen warteten gemeinsam vor dem Klassenraum von Miss Lemonstein. Karin hing an Maries Rockzipfel und schwärmte von deren Kraft: »Ich wäre auch gern so gut wie du. Wie machst du das bloß?«
Marie reagierte kaum. Sie zuckte nur mit der Schulter. Karin ließ sich davon nicht stören und führte ihre bewundernden Ausführungen fort.
Hinter ihr kam Miss Lemonstein heranstolziert. Sie trug sehr hohe Stiefel und einen eleganten seidenen Zauberumhang. Er schmiegte sich an ihren großen Körper und glänzte weinrot. Miss Lemonstein war bisher Namis Lieblingslehrerin. Sie bewunderte sie. Wenn sie irgendwo eintrat, spürte man sofort ihre Aura, welche durch ihr Aussehen noch verstärkt wurde. Wenn Nami sich eine Hexe hätte vorstellen sollen, dann sah Miss Lemonstein genau so aus.
Miss Lemonstein erklärte zu Beginn den Schülerinnen mit lauter Stimme: »Heute ist schon unsere dritte Zauberstunde und ich zweifle nicht daran, dass ihr es alle schafft, die Glühbirne zum Leuchten zu bringen. Diese Woche habe ich euch noch keine Hausaufgaben gegeben, aber ab nächster Woche erwarte ich viel von euch. Ihr werdet dieses Wochenende viel üben müssen, damit ihr dazu bereit seid. Doch noch haben wir zwei Tage Schonfrist.«
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