„Mellie.“ entfuhr es ihm.
„Das ist nicht Mellie.“ belehrte ihn sein Vater.
Das Heilige Kind näherte sich Benny und seinem Sohn.
„Willkommen in unserer Welt.“ sagte die Kleine, wobei sie Niki beäugte. Dieser zeigte eine Reaktion, die selbst sein Vater nicht kannte. Er betrachtete das Heilige Kind und wagte nicht die geringste Bewegung.
Janina näherte sich den neuen Besuchern und sprach:
„Ich möchte euch unsere Welt zeigen. Darf ich?“
Benny ahnte, was bevorstand, doch Niki war anderer Meinung.
„Klar darfst du es.“ lachte der Junge.
Benny griff seinen Sohn am Ärmel und flüsterte ihm zu:
„Niki, sie wollen uns hier festhalten. Ich weiß noch nicht, wie, aber weshalb solltest du
sonst diese Welt anschauen dürfen.“
„Aber Papa...“ begann sein Sohn.
„Niki.“ fuhr Benny fort. „Was glaubst du eigentlich, warum ich diese Bedenken habe? Weshalb weiß kein Mensch oben von dieser Stadt? Aus welchem Grund sind wir hier?“
„Du hast Recht.“ ertönte die Stimme der kleinen Pflanze Karina. „Wir müssen unsere Welt schützen. Und das können wir nur, wenn die obere Welt nichts von uns erfährt. Aber es ist sinnlos, darüber zu sprechen. Wir werden jetzt essen und dann finden wir eine Lösung. Außerdem möchte ich, dass Niki bei uns bleibt.“ Dabei nahm sie dessen Hand in ihr Handblatt.
Auch Jolish näherte sich langsam.
„Ich will nicht, dass Niki geht.“ sagte er leise.
Benny stutzte. Dasselbe hatte er schon einmal gehört. Damals, als Niki und das Hitmon Rauruk Abschied nehmen mussten. Auch Niki schien mit der Wendung der Dinge einverstanden. Er nahm die kleinen Pflanzenkinder in seine Arme, wandte sich an seinen Vater und sprach:
„Ich möchte bei Jolish und Karina sein, Papa. Ich glaube nämlich, dass sie keine Freunde haben.“
„Wie kommst du denn darauf?“ fragte Benny.
„Ich habe die beiden und auch die anderen genau angeschaut.“ erklärte Niki. „Dabei habe ich gesehen, dass die anderen immer weggegangen sind, wenn sie aufgetaucht sind. Es sind doch ganz liebe Pflanzenkinder.“
„Davon soll ich überzeugt sein?“ grinste Benny, doch er wurde sofort wieder ernst. „Aber dennoch dürfen wir uns nicht von ihnen beeinflussen lassen. Auch wenn du hier Freunde gefunden hast, vielleicht hat man es nur versucht, uns damit festzunageln. Vielleicht wollen sie gar nicht deine Freunde sein. Hast du darüber nachgedacht?“
Niki senkte seinen Blick. Dann sagte er leise:
„Ich möchte bei ihnen sein.“
„Ich glaube, wir sollten erst einmal essen.“ sagte Kolak. „Danach können wir uns ja beraten, wie es weitergehen soll.“
Etwa eine Stunde später saßen alle an einem riesigen Tisch in O-Form, so dass man außen und innen sitzen konnte. Er mochte Platz für 40 Personen haben.
Was aufgetischt wurde, war zum Teil recht seltsam. Verschiedene Pflanzen und Fleischgerichte voller unbekannter Formen brachten sieben Pflanzendiener auf den Tisch. Während Benny neben Kolak saß, wurde Niki von den Pflanzenkindern Jolish und Karina umgarnt. Auch das heilige Kind saß neben ihm.
Obwohl Niki beim Essen sonst gute Benimmregeln besaß, hier ließ er sie fallen. Ehe es sich jemand versah, hatte er seinen Teller bereits mit verschiedenen Essenwaren vollgestopft. Mit einem riesigen Haps verschlang er etwas, das wie ein Fisch aussah. Jolish und Karina amüsierten sich, als sie das sahen. Auch das Heilige Kind schien dies mit guter Laune zu verfolgen.
Der Hohe Rat bestand aus 12 Mitgliedern. Es waren sechs Menschen und sechs Pflanzen als die höchsten Vertreter beider Völker. Unter ihnen war auch Kolak.
„Das weitere Schicksal der beiden Neuankömmlinge muss heute entschieden werden.“ begann Herrscher Mikel. „Wichtig ist für alle Seiten, dass unsere Welt geheim bleibt. Also müssen wir dafür sorgen, dass die Neuankömmlinge hier ein angenehmes Leben haben. Nur so können wir unsere Welt schützen.“
„Mit anderen Worten, Sie wollen uns hier bis an unser Lebensende gefangen halten.“ fiel ihm Benny ins Wort.
„Das klingt nicht sehr gut.“ widersprach Kolak. „Wenn der Herrscher es wünscht, werden wir euch noch einen letzten Blick auf euere Welt geben.“
„Also ein Abschied für immer!“ ergänzte der Unternehmen barsch. Er stand auf und fuhr fort:
„Ich kann eure Situation verstehen. Und ich bin auch nicht daran interessiert, eure Welt in Gefahr zu bringen. Trotzdem habt ihr kein Recht, über unsere Zukunft zu bestimmen. Ich bin selbständiger Unternehmer und für weiß Gott wie viele Kunden verantwortlich. Ich kann es mir nicht leisten, mein Unternehmen so mir nichts dir nichts abzusetzen.“
„Darf ich diese Entscheidung leichter machen?“ fragte plötzlich das Heilige Kind.
Alle Augen waren auf sie gerichtet.
„Wir nehmen ein Boot und die Beiden sollen die Welt oben sehen.“ fuhr sie fort. „Wenn ich darf.“
„Ich weiß zwar nicht, was du vorhast, Janina,“ sagte Kolak. „aber ich glaube, dass du das Richtige tust.“ Er wandte sich zu den anderen und fragte:
„Ist der Hohe Rat damit einverstanden?“
Er bekam Zustimmung von allen Seiten.
„Was hast Du mit uns vor, Heiliges Kind?“ erkundigte sich Niki.
„Nichts Schlimmes.“ kam die Antwort. „Sobald die Tafel aufgehoben ist, werden wir fahren.“
Benny schien keinen Appetit zu haben, dennoch trank er etwas aus dem Becher, das vielleicht ein Extrakt von Wasserpflanzen sein mochte. Auch alle anderen tranken.
„Hast du ihnen das Serum gegeben?“ flüsterte Mikel der großen Pflanze Kolak zu.
„Sicher.“ antwortete dieser. „Obwohl es mir nicht angenehm ist. Aber sie werden ihre Welt oben vergessen.“
Später war es soweit. Kolak besetzte das Boot, mit dem Benny und Niki aufgenommen worden waren. Die Piloten Fuchi und Terr waren auch wieder da. Später ging es ab nach oben, doch das Meer bewegte sich nicht.
„Was ist denn los?“ fragte Benny.
„Wir bewegen uns außerhalb der Zeit.“ erklärte Kolak. „So können wir es euch etwas einfacher machen.“
„Was einfacher machen?“ wollte Benny wissen.
„Ihr werdet es gleich sehen.“ sagte Kolak.
Gleich darauf waren sie oben an der Meeresoberfläche angekommen. Benny sah einige Boote, doch diese und auch die Menschen darin waren völlig unbeweglich. Benny nahm seinen Sohn in die Arme und sprach:
„Sieh `mal, Niki, das Mädchen in dem Boot da vorne sieht doch so aus, wie das Heilige Kind. Sie hat nur blonde Haare.“
Es war Mellie, die mit einem total verweinten Gesicht auf das Meer starrte. Neben ihr der Pilot Richie. Doch Benny und Niki schienen die beiden nicht wiederzuerkennen.
„Du hast recht, Papa.“ bestätigte der Junge. „Aber was machen die in Booten auf dem Meer?“
„Ihr Schiff ist gesunken.“ erklärte Kolak. „Doch sie werden von einem Passagierschiff aufgelesen. Da drüben ist es schon.“
Ein riesiger Kreuzer war am Horizont zu sehen. Ein Dampfschiff, das sich den Menschen in den Booten näherte.
„Dann werden sie doch bald in Sicherheit sein?“ fragte Niki.
„Aber sicher.“ beruhigte ihn Kolak. „Bald werden sie von diesem Schiff aufgenommen.“
„Beruhigend zu wissen.“ sprach Benny.
Kolak war zufrieden. Benny und Niki hatten dank des Serums, das er ihnen verpasst hatte, tatsächlich die Welt und auch Richie und Mellie vergessen.
Das Boot machte sich wieder auf den Rückweg. Alle stiegen aus. Kolak meldete sich sofort beim Herrscher.
„Es ist vollbracht.“ sagte er. „Ihre Erinnerung ist verschwunden.“
Benny näherte sich den beiden und fragte:
„Sind eigentlich noch andere Schiffe hier gesunken?“
„Ja.“ hörte er Janinas Stimme von hinten. „Sie sind alle in einer Bucht, die wir angelegt haben. Aber sie haben Ladung an Bord, die wir zum Teil nicht kennen.“
Читать дальше