Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe
Der interessanteste aller bisher bekannten Hexenprozesse
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Wilhelm Meinhold Die Bernsteinhexe Der interessanteste aller bisher bekannten Hexenprozesse Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Impressum neobooks
Der interessanteste aller bisher bekannten
Hexenprozesse, nach einer defecten
Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers
Abraham Schweidler in Coserow auf
Usedom
Vorrede.
Indem ich dem Publicum hiemit diesen tiefrührenden und fast
romanartigen Hexenproceß übergebe, den ich wohl nicht mit
Unrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantesten
Aller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile ich zuvörderst
über die Geschichte des Manuscriptes die folgende Auskunft:
In Coserow auf der Insel Usedom auf meiner vorigen Pfarre,
und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als
200 Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der
dortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, in
welcher ich zwar schon öfter einige Scripturen liegen gesehen, die ich
jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes
für verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der That auch deren
eine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich mit
Unterricht in der Kirche beschäftigt ein Papierzeichen ... (in) den
Katechismus eines Knaben suchte, und es nicht sogleich finden
konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster (der auch
Appelmann hieß, aber seinem Namensverwandten in unserer
Lebensgeschichte durchaus unähnlich und ein zwar beschränkter,
aber sehr braver Mann wär) unter jenes Chorgestühl, und kehrte
mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen
war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierstreifen
riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und
weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder
entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder
gebundene Manuscript war nicht blos vorne und hinten defect,
sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere
Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben;
er entschuldigte sich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm
das Manuscript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschen
Gedenken umhergelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit
gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte usw. Der greise, halb
blinde Pastor hätte es für alte Kirchenrechnungen gehalten, die doch
nicht mehr zu gebrauchen seien 1 .
Kaum zu Hause angekommen machte ich mich über meinen
Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein und
durchgelesen, regten mich die darin mitgetheilten Sachen mächtig an.
Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die Art und Weise
dieser Hexenprocesse, über das Verfahren ja über die ganze
Periode, in welche diese Erscheinungen fallen, näher aufzuklären.
Doch je mehr dieser bewundernswürdigen Geschichten ich las, je
mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Beeker (die
bezauberte Welt) noch der vorsichtigere Horst (Zauberbibliothek)
und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten
meine Verwirrung heben, sondern dienten nur dazu, sie zu
vermehren.
Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer Zug durch die
meisten dieser Schaudergeschichten, daß den aufmerksamen Leser
Grausen und Entsetzen anwandelt; sondern die ewigen und
unveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- und
Handlungsweise werden auch oft auf eine so gewaltsame Weise
unterbrochen, daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortes
stille steht; wie denn z.B. in einem der Originalprocesse, die ein
juristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert, sich die
Relation findet, daß eine Mutter, nachdem sie bereits die Folter
überstanden, das heilige Abendmahl genossen und im Begriff ist,
den Scheiterhaufen zu besteigen, so sehr alles mütterliche Gefühl bei
Seite setzt, daß sie ihre einzige, zärtlich geliebte Tochter, ein
Mädchen von fünfzehn Jahren, gegen welche Niemand einen
Verdacht hegt, sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlt, gleichfalls
als Hexe anzuklagen, um, wie sie sagt, ihre arme Seele zu retten.
Das Gericht mit Recht erstaunt über diesen, vielleicht nie wieder
vorgekommenen Fall, ließ ihren Gesundheitszustand von Predigern
und Aerzten untersuchen, deren Original-Zeugnisse den Akten
noch beiliegen und durchaus günstig lauten. Die unglückliche
Tochter, welche merkwürdiger Weise Elisabeth Hegel hieß, wurde
in Folge dieser mütterlichen Aussage denn auch wirklich
hingerichtet 2 .
Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, diese
Erscheinungen aus dem Wesen des thierischen Magnetismus zu
begreifen reichen durchaus nicht hin. Wie will man z.B. die tiefe,
dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegenden
Werke daraus ableiten, die unbegreiflich ist, und es ganz erklärlich
macht, daß der alte Pfarrer, trotz des, ihm mit seiner Tochter
gespielten, entsetzlichen Betruges so fest in seinem Glauben an das
Hexenwesen, wie in dem, an das Evangelium bleibt.
Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig oder
nichts von Hexen. Das Verbrechen der Zauberei, wo es einmal
vorkam, wurde milde bestraft. So z.B. setzte das Concilium zu
Ancyra (314) die ganze Strafe dieser Weiber in ein bloßes
Verbannen aus der christlichen Gemeinschaft; die Westgothen
bestraften sie mit Prügeln, und Carl der Große ließ sie auf den
Rath seiner Bischöfe so lange in gefänglicher Haft, bis sie aufrichtige
Buße thaten 3 . Erst kurz vor der Reformation klagt Innocentius
VIII., daß die Beschwerden der ganzen Christenheit über das
Unwesen dieser Weiber, so allgemein und in einem solchen Grade
laut würden, daß dagegen auf das Entschiedenste eingegriffen
werden müsse, und ließ zu dem Ende 1489 den berüchtigsten
Hexenhammer (malleus malleficarum) anfertigen, nach welchem
nicht blos in der ganzen katholischen, sondern merkwürdiger Weise
auch in der protestantischen Christenheit, die doch sonst alles
Katholische verabscheuete und zwar mit solchem fanatischen Eifer
inquirirt wurde, daß die Protestanten es weit den Katholiken an
Grausamkeit zuvor taten, bis katholischer Seits der edle Jesuit J.
Spee und protestantischer obgleich erst siebzig Jahre später, der
treffliche Thomasius dem Unwesen allmählich Einhalt thaten.
Nachdem ich mich auf das Eifrigste mit dem Hexenwesen
beschäftigt hatte, sah ich bald ein, daß unter allen diesen, zum
Theil so abenteuerlichen Geschichten, keine einzige an lebendigem
Interesse meine »Bernsteinhexe« übertreffen würde, und ich nahm
mir vor, ihr Schicksal in die Gestalt einer Novelle zu bringen.
Doch glücklicher Weise sagte ich mir bald: aber wie? ist ihre
Geschichte denn nicht schon an und für sich die interessanteste
Novelle? Laß sie ganz in ihrer alten ursprünglichen Gestalt; laß
fort daraus, was für den gegenwärtigen Leser, von keinem Interesse
Читать дальше