hoch in die Höhe und rufete: nun schau du armes,
gläubiges Häuflein, welch ein süßes Mannabrod dein
treuer Erlöser Dir durch mich gesendet, worauf alles
schriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder
abermals herbeisprangen, und die Händlein ausrecketen,
indeme sie schrien: »kiekt Brod, kiekt Brod!« Da ich aber
vor Wehemuth selbsten nit beten kunte, ließ ich Paassch
sein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit
meine Maria das Brodt zuschnitt und einem Jeglichen
sein Theil reichete. Und nun langeten wir allesammt
freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüsten.
Hierzwischen mußte nun aber erzählen, wie ich das
liebe Mannabrod gefunden, wobei nit versäumete sie
abermals zu vermahnen, daß sie wöllten das große
Wunderzeichen sich zu Herzen gehen lassen, so der
barmherzige Gott, wie weiland an dem Propheten Elisa,
an ihnen auch gethan, angesehen wie ein Raab in der
großen Hungersnoth demselbigen das Brod in der
Wüsten zugefuhret, der Herr auch mir dieses Brod durch
einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich
ihm sonst wohl in meiner Trübsal vorbeigeschritten, und
es nimmer gesehen hätte.
Als wir endiglichen unsern Bauch mit Nothdurft
gefüllet, hielte die Danksagung über Lucas 12, v. 24, wo
der Herre spricht: nehmet wahr den Raben, sie säen
nicht, sie erndten auch nit, sie haben auch keine Keller
noch Scheuen, und Gott nähret sie doch, Wieviel aber
seid ihr besser denn die Vögel? – Aber unsere Sünden
stunken vor dem Herrn. Denn da die alte Lise, wie ich
bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit verzehret,
weilen sie ihr zu nüchtern fürkamen, sondern selbige in
den Knirkbusch 8 geworfen, ergrimmete sein Zorn über
uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur
Nacht nur sieben Vögel auf den Schneeren, am andern
Morgen aber nur zween. Auch kam kein Raab wieder, der
uns Brod wiese. Darumb schalt ich die alte Lise und
vermahnete das Volk, sollich gerechte Strafe des
höchsten Gottes williglich auf sich zu nehmen, fleißig zu
beten, in seine verlassenen Hütten zurückzuwallen, und
zu sehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe
mehr bescheeren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet
Tag und Nacht anrufen; doch noch eine Zeit lang mit
meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen
verblieben und der Dohnen hüten, ob sich sein Zorn
wenden möcht. Sollten mir inzwischen mein Pfarrhaus
nach besten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald
wieder beziehen könnt, sintemalen die Kälte mir fast
schwer fiele. Solliches gelobten sie auch zu thun, und
schieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein
Häuflein! – fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch
sonsten über 80 gewest; alle andern hatte der Hunger, das
Schwert und die Pestilenz 9 gewürget. Blieb dahero noch
mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang einsam und
traurig in den Höhlen und sendete nur mein Töchterlein
nebst der Magd mit zum Dorfe, daß sie sich umbsehen
sollten, wie es in der Widemen 10 stände, item die
Schriften und Bücher wieder zusammenlesen, auch mir
Kundschaft bringen, ob Hinze der Zimmermann, den ich
alsobald in's Dorf zurückgesendet, die Särge vor die
elenden Leichnahme zusammengehämmert, daß ich sie
des nächsten Tages begraben möchte. Darauf schritt ich
zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen
zu verspüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn
Gottes noch nit vorüber.
Traf jedoch einen schönen Brummelbeerenbusch,
woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem
Vogel selbige in Staffer Zuter seinen Grapen thät, den
der gute Kerl uns noch eine Frist gelassen und zur
Nachtkost auf ein Feuer setzete, wann mein Kind mit der
Magd zurückkehren würd. Währete auch nicht lange, als
sie durch den Busch brachen und von dem Gräuel der
Verwüstung erzähleten, so der leidige Satan unter
Zulassung des gerechten Gottes im Dorf und in der
Widemen angerichtet. Mein Töchterlein hatte noch ein
paar Bücher zusammengelesen, die sie mit sich trug, vor
andern einen Virgilium und eine griechische Bibel. Und
als sie darauf verzählet, daß der Zimmermann erst
morgen fertig würd, wie auch alsbald unsem Bauch zur
Nothdurft gestillet, mußte sie mir zur Stärkung meines
Glaubens noch einmal den locum von den lieben Raaben
Lucas am 12ten aus dem Griechischen fürlesen, item den
schönen locum parallelum Matth. am 6ten, worauf die
Magd den Abendseegen betete, und wir uns nach den
Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern
Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe
herfürbrach und über den Berg schauete, hörete, ich, daß
mein arm hungrig Töchterlein schon vor der Höhlen
stand und das schöne Liedlein von den Freuden des
Paradieses recitirte, so der heilige Augustinus gefertiget,
und ich ihr gelernet. 11 Sie schluchzete für Jammer als sie
die Worte sprach:
uno pane vivunt dives utriusque patriae
avidi et semper pleni, quod habent, desiderant
non sacietas fastidit, neque fames cruciat
inhiantes semper edunt, et edentes inhiant
flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,
Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,
virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt
pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,
pendent poma floridorum non lapsura nemorum
non alternat luna vices, sol vel cursus syderum
agnus est foelicis urbis lumen inocciduum 12
Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als sie
schwiege, fragte ich: »was machst du da mein
Töchterlein?« worauf sie mir zur Antwort gabe: »ich esse
Vater.« was mir erst recht die Thränen herfürtrieb, so daß
ich anfing sie zu loben, daß sie die arme Seele speißen
wöllt, da sie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber
noch nit viel gesprochen, als sie aufschriee, daß ich das
große Wunderwerk doch betrachten söllte, so sich aus
der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen
hereinbrach. Denn siehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz
geformiret, kam über uns und ließ dicke schwere Tropfen
bei einer guten Erbsen groß und drüber auf uns
niederfallen, worauf sie alsbald hinter das Gehäge sank.
Richtete mich dannenhero sogleich in die Höhe, und
rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr
nachzuschauen. Sie zog gen das Achterwasser 13 , wo sie
sich weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen
großen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die
Sonne beschien, so daß er schier wie eine güldne Brücken
anzuschauen war, wie mein Töchterlein sagte, auf
welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr
sogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß unser
Kreuz für über gezogen, aber ach unser Kreuz sollte erst
anheben, wie man weiter lesen wird.
Fußnoten
1 Ein ansehnlicher Berg am Meere nahe bei Coserow.
2 auch haben, auch haben.
3 Ps. 145, 15, 16.
4 beschwichtigen.
5 Wachholderbüsche.
6 o Jammer der Feind ist da! – Ueber die wunderbare
Bildungsweise des Mädchens erklärt sich unser Verfasser
später.
7 komm nur wieder hervor, es sind Freunde!
8 Wachholdergebüsch.
9 fand im Jahre 1628 statt und häufte das Elend des
30jährigen Krieges auf der hiesigen Insel auf das
Unerträglichste. Schade, daß die Schilderung des alten
Pfarrers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden
Читать дальше