Wir sehen: In die Welt der Spannungen und Antagonismen hinein tritt eine zielstrebige Idee mit dem Willen zur gemeinsamen Aktion, zur Partnerschaft, zum Synergismus, wodurch positive, produktive Arbeit ermöglicht wird. Das ist das Urphänomen des Lebendigen und des Lebens! Das Lebendige wird somit durch eine neue Tat des Geistes, durch einen neuen Akt der Schöpfung, durch die Erschaffung eines neuen Reiches der Ordnungen.
Das Urphänomen des Lebens bedeutet also eine Organisation der Energien oder Ätherwellenspiele der Welt, die sowohl die Materie wie die Strahlungen erfasst und damit neue Gebilde mit zielgerichteter produktiver Arbeitsfähigkeit entstehen lässt. Organisation ist aber wiederum ein Attribut des Geistes.
Aber der Organisator bezieht nur das in seine Organisationen ein, was seinen Bauplänen und seinen Zielen produktiver Arbeit dient. Er verleiht den organisierten Neuschöpfungen die ihnen dienlichen Fähigkeiten oder Potentiale, den spezifischen Bauplan, die Ziele der produktiven Arbeit zur Erhaltung und Fortpflanzung. Er ersinnt den Bauplan und den Werkplan, wählt das Bau- und Werkmaterial aus, leitet den Bau des Tempels und überwacht sein Wirken. Was da verwendet wird und was da geschieht, erfolgt alles nach Ordnungsgesetzen gegenseitigen Ebenmaßes, gegenseitiger Korrelationen .
Jedes Lebewesen hat seine, ihm allein zugehörigen Bau- und Werkpläne als Potentiale ins Leben miterhalten, gleichsam seinen Freibrief vom Schöpfer. Kein höheres geht aus einem niedrigeren Wesen durch Entwicklung hervor. Die Entwicklung vollzieht sich potentiell vor der Schöpfung, im Geiste, und jedes Lebewesen entspricht einer Urkonzeption des Geistes. So auch der Mensch.
Die naturwissenschaftliche Forschung suchte die Welt auf analytischem Wege — chemisch, physikalisch, morphologisch, kausal und formal — zu ergründen. Auf der einen Seite entfernte sie sich dabei immer weiter vom Verstehen der Welt (Heisenberg), auf der andern Seite führte sie uns dorthin, wohin sie nicht wollte — zur Entdeckung der Existenz des Geistes, der Existenz Gottes, wobei sie uns im Höchstmaße einen Blick in sein wunderbares Wirken eröffnete. Geist und Gott lassen sich exakt-naturwissenschaftlich nicht beweisen, wohl aber durch logisches Denken erweisen und am Wirken erfassen. Und dabei ist der Geist das Natürlichste, was es gibt.
Um im Bilde zu sagen, was sich mit Worten nicht sagen lässt, sehen wir nun das Lebendige als ein in riesigen Akkorden aufgebautes Kunstwerk der Schöpfung, als eine grandiose Symphonie . Bei ihrer Aufführung fehlt nichts: Komponist, Dirigent, Partitur und das ganze Orchester sind da. Die größte unter diesen vielen Symphonien ist der Mensch. In ihm kommt das Geistige am stärksten zum Ausdruck. Unser Wesen ist eine Unitas triplex , eine Dreieinigkeit aus Leib, Seele und Geist, also nicht nur eine Leib-Seele-Einheit, sondern eine
Leib-Seele-Geist-Einheit!
Die Seele aber ist der Abkömmling aus der Vereinigung von Geist und Materie im Urphänomen des Lebendigen.
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Nun wissen wir, „Woher“, „Wodurch“ und sogar „Wie“ wir geworden sind. Der Geist, das „Vorwissen“, Ormudzd, Gott hat in der Tat alles und auch uns erschaffen. In ihm sind alle Fähigkeiten, alle Potentiale vereint vorhanden, und davon hat er uns ein reiches Maß voll zugeteilt. Er ist das Präpotentiale , aus dem alles hervorgeht, alles wird , ohne welches nichts existieren würde.
Das „Nachwissen“ Ahriman, — wenn Sie wollen — der Teufel, hat den Menschen und die Wissenschaftler immer wieder geblendet, so dass sie die Herkunft im Materiellen, im Mechanischen, im Chemisch-Physikalischen suchten und dabei des Geistes Dasein und Wirken, sowie ihre unlösbare Verbundenheit mit ihm vergaßen oder verhüllten oder gar verneinten. So vollzog sich die Entwurzelung der derzeitigen Menschheit.
Der Geist, von dem ich spreche, ist uns nahe, ist in und um uns, ist unser mächtigster und bester Freund. Nicht unser Widersacher ist er, wie heute einige Philosophen sagen. Der Widersacher ist der Antigeist, das „Nachwissen“.
Ein solches Weltbild und solches Wissen ist wohl für jeden Menschen wichtig, am notwendigsten aber ist es dem Arzte und dem Kranken. Was mit uns körperlich oder seelisch geschieht, steht stets im Zusammenhang mit der Unitas triplex. Was aber den Kranken heilt und den Gesunden schützt, das ist der Geist und das Leben in seinem Reiche der Ordnungen.
Sei es, dass wir in stiller Stunde die Aufmerksamkeit einwärts dem innersten Geschehen in uns zuwenden, oder sei es, dass die Erinnerung über den bisherigen Ablauf unseres Daseins auf Erden hinblickt, stets drängt sich uns der Eindruck auf, dass das Leben einem Strome gleicht, der unaufhaltsam wogt und fließt. So sagte schon der griechische Philosophe Heraklit: „Panta rhei“, alles fließt. Auch die Phantasie des Künstlers kennt den Lebensstrom. In seinem symbolischen Roman „She“ verlegt Rider Haggard das pulsierende Kreisen des Lebensstromes in tief gelegene Hohlräume der Erde, zu denen die zweitausend Jahre alte ägyptische Königstochter mit ihrem Begleiter hinabsteigt. Wer in diesem Lebensstrom eintaucht, gewinnt ewiges Leben und ewige Jugend. Doch — das ist ja der Phantasietraum eines Dichters. Wenn wir ihn zu deuten versuchen, verkörpert die zweitausendjährige, ewig junge, ägyptische Königstochter die unsterbliche altägyptische Weisheitslehre, die von den Mysterien des Lebens handelt; die ins Innere der Erde verlegten Hohlräume aber, in denen der Lebensstrom kreist, symbolisieren die unzugänglichen Tiefen der Seele, des unterbewussten Reiches im Menschen.
Auch der moderne Naturforscher erkennt in den Tiefen unseres Wesens ein unaufhörlich fließendes Geschehen, das vom Bewusstsein des Einzelnen nur in Form des „Lebensgefühls“ erfasst wird. Adolf Koelsch gibt davon in seinem Buche „Das Erleben“ folgende Darstellung:
„Das unmittelbar Gewisseste, was jedem eignet, das Innigste, Vertrauteste und Seelischste, was er besitzt, ist das Lebensgefühl, das Gefühl: ,Ich lebe, ich lebe!‘ Es ist ein Rauschen im Seelengrund, das ohne Anfang ist und ohne Ende, nicht zu beschreiben und mitzuteilen, weil es schon im Wort, worin es die Sprache zu einem Ding für alle zu machen versucht, sich dem entfremdet, als welches es der Einzelne fühlt. Bald ist es ein Jubel, bald eine Qual, in der Regel aber dringt es während der wachen Lebenszeit ins Oberbewusstsein so wenig ein wie das Geräusch eines Wasserfalls, der ununterbrochen vor unsern Fenstern herabstürzt.“
„Aber im Augenblick, wo ein Bruch in das Rauschen kommt — und es gibt solche Augenblicke im Anschluss an gewisse ,körperliche Zufälligkeiten‘ in jedem reiferen Leben —, wo etwas wie eine Ohnmacht uns überfällt oder nur die leiseste Dissonanz sich in jenem Rauschen erhebt, wird es uns schwarz vor Augen. Man fährt mit den Armen in die Luft, keucht, blickt hinter sich, um sich: — es ist entsetzlich; — aber noch bevor man hätte bemerken können, was das gewesen ist, was einem da widerfahren wollte, ist die Bruchstelle wieder zusammengeflossen, schon gehört die Dissonanz der Vergangenheit an, man fühlt sich wieder , man atmet, sieht Licht, man ist sich seiner sicher als Leben, als Dasein, als Körper, als Ich. Doch ob es auch nichts scheint gewesen zu sein, was da vorüberzog und nach etwas Unbestimmtem in uns gegriffen hat, so weiß man doch, es war der Tod.“
„Von Stund an gibt's keine Ruhe mehr. Das Rauschen im Seelengrund ist eine wichtige Sache geworden, die einen bis in die Grübeleien der Träume verfolgt, man beginnt zu denken und zu forschen, was es wohl seinem Wesen nach sei, womit Bekanntem es sich vergleichen lasse und wie es zustandkommt. Man tut das, obgleich man weiß, dass der Wunsch, ihm auf diese Weise ganz nahe zu kommen, so unmöglich erfüllbar ist wie der Flug in die Sonne. Denn als Gefühl ist es nur im Erlebtwerden wirklich und alles Erlebnisgeschehen ist abhold dem Verstand. Aber ist schließlich nicht auch das Hungergefühl nur im Erlebtwerden wirklich? Und gibt es nicht trotzdem eine verstandesmäßige Weise des Schauens, die sich tief in seine Verfassung, seine Physiologie und Entstehungsgeschichte einzubohren vermag? Es gibt sie in der Tat.“
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