Rund 15 Elementarstoffe dienen als Bausteine all der mannigfaltigen, teils einfachen, teils immer komplizierter werdenden Moleküle der Lebensmaterie. Diese 15 Atomarten sind eine Auswahl aus den 92 bekannten Elementen der Weltmaterie, die nach dem periodischen System von Lothar Meyer und Mendelejew sich ordnen lassen. Jedes dieser Elemente hat seine besonderen Eigenschaften, sein Atomgewicht, seine Wahlverwandtschaften oder Affinitäten, seine elektromagnetischen Kräfte, die einen anziehend, die andern abstoßend; jedes hat seine besonderen Beziehungen zum Lichte, die von der Spektralanalyse erforscht wurden. Nach ihren besonderen Eigenschaften wurden die zum Aufbau der lebendigen Substanz dienlichen aus den 92 ausgewählt, wurde die Menge bestimmt, mit der jedes einzelne Element in den Verband der Lebensmaterie einzutreten hat.
Wer traf die Wahl, wer bestimmte die Mengen? Darüber weiß uns die Chemie nichts zu sagen.
Nun kam die Atomphysik und drang mit weitergehender Analyse noch tiefer ein in das Geheimnis der Materie. Sie zeigte, dass das Atom nicht das letzte Teilchen ist, in das sich die Materie zerspalten lässt. Das Atom ist, wie ein Planetensystem, aufgebaut aus Protonen, Elektronen, Neutronen, alles Teilchen von unvorstellbarer Kleinheit. Während die Protonen und Neutronen einen Kern bilden, kreisen die Elektronen mit unerhörter Geschwindigkeit in Bahnen von verschiedener Entfernung um diesen Kern herum. Das einfachste Atom ist dasjenige des Wasserstoffs. Es besteht aus dem einfachsten Kern und nur einem kreisenden Elektron. Sein Atomgewicht ist 1. In wunderbarer mathematischer Ordnung folgen nun die Konstitutionen der 91 anderen Elemente, deren Kerne in arithmetischer Progression das Vielfache des Wasserstoffkernes sind, wobei die Zahl der kreisenden Elektronen im gleichen Maßstabe wächst. Es zeigt sich also im Reiche der Elemente der Materie das Walten einer erstaunlichen Ordnung.
Die weitere Forschung kommt sodann zur Erkenntnis, dass diese Elektronen, Protonen, Neutronen nicht mehr Materie sind, sondern Wellenbewegungen, Schwingungen des Weltäthers, Schwingungen von unerhörter Geschwindigkeit. Damit ist auf einmal die Materie verschwunden, der Boden unter den Füßen weggenommen. Alles, das Feste, das Flüssige und das Gasförmige hat sich aufgelöst wie der Nebel in der sonnenwarmen Luft. Es bleibt nur noch die Wellenbewegung, die Schwingung des Weltäthers, nur noch die Urenergie . Wir sind gleichsam beim Anfang aller Dinge, heim Chaos , angelangt. Alles, was wir so gut zu kennen glaubten, der Fels, das Eisen, das Gold, der Sauerstoff, das Wasser, die Nahrung, ja unser eigener Körper ist im letzten Grunde keine Materie, sondern Wellenbewegung, Schwingung.
Woher aber Wellenbewegung, Schwingung kommt, und was der Weltäther ist, das weiß uns die Physik nicht zu sagen. Hier endet das analytische Forschen im Unbestimmten (Heisenberg). Das allerdings weiß sie noch zu sagen, dass zum Entstehen einer Schwingung ein Impuls notwendig ist, und dass Schwingungen nur fortdauern können, wenn der Impuls sich wiederholt, d. h. wenn der Impuls erhalten bleibt. Sie postuliert deshalb ein neues Prinzip, das Prinzip von der Erhaltung des Impulses . Aus ihm folgt das schon längst bekannte Prinzip von der Erhaltung der Energie.
Mit eiserner Konsequenz führt uns somit die Naturwissenschaft zu dem logischen Schlusse, dass am Anfang aller Dinge der Welt der Impuls steht. Weiter aber geht die exakte Naturforschung nicht. Es gibt nun keinen exakt-naturwissenschaftlichen Weg mehr, der in das Geheimnis des Lebens hineinführt. Es gibt nur noch den Weg des logischen Denkens.
Doch hat uns die Naturforschung auf ihrem analytischen Wege, auf dem Wege vom Lebendigen zum Chaos, mit ihren wunderbaren Ergebnissen solche solide Stützpunkte für das logische Denken geschenkt, dass wir es damit versuchen dürfen. Das logische Denken aber lehrt uns, dass wir den Weg umgekehrt, vom Chaos zur Materie und von der Materie zum Lebendigen hinauf gehen müssen.
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Was sagt uns nun das logische Denken auf unserem Wege vom Chaos zur Materie und von da zum Lebendigen?
Wir hörten: der Impuls steht naturwissenschaftlich am Anfang aller Dinge. Zum Impulse, sagt das logische Denken, bedarf es der Initiative , und Initiative ist ein Attribut des Geistes . Mit dem „Geist“ tritt nun plötzlich ein denknotwendiges Prinzip in unsere Forschung ein, ein Prinzip, das nicht mehr exakt-naturwissenschaftlich zu beweisen ist, dessen Existenz jedoch sich durch seine Wirkungen erweist . Diese geistige Wesenheit erteilt und erhält den Impuls, setzt den Weltäther in Bewegung.
Wenn wir nun sehen, wie sich in der Wirklichkeit die Wellenbewegungen zu einer großen Tonleiter, dann zu Protonen, Elektronen, Neutronen, dann zu der arithmetischen Reihe der Atome — gleichsam zu wohlgeordneten, aber immer komplizierter werdenden Klängen —, zusammenfügen und ordnen, dass sich sodann die Atome der 92 Elemente nach bekannten Gesetzen zu noch weit komplizierteren Gebilden — zu Akkorden und Klangspielen —, zu Molekülen zusammensetzen, so führt uns dies zwar noch nicht in das Reich des Lebendigen, wohl aber in das Reich der Ordnungen . Da Ordnung wiederum ein Attribut des Geistes ist, so ist dieses gesamte, grandiose Geschehen und Werden ebenfalls wieder ein Werk, in welchem sich die Existenz und das Walten der geistigen Potenz offenbart. Es wird damit klar, dass schon die gesamte unbelebte Materie durchgeistigt ist.
Wiederum spricht das logische Denken: Wo Schwingung ist, ist auch Spannung zwischen zwei Polen, besteht also Bipolarität. Wo nur zwei Pole sind, entsteht eine einfache, lineare Spannung. Wo viele Pole sind, entstehen vielpolige, komplizierte Spannungen. Spannung ist Gegenwirkung von gegeneinander wirkenden Kräften oder Antagonisten. Aus solchen ein- und vielpoligen Spannungen und Antagonismen setzt sich die leblose Materie der uns bekannten Welt zusammen.
In dieser Welt der Spannungen und Antagonismen tritt nun das Urphänomen des Lebendigen auf. Es besteht darin, dass die Antagonismen in Partnerschafts -Beziehung zueinander gebracht werden, so dass sie zielgerichtete, produktive Arbeit leisten können.
Der Entdecker des Urphänomens des Lebendigen, der größte klinische Denker unserer Zeit, Prof. Dr. Martin Sihle , Direktor der I. Mediz. Universitätsklinik in Riga, dessen Gedankengängen ich hier folge, gibt, um den Verhältniswert Antagonismus-Partnerschaft besser verständlich zu machen, das folgende Beispiel:
„Zwei Männer sind im Begriff, eine produktive Arbeit zu leisten, z. B. einen schweren Sack in einen Warenwagen zu schaffen. Um diese Arbeit zu leisten, ist es notwendig, dass unter anderem zunächst ein antagonistisches Prinzip in Aktion trete. Dieses antagonistische Prinzip kann z. B. derart verwirklicht werden, dass die Arme der Arbeiter, auf denen der Sack durch vorhergehende Manipulationen, dadurch in Spannung versetzt werden, dass beide Arbeiter sich fest an den Händen halten. Die Spannung ist der Effekt der antagonistischen Tätigkeit der Arbeiter, indem der eine nach der einen, der andere nach der anderen Seite zieht. Dieser Antagonismus befördert wohl nicht den Sack in den Wagen. Er tut es auch nicht, wenn die Antagonisten abwechselnd in erhöhte Tätigkeit gelangen, wenn das rhythmische Prinzip eintritt, d. h. wenn bald der eine, bald der andere stärker zieht. Denn in diesem Falle würde der Sack nur hin und her schwanken, in den Wagen jedoch nicht gelangen. Zur positiven, produktiven Arbeit des Hineinschaffens des Sackes in den Waggon ist es notwendig, dass außer dem antagonistischen noch ein anderes Prinzip verwirklicht werde — ein Prinzip, das der Tätigkeit beider Arbeiter gemeinsam ist. Die Antagonisten müssen zu gleicher Zeit Partner sein. Wo aber Partnerschaft ist, da ist Zielstrebigkeit, da ist Finalität. Und zwar kann diese Zielstrebigkeit eine freiwillig bedingte sein, indem beide Arbeiter selbständig eine und dieselbe Idee haben, oder aber sie kann auch erzwungen sein, indem der Arbeitgeber die Idee den Arbeitern eingibt; bzw. die Verwirklichung seiner Idee erzwingt.“
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