Ulrike Waldbach
Sommerfrische
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ulrike Waldbach Sommerfrische Dieses ebook wurde erstellt bei
* * Dieses Buch widme ich meiner Mutter, Helga Susanna Waldmann. Die Liebe blüht dir nach. Und Harald Leitinger Wo auch immer du jetzt bist.
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Impressum neobooks
Dieses Buch widme ich meiner Mutter,
Helga Susanna Waldmann.
Die Liebe blüht dir nach.
Und
Harald Leitinger
Wo auch immer du jetzt bist.
The summer day
Tell me, what else should I have done?
Doesn’t everything die at last, and too soon?
Tell me, what is it you plan to do
with your one wild and precious life?
Der Sommertag
Sage mir, was hätte ich sonst tun sollen?
Stirbt nicht alles zu guter Letzt, und viel zu schnell?
Sage mir, was hast Du vor
mit Deinem einen, wilden, kostbaren Leben?
Mary Oliver
Die Hauswand war noch von der Sonne gewärmt, als Lena, ein Glas Rotwein in der Hand, an die Holzschindeln lehnend, weit über die Hügel in die Ferne blickte.
Durch das offene Fenster hörte sie ihren Mann Knoblauch für ihre Lieblingssauce hacken, sie bildete sich sogar ein, sie schon ein wenig zu riechen, vor ihrem inneren Auge schmiss sich gerade der Rosmarin ins brutzelnde Olivenöl.
»So soll es bleiben. So soll es bleiben. So soll es bleiben!«, dachte sie selig vor sich hin lächelnd, hob ihr Glas und nahm einen kleinen Schluck Zweigelt.
In diesem Moment sprang der Kater auf ihren Schoß, krachte in das Glas, bohrte vor Schreck seine Krallen in Lenas Oberschenkel, bevor er fauchend über den Tisch davon hechtete. Tausende Scherben lagen am Boden verstreut, Rotwein rann in kleinen, feinen Rinnsalen zwischen ihre Finger, über ihre Hände, auf ihr neues T-Shirt.
Lena sprang auf, fluchte und suchte nach einer Möglichkeit, ihre Hände abzutrocknen.
Plötzlich hörte sie einen Schrei. Gellend, einschneidend, schrill. Sie hielt kurz die Luft an, wusste sofort, dass dieser vom Älteren ihrer beiden Söhne ausgestoßen worden war, wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab und drehte sich zum Küchenfenster. Ihr Mann schien entweder nichts gehört zu haben oder bevorzugte nichts hören zu wollen. Vertieft ins Zerbröseln vom Blauschimmelkäse werkelte er unberührt weiter.
»Es war sowieso zu schön, um wahr zu sein«, murmelte sie in sich hinein, verabschiedete sich kurz von der sonnengewärmten Holzwand, vom jetzt eindeutig wahrnehmbaren Knoblauchgeruch in der Luft, vom ehemals gedeckten Tisch, der Aussicht, der Rotweinflasche und spurtete los.
Denn dieser Schrei verhieß nichts Gutes.
Vom Balkon aus sprang sie über die Wendeltreppe hinunter, lief flotten Schrittes quer durch den Garten, wälzte sich über den Zaun und hechtete den Hügel hinunter, rüber zum alten Holzstadel. Da saßen sie in der Wiese und weinten. Schon von Weitem erkannte sie ihren Jüngeren mit einer Hand die Schere wie einen Degen Richtung Himmel strecken, mit der Anderen versuchte er seinen großen Bruder abzuwehren. Dieser krallte seine Fingernägel tief in den Oberarm des Kleinen, schrie schrill und drückte mit der freien Hand an sein Ohrläppchen.
»Auseinander!«, brüllte ihre Mutter in einer ungeahnten Lautstärke, sodass die Gänse vom Nebenhof anfingen hysterisch los zu schnattern.
»Schere fallen lassen!«
Der Wind hob sich und wehte durch ihr wirres Haar.
»Sofort!«
Erschrocken taten die Kinder wie ihnen befohlen, starrten Lena an, suchten jeder für sich voller Verzweiflung nach einem Ausweg, einem Wunder, welches sie von hier und dem Blick ihrer Mutter wegbringen könnte. Wie auf Kommando begannen sie gleichzeitig lautstark die Situation zu schildern. Lena nickte, hörte zu, untersuchte das verletzte Ohrläppchen, starrte in die Wiese, nickte wieder, fand ein Hirtentäschel, riss es ab, zerrieb es mit einem Stein und hielt das zerquetschte Kraut an das verletzte Ohr ihres Sohnes.
Sie nahm dem Kleinen die Schere ab und steckte sie in ihre hintere Hosentasche. Die Zwei plapperten immer noch unaufhörlich weiter, jeder seine Unschuld beteuernd. Während der Wortschwall ihrer Kinder ungehindert auf sie einprasselte, las sie seufzend die Haarbüschel vom Boden auf, ließ sie wieder durch ihre Finger rieseln und wünschte sich auf ihren Balkon zurück.
»Schon gut, schon gut, schon gut! Kommt mit!«, zischte sie in einem Ton, den die Beiden nur zu gut kannten. Wohl wissend reichte ihr jeder schweigend eine Hand. So zog sie ihre Söhne hinter sich her, stapfte mit großen Schritten über die Wiese, die zu dem Grundstück ihrer Nachbarin führte, trieb ihre Kinder wortlos über den Zaun und schwang sich anschließend selbst darüber. Nach einer kurzen, aber steilen Strecke kamen sie zu einem hübschen, perfekt zum Frühsommer passend dekoriertem Haus. Lena hatte diesmal keine Energie sich darüber zu ärgern, dass ihre Nachbarin Karla ihr schon wieder einen Tick voraus war. Schmetterlinge aus Pappmaché an frischgeflochtenen Blumenkränzen wurden sowieso total überbewertet. Ding-Dong.
»Kommt doch rein!«, trällerte Karla von oben.
»Zieht gefälligst eure Schuhe aus, und du, tropf hier kein Blut aufs Parkett!« Lena schubste ihre Kinder vor sich hinein ins warme Haus, schlüpfte aus ihren Turnschuhen und half den Kindern umständlich die Schuhe auszuziehen. Als Karla die drei so in ihrem Eingang sah, trat sie wortlos in ihre Küche, machte ihren alten Holzschrank auf, holte zwei kleine Gläser heraus, eine Flasche Schnaps und schenkte beide Gläser randvoll ein. Lena und die Kinder folgten ihr wortlos. Karla reichte Lena ein Glas, sie stießen an, nickten sich kurz zu und tranken den Schnaps in einem Zug aus.
Die Kinder hielten inzwischen vorsichtig nach den Nachbarskindern Ausschau, wagten es aber nicht, nach ihnen zu fragen. Der Große hielt immer noch die Kräuter auf sein Ohrläppchen, bröselte ein wenig davon auf den Boden und warf seinem Bruder einen kurzen, funkelnden Blick zu. Karla sprach, so beruhigend sie konnte.
»Ich hol schon mal ein Pflaster für das Ohr. Schenk dir derweil ruhig nach!«, und war im Bad verschwunden.
Schweigen.
Der Große sah sich plötzlich in der Spiegelung der Verglasung des Holzschranks und begann zu weinen.
»Wir wollten doch nur Frisör spielen!« Ein Blick seiner Mutter brachte ihn sofort zum Schweigen. Als Karla wieder hier war und das Ohr des Großen versorgt wurde, besprachen sie gemeinsam, wie sie die zerschnipselten Haarschöpfe wieder zu halbwegs adretten Kinderköpfen ummodeln könnten. Nach dem zweiten Schnaps beschlossen sie, die Haare selber zu schneiden. Mit Schwung fischte Lena die Schere wieder aus ihrer Hosentasche, Karla holte sicherheitshalber noch den Trimmer ihres Mannes. Die Kinder bekamen große, immer größere Augen, die sich rasch mit Tränen füllten, welche sich aber nicht getrauten, über den Rand zu kullern. Sie blickten sich kurz an und waren wieder Verbündete was ihnen jedoch nichts nutzte, denn hier gab es für sie keinen Ausweg.
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