Nach einer halben Stunde waren beide Frauen mit dem Resultat so weit zufrieden, dass sie Schere und Trimmer absetzten, ein, zwei Schritte zurücktraten, sich gegenseitig für ihr Werk lobten und mit einem kleinen Schnaps darauf anstießen. Plötzlich erinnerte sich Lena an ihren zuhause friedlich kochenden Mann. Sie half ihrer Nachbarin die Haare wegzukehren, packte ihre Kinder ein, bedankte und verabschiedete sich.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Gemeinsam stolperten sie den Hügel hinunter, um dann wieder über den Zaun zu klettern und ihren Hügel hinaufzuschnaufen. Als sie oben ankamen, sperrte Lena die Haustüre auf, schob die Kinder hinein und schickte sie auch gleich »Zähneputzen und ins Bett!«.
Schon im Gang roch sie die verführerische Mischung aus heißen Feigen, Rosmarin, Knoblauch, Chili, Blauschimmelkäse und Nudeln.
Der Tisch war frisch gedeckt, das Essen warmgehalten und der Koch beleidigt zu Bett gegangen.
»Mist! Mist! Mist!« Lena schenkte sich ein großzügiges Glas Wein ein, blickte sich dabei vorsichtshalber links und rechts nach der Katze um. Kein sprungbereites Wesen in Sichtweite, sehr gut. Der Hunger war ihr mittlerweile vergangen, so schleppte sie sich ins Wohnzimmer, ließ sich auf die Couch fallen, zappte sich sinnlos durchs Fernsehprogramm und schlief schneller ein, als sie vorhatte.
Der Wind wehte eine Staubwolke über den Innenhof der kleinen Pension »La Flora«, just in dem Moment als Frida den letzten Tisch abwischte. Es war sechs Uhr fünfzehn in der Früh und die ersten Gäste würden bald hinter den Bananenstauden zum Frühstück auftauchen.
Drei vor kurzem angereiste Gäste hatte sie vor einer Stunde von ihrem kleinen Bürofenster aus mit Matten unterm Arm den Hügel hochgehen sehen. Sie würden pünktlich zum Sonnenaufgang oben am Meditationsplatz sein. Die kleine Plattform, die sie in einer windgeschützten Mulde errichtet hatte, wurde neuerdings immer häufiger besucht, vielleicht, weil die Zeit dafür nun endlich reif war.
Anfangs hatte sie ihn als ihren persönlichen heiligen Platz angesehen, wo sie Energie tanken durfte, um den Alltag der Pension zu meistern. Doch eines Tages bekam sie eine klare Eingebung.
»Share it!«, tönte es in ihr, als sie, ihre Augen über den Horizont ausgeruht und frei atmend, ihren Geist zur Ruhe gebracht hatte. Schon als sie das erste Mal den Hügel hochgeschnauft war und sich ihr unter der Felswand dieser unglaubliche Ausblick über den Atlantik erstreckte, spürte sie an diesem, »ihrem« Platz sofort die Energie der Erholung und Regeneration. Damals, vor über zehn Jahren, ließ sie ihre Kondition noch nach wenigen Höhenmetern im Stich.
Mittlerweile war ihr Körper durch das viele Herumlaufen in der Anlage so fit geworden, wie sie es sich niemals erwartet hätte. Wobei, in letzter Zeit fühlte sie sich irgendwie …
Sie tunkte den Putzschwamm in das Kübelchen, wrang ihn aus und wischte voller Hingabe von Neuem die metallenen Platten ab und auch ihre Zweifel weg. Das würde schon wieder werden. Die Gäste schätzten es, hier draußen zu frühstücken, inmitten von
Vogelgezwitscher und Pflanzenvielfalt. Wenn es ruhig war, wie jetzt, konnte man sogar das Meer von unten rauschen hören. Wie Frida diese Momente frühmorgens liebte! Die Sonne kroch über den Hügel, langsam, aber stet brachte sie die Blütenkelche des Jasminstrauchs dazu, sich zu öffnen und ihren unvergleichlichen Duft zu verströmen. Nach diesem Auftakt wanderte sie weiter über den ganzen, nach Feng-Shui Kriterien errichteten Garten, verbreitete ihre wärmenden Strahlen und erweckte die ganze Anlage mit Leben.
»Wenn dort vorne eine zusätzliche Bananenstaudenhecke wäre, hätten wir hier einen natürlichen Windschutz«, dachte Frida, wischte den letzten Tisch ab und stellte sich den Innenhof gepflastert vor, was dieser Ecke noch mehr Charme verleihen und sie zudem pflegeleichter gestalten würde. Am liebsten hätte sie José geweckt, um mit ihm darüber zu sprechen, doch das würde seine Laune und damit die Harmonie dieses Ortes ins Wanken bringen, was wiederum die Gäste spüren würden. Und die Hühner! Diese Verantwortung wollte und konnte sie nicht übernehmen. Sie würde später mit ihm darüber reden, wenn er gegen elf Uhr aufstehen würde, um sein Frühstück auf ihrer kleinen Veranda hinter dem Tanzstudio einzunehmen. Schweigend. So gegen Mittag wäre wohl ein passender Moment.
Sie verteilte die Zuckerstreuer auf die runden Tische, beschwerte die Servietten mit kleinen, runden Steinen, auf welche sie Engelsflügel gemalt hatte.
Wobei, um diese Uhrzeit vergrub er sich gerne in die Tageszeitung, fiel ihr wieder ein, er würde auf eine Irritation sensibel reagieren. Als Künstler brauchte er diese klaren Zeiten für sich, schließlich gab er täglich Alles. Alles! Seine ganze Kraft und Emotion floss in seine Arbeit, wie er Frida immer wieder erklärte. Ob er nun Touristen im Nebentrakt der Finca in einer Woche die Grundschritte des Salsas beibrachte oder für einen Soloauftritt trainierte, er gab Alles. Also vielleicht doch erst nach seinem Training? Wobei, da war er meistens erschöpft.
Sie rückte die Stühle zurecht, betrachtete den Platz mit ein paar Schritten Abstand, nickte zufrieden und ging zurück ins Haus, um die Wasserflaschen mit einem Segen zu bemurmeln. Nun, sie würde schon einen passenden Moment finden. Bis dahin gab es noch viel zu tun. Pedro würde gegen Ende des Vormittags einen Kleinbus neuer Gäste bringen, da musste sie vorher noch die Zimmer durchgehen, vielleicht hier und da ein wenig räuchern. Schließlich hinterließ nicht jeder Gast die entspannte und freie Atmosphäre, die er bei der Anreise vorgefunden hatte. Die hier entladenen Energien verhingen sich manchmal in den Balken und könnten auf die neuen Gäste übergehen. Das konnte und wollte Frida nicht riskieren! Sie war überaus glücklich, dass Antonia, ihre Hilfe und Stütze im Haus, eine äußerst feinfühlige Person war, auf die sie sich voll und ganz verlassen konnte. Die Gute klebte auf jeden Türpfosten der verunreinigten Zimmer ein kleines Post-it, so daß Frida anschließend, eine Muschel mit glühender Räuchermischung in der einen Hand, in der anderen eine Adlerfeder wedelnd, von Raum zu Raum schreiten und so den »holy smoke« verbreiten konnte. Anschließend stellte sie frische Blumen in jedes Zimmer und gab sie mit einem Segen für die Neuankömmlinge frei.
Seufzend zog sie ihre Taschenuhr aus der mit Pailletten und feinen, seidigen Fäden bestickten Umhängetasche. Sie musste weiter, es gab noch so viel zu tun. Zimmer vorbereiten, die Reservierungen überprüfen, die Gäste willkommen heißen, ihre Hühner besuchen. Außerdem wollte sie am Nachmittag noch etwas im Garten werkeln. Die Hibiskusstauden und die Bambusecke benötigten dringend einen Rückschnitt und das Mondzeichen war momentan geradezu perfekt dafür. Das Mikroklima der Insel und der fruchtbare Boden hatten Vor und Nachteile. Alles wuchs, aber wie! Jetzt müsste sie nur noch Pedro dazu bringen, anstatt den aufkeimenden Flirtchancen, die mit den neu eingetroffenen Damen entstanden, die Gartenschere zu ergreifen. Die Sonnenhungrigen würden sich sowieso gleich an den Pool legen, so könnte sie ihn bitten in dieser Ecke zu beginnen, das würde ihn hoffentlich motivieren.
Frida bleib ein wenig vor dem mit Glyzinien umrankten Bogen, der das Eingangstor zum Garten bildete, stehen. Was für eine Motivationsarbeit das gewesen war, zuerst José dann die Arbeiter dazu zu bringen, den Garten nach ihren feinfühligst ausgetüftelten Plänen anzulegen! Stundenlang hatte sie über Feng-Shui Büchern gesessen, um verschiedenste Varianten durchzuarbeiten. José mochte eben keine Veränderungen, der Garten war für ihn bisher schön genug gewesen. Wie auch für die Gäste, die seines Erachtens schließlich nicht wegen der Grünpflanzen, sondern wegen seiner Salsakurse herreisten.
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