1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Meine Güte, ist der Sommer etwa schon wieder um? Sagt mir nicht, dass man euch schon wieder in die Mühle steckt?«, er machte eine Kopfbewegung Richtung Schule. Sie verdrehten die Augen und wurden, nachdem sie einen kurzen Sommerbericht abgegeben hatten, mit je einem Päckchen Zigaretten und zwei Päckchen Tabak mit Papers zusätzlich beschenkt.
»Aber ihr wisst schon, erzählt es nicht rum!« Als sie sich unbeholfen bedankten und wieder Richtung Türe drehten, fragte Franz: »Du, Lena, sag, da fehlt doch einer, wo ist denn der Walter? Läuft da nichts mehr?«
Als Antwort kniff Lena ihre Augen zu Schlitzen und machte eine zügige, eindeutige Handbewegung quer unter ihrem Kinn.
»Alles klar, ist sowieso ein Vollidiot, wenn ihr mich fragt!« Lena musste lachen. »Na, dann hat er jetzt einen neuen Namen. Vollidiot, das passt!« Als sie gingen, winkte er ihnen noch nach und zog ein neues Rubbellos aus der Theke.
Unter der alten Eisenbahnbrücke angekommen, machten sie zuerst ein Feuer. Eliza löste ihr schwarzes Tuch, welches sie immer wie einen breiten Schlauch um den Hals trug und sie breiteten ihre mitgebrachten Fressalien und den Wein darauf aus. Der Doppler kreiste, Eliza lehnte an Matts Rücken, welcher auf seiner Gitarre ein paar Akkorde anschlug. Lena hockte im Schneidersitz auf einem Felsbrocken und drehte einen Joint.
»Wisst ihr was?« Eliza und Matt schüttelten die Köpfe.
»Wenn der Franz so weiter macht, kann er seine Tabaktrafik bald schließen!«
»Du meinst, weil er uns immer so viel Tabak schenkt?«
Eliza knabberte zwischen Chips und Schokoladekeksen hin und her.
»Nein, wegen seiner Spielerei.« Matt legte seine Gitarre weg, zog kräftig am Joint und reichte ihn an Eliza weiter. Lena kramte nach einem flachen Stein am Boden herum, fand einen passenden und warf ihn quer in den Fluß. Er schlug vier Mal auf, sie schnalzte mit der Zunge.
»Meine Oma hat mir erzählt, eine Freundin von ihr ist die Tante von der Arbeitskollegin von Franz seiner Frau. Die ist anscheinend mit den Nerven am Ende. Angeblich sind sie hochverschuldet.«
Matt stand auf und lief auf und ab, wie immer wenn er sich über etwas ärgerte.
»So eine Sauerei! In diesem Kaff ist er der einzig halbwegs normale Mensch, der Einzige mit dem man reden kann und der sich auch für einen interessiert, wissen will, wie es einem wirklich geht. Und genau so jemand geht vor die Hunde und alle schauen zu!«
»Nun, es wissen ja nicht alle!«
»Aber alle im Dorf wissen doch, dass er viel spielt. Er hat doch die Rubbellose direkt vor seiner Nase, von früh bis spät. Ist ja klar, dass er nicht widerstehen kann!«
Lena schmiss einen Stein in den Fluss. »Er ist doch sicher gut versichert, nicht? Ich meine, die Trafik ist doch gut versichert.«
»Wie meinst du das?« Matt blieb stehen und starrte sie an.
»Nun, jeder Geschäftsbesitzer hat doch eine Versicherung gegen Brand, Sturmschäden und Raub abgeschlossen, nicht wahr?«
»Ja, und was hat das jetzt mit Franz seinen Schulden zu tun?« Wieder flog ein Stein in den Fluß.
»Ich meine ja nur.«
»Wie meinst du nur?« Eliza richtete sich auf.
»Lena, diesen Blick kenne ich, schieß los!«
Noch ein Stein flog und platschte ins Wasser, bis der nächste und ein weiterer ihm folgte. »Angenommen, die Tabaktrafik würde überfallen werden, würde ihm da nicht seine Versicherung Schadenersatz zahlen?«
Matt nickte, legte den Kopf schief und starrte Lena weiter an.
»Langsam ahne ich, was du meinst.«
»Man hört ja immer wieder, dass Tabaktrafiken überfallen werden, oft am hellichten Tag und das nicht nur in der Stadt. Ich bin mir sicher, der Franz ist diesbezüglich gut versichert.«
»So schwer wäre es hier im Dorf auch gar nicht, wenn man bedenkt, dass hinter dem Geschäft gleich der kleine Schleichweg liegt und übers Feld, zum Wald bis hierher zur Brücke sonst nichts und niemand wohnt.«
Sie spekulierten noch eine Weile über die Höhe der Spielschulden, die mögliche Versicherungssumme, die dabei herausschauen könnte und ob man damit die Schulden ausgleichen könnte. Eine große Teilsumme wäre es bestimmt, im Idealfall bliebe vielleicht sogar noch etwas für ihn übrig? Sie malten sich aus, wie Franz mit seiner Frau unter Palmen sorgenfrei Cocktails trinken könnte und nie erfahren würde, wie es zu diesem Schadensersatz gekommen war.
»Nur passieren darf ihm nichts!«, Eliza blickte besorgt abwechselnd zu Matt und zu Lena.
»Das würde ich nicht ertragen!«
»Wie soll ihm denn bitte dabei etwas passieren? Wenn die Sache gut geplant wird, läuft das wie am Schnürchen ab!«, Matt zog sie zu sich und drückte sie kurz.
Plötzlich hörten sie ein Rascheln, Eliza versteckte reflexartig den Joint und alle atmeten erleichtert auf, als sie Rosi und Gunter durch das Geäst herunterstolpern sahen.
Sie hatten eine Flasche Tequila, Zitronen und Salz dabei und hockten sich damit zu den anderen ans Feuer. Gemeinsam feierten sie ihr Wiedersehen bis in die frühen Morgenstunden.
Als es hell wurde, erinnerte sich Eliza, dass heute Schulanfang war.
Sich aufrappelnd und gegenseitig stützend kletterten sie über den kleinen Trampelpfad hoch zum Waldweg, der sie den Fluss entlang nachhause brachte.
Als sie wieder im Dorf waren, hatte der Bäcker seine Runden schon gedreht. An manchen Türen hingen frische Semmeln, Kornspitz, Nussgipfel und heute waren sogar Topfentascherl dabei! Für jeden eines. Wenn das kein Glück bedeutete!
Noch im Gehen aßen sie aus den Papiertüten, wischten sich den Staubzucker mit den Ärmeln aus den Gesichtern und beschlossen, dass sich ein Stündchen Schlaf noch locker ausgehen würde, bevor sie in die Schule mussten.
Frida ging durch ihren nach Feng-Shui Kriterien errichteten Garten und dachte über ein passendes Thema für den Abend am Hügel nach.
Einmal die Woche veranstalteten sie oben ein großes Feuer, manchmal ließ José sich sogar dazu hinreißen, seine Gitarre anzustimmen. Manchmal. Wenn er gut gelaunt war. Bei Vollmond trommelte sie dazu oder tanzte mit den Gästen ums Feuer und um Mitternacht räucherten sie Kräuter aus dem Garten. Für diese Mischung ließ sie sich frei inspirieren von Tagesqualität und Mondstand, der Stimmung, die gerade in der Pension herrschte, den Menschen, die zu Gast waren und was sie an Geschichten und Energie mitbrachten. Ihre feinen Antennen ausgefahren, schritt sie voran, aufrecht und offen.
Bewusst nahm sie das Knirschen der Kieselsteine unter ihren Sandalen war, ein Geräusch, das sie plötzlich unheimlich nervte. Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen. So ging das nicht, so würde das nichts werden. Frida schwang ihr Tuch hinter sich hoch und ließ es noch einige Sekunden im Wind flattern, bevor sie es wieder um die Schultern legte. Der Wind. Einst ihr Verbündeter, ihr Antrieb, machte sie nur noch müde, raubte ihr Energie, anstatt ihr welche zu geben.
Sie, die sich in einer Oase der Harmonie glaubte, fühlte sich wie auf einem stark frequentierten, vierspurigen Highway mit großen Schildern, die in die verschiedensten Richtungen zeigten. Nur wusste sie nicht, wohin sie fahren sollte. Abfahren, umkehren, weiterfahren?
Wo sie doch diejenige war die immer Ideen und Ratschläge für andere parat hatte, musste sie sich nun eingestehen, dass sie keine Ahnung mehr hatte, wohin mit sich selbst. Das Einzige, das sie wusste war, dass sie diesen Wind nicht mehr ertrug.
Frida lief weiter, den Kiesweg entlang, Richtung Brunnen. Das Zentrum des Gartens. Dort zu rasten würde ihr Inneres stärken. Oder etwa nicht? Was würde sie jemandem in solch einer Situation raten? Sie wusste es nicht mehr. Ihre Gedanken fuhrwerkten in letzter Zeit immer öfter in der Zukunft oder der Vergangenheit herum und es fiel ihr immer schwerer, sie ins Hier und Jetzt zu holen.
Читать дальше