So hatte sie ihn eines Tages beiseite genommen und ihm erklärt, dass sie ihn zwar liebte, jedoch ausschließlich, wenn er arbeitete, also nicht oft, nicht oft genug.
Das zu verstehen übertraf seine Auffassungsgabe. So einfach konnte er nicht gehen. So nicht!
Nach einem dramatischen Abgang, in welchem er auf der Straße unter ihrem Fenster ein selbst kreiertes Gedicht per Mikrofon über zwei tragbare Boxen vorgetragen hatte und ihr anschließend einen äußerst schlecht inszenierten Selbstmordversuch im Stiegenhaus vorspielte, schmiss Eliza ihn endgültig aus ihrem Leben.
Besser gesagt, sie ließ ihn rausschmeißen. Als ihn zwei Polizeibeamte aus dem Haus zerrten, schrie er ihr noch nach.
»Keiner wird dich je so lieben wie ich!« Das schienen sie alle zu glauben. Eigenartig.
Sie blickte zu der Stelle, an der seine Staffelei gestanden hatte und versuchte den aufsteigenden Ärger, der jedes Mal in ihr hochkroch, wenn sie den Kratzer im Parkett sah, zu unterdrücken. Sie hatte ihm erlaubt Spuren zu hinterlassen und das war nicht gut. Dem Einzigen, dem dies gewährt sei, war Matt und das sollte auch so bleiben.
Matt. Als würde dieser Name einen Reflex in ihr auslösen, strich sie sich über den farbenfrohen Drachen, der quer über ihre Flanke und ihren Bauch Richtung Dekolleté tätowiert war. Immerhin hatte sie noch den Drachen. Wenn er nicht wäre, hätten die Zweifel, ihm je begegnet zu sein, wohl schon überhand genommen. Und da kommt so ein Ahnungsloser und denkt, mit dramatischen Auftritten etwas bei ihr zu bewirken!
Sie vertrieb den Ärger, indem sie ihr Kinn bewusst einen Tick hochhob und in die nahe Zukunft blickte.
Der bevorstehende Nachmittag.
Es gab nichts über eine präzise Planung mit einem nicht zu unterschätzenden Gefühl für den passenden Moment. Sie hatte in der kommenden Woche kleine Aufgaben zu erfüllen und sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob sie ihrer würdig waren. Ihr Therapeut verfolgte seit Jahren um diese Zeit dasselbe Prozedere und immer öfter fragte sie sich, wie lange sie noch mitspielen wollte. Im Frühling begann er mit seiner »sanften Sozialisierung«, denn er wollte sie nicht nur mental, sondern auch praktisch auf den alljährlichen sommerlichen Besuch zuhause in Lech vorbereiten.
Sie kam aus einem Ort, in den andere zur Erholung hinfuhren. Das Hotel, ein traditioneller Familienbetrieb, so stand es auf dem Prospekt, war jedoch mehr Betrieb als Familie. Eine neutrale Aufladestation für leere Batterien aus aller Herren Länder, ohne jeglichen Eigenbedarf, einzig und allein präsent, um anderen zu dienen, ein Ort, deren aufgerichtete Fassade an die eines Spaghettiwesterns erinnerte. Die in Dirndl und Lederhosen verkleidete Familie bot täglich eine gut inszenierte Show, um die Gäste glauben zu lassen, sie befänden sich in einer reibungslos funktionierenden Idylle.
Solange Eliza nicht mitspielen musste, lief die Show wohl auch ganz gut. Schon alleine ihre Herkunft, die von Verlogenheit und Oberflächlichkeit nur so triefte, war ihres Erachtens bezeichnend, dass man mit solch spröden Wurzeln besser ohne allzuviel Kontakte auskam. Das sagte sie ihrem Therapeuten natürlich nicht. In all den Jahren hatte sie herausgefunden, was sie besser für sich behalten sollte und was nicht.
Während der letzten Sitzung war ihr aufgefallen, wie alt er geworden war, seine zur Raute gelegten Hände waren mittlerweile faltig und mit Altersflecken überzogen, aus seinen Nasenlöchern wucherten inzwischen weiße Haarbüschel, auch seine Geheimratsecken wurden breiter, sein ganzes Sein war vom Hauch der Rührseligkeit umrandet.
Also hatte sie ihm den Gefallen getan und war in eine Buchhandlung in der Mariahilferstraße gegangen, um nach einem Buch über Brooklyn zu fragen. Und das im Jahrhundert der Onlinebestellung! Dass sie, während die Verkäuferin im Computer nachsah ein kleines Notizbüchlein in ihre Tasche gleiten ließ, verschwieg sie ihm wohlweislich. Das ging ihn, genau betrachtet, auch gar nichts an. Als sie ihm das Buch als Beweis mitbrachte, hatte er seine helle Freude damit und seine Hände zitterten leicht, als er durch den Bildband blätterte, was seine Großväterlichkeit noch mehr unterstrich. Bis zum nächsten Termin sollte sie zwei Mal in ein Kaffeehaus gehen und einmal in die Albertina oder ins Kunsthistorische Museum. Er verschrieb ihr wie gewohnt ihre Tabletten, somit waren sie ihres Erachtens quitt.
Die Wanduhr über ihrer Espressomaschine verriet ihr, dass ihr Styling für ihren Friedhofsbesuch in exakt siebzehn Minuten starten konnte.
Das Outfit hing schon bereit zusammengestellt auf einem Bügel im Badezimmer. Ein schwarzer, schmal geschnittener Rock, der ihr knapp über die Knie ging, kombiniert mit einem schwarz taillierten Blazer mit breiten Ärmeln, die knapp über die Unterarmmitte reichten, und großen Knöpfen, die sie über ihr anthrazitfarbenes Seidentop schließen würde. Um den Witwenlook abzurunden, würde sie ein leopardengemustertes Seidentuch zu einem Dreieck falten, es über den Kopf legen und unter ihrem Kinn verknoten. Doch vorher würde sie ihre Stirnfransen auf der Rundbürste föhnen und mit einem einzelnen Sprühstoß des Haarsprays fixieren. Aus dem Strauß langstieliger roter Rosen, den sie sich jede Woche liefern ließ, würde sie eine Einzelne, die Schönste von allen ziehen, sie in Seidenpapier wickeln und später in ihrer linken behandschuhten Hand vor ihrem Herzen halten. Erst bevor sie die Türe zur Straße öffnen würde, wäre der geeignete Moment gekommen, um ihre schwarze Brille von Chanel aus der Tasche zu ziehen und aufzusetzen. So würde es werden und sie freute sich auf jeden einzelnen Schritt ihrer Vorbereitungen, bis sie in ihren Lederpumps über den Kiesweg an den Gräbern vorbeischreiten konnte. Die Rose würde sie auf eines der vernachlässigten Gräber legen, heute wäre ein Herr Friedrich in der vierten Reihe vor der Nordmauer an der Reihe.
Wirklich, sie wusste nicht, was es Schöneres gab, als ein kleiner Spaziergang über ihren Lieblingsfriedhof an einem verhangenen Tag kurz vor der Dämmerung.
Sie würde ein Steinpilzrisotto machen. Im Keller stand noch ein Glas mit eingelegten Pilzen. Das Letzte.
Je lauter er wurde, desto weiter weg entfernte sie sich von ihm. Sie beobachtete seinen Gesichtsausdruck, der bei jedem Wort verhärmter wurde, ob ihm das eigentlich bewusst war? Wobei, wer sah sich schon während eines Wutanfalls im Spiegel zu? Wenn er sich jetzt dabei sähe, würde er sich wohl weniger gehen lassen. Seine Augen waren schmal und er hatte diese gefährliche Blässe um die Nase. Mit Schwung stach er gerade mit seinem Zeigefinger in ihre Richtung. Einmal, zweimal, dreimal!
Wollten sie ursprünglich nicht zusammen Kaffee trinken? Sie bevorzugte ja ihren Espresso, aber der war ihm zu stark, deswegen hatte sie eine milde, aber trotzdem noch des Namens »Kaffee« würdige Brühe in der Glaskanne aufgestellt. Einen Kompromisskaffee sozusagen. Der war mittlerweile sicher auch schon kalt, so lang wie der sich hier aufregte. Lena lugte vorsichtig an ihm vorbei, als könnte sie die Temperatur sehen oder Kontakt mit der Kanne aufnehmen.
»Du, bist immer so …« Zack! »Und jedes Mal, wenn du …« Zack, wieder der gestreckte Zeigefinger. Wenn das ein Messer wäre, läge sie schon röchelnd in einer Blutlache.
Sie hatte genügend Beziehungsratgeber gelesen, um zu wissen, dass das, was sich hier in ihrer Küche abspielte, keine »kleine klärende Gewitterwolke« mehr war und sie hatte vor allem genug Erfahrung um sich sicher zu sein, dass es nichts brachte zu kontern, es wäre purer Energieverlust.
Tom war einfach lauter und stärker.
Mittlerweile hörte sie kein Wort mehr von seinem Gebrüll, sondern hatte die letzte, sichere Kurve in ihrem Schneckenhaus erreicht. Sie würde rote Zwiebel für das Risotto nehmen, das gibt den passenden Farbtouch. Ob sie noch welche hier in der Küche hatte? Nun, sie konnte jetzt schlecht in der Schublade nachsehen, das würde ihn noch wütender machen.
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