Sie können es immer noch nicht fassen, das ist gewesen, was Mar’thain Mereno in höchster Eile hat reiten lassen, als Sumwin das Banner gesehen hat in der Ferne auf seinem Weg nach Ter’sa. Da, wo einst die grüne Perlenschnur der Oasen gelegen hat, in einem leichten Bogen nach Nordwesten, zieht sich jetzt ein Graben durch die Wüste. Breit und tief, und in ihm fließt ein Fluss. Ein gewaltiger Fluss, größer als Mereno je einen gesehen hat, größer als die zwei großen Flüsse in Beth’anu, er wird breiter je näher er dem See kommt, und an seinem Ende stürzt das Wasser über einen gewaltigen Bogen aus Fels. Das Dorf am Rand der Wüste, in das Mereno die beiden Söhne des Heermeisters hat bringen lassen, als Tenaro sie freigesetzt hat von der Strafe, die sie verbüßt haben in den Salzminen von Beth’nindra, ist mit hinabgestürzt, als der Graben sich aufgetan hat, das Dorf mit der Handelsstation, neben dem das Wasser aus der Wüste gelaufen ist, an dem Mereno und Ginjen staunend gestanden haben im letzten Jahr, steht jetzt an seinem Rand. Es ist noch ein Tagesritt bis zum See von dort, aber auch hier liegt eine Ahnung des Donnerns in der Luft, mit der das Wasser hinabfällt in den See.
Ginjen ist geritten an Merenos Seite durch die Bezirke von Beth’narn, und es hat sich gezeigt, was auch zu sehen war in Beth’lai. Die Dörfer sind umso schlimmer getroffen worden je näher sie dem See liegen, die Bezirke, die im Westen schon im Schatten des Gebirgszug liegen, haben kaum Schäden zu vermelden, in einem Streifen einen halben Tagesritt um den See steht fast kein Haus mehr. Das Unheil scheint aus ihm gekommen zu sein, es muss etwas zu tun haben mit dem, was sich jetzt erhebt inmitten des südlichen Ausläufers, an dessen Ufern sich Beth’narn und Beth’kalar gegenüberliegen. Es hat keine Erhebungen gegeben darin, der nördliche Teil des Sees ist nie erkundet worden, wenn dort welche gelegen haben, ist es nie berichtet worden. Aber jetzt gibt es eine, die Sicht ist besser geworden, sie sehen sie deutlicher, als sie drei Tage vor dem längsten Tag wieder am Ufer stehen. Eine Erhebung, sie ragt über das Wasser, und sie erscheint endlos lang. Sie liegt wie eine Mauer zwischen den Ländern, und so werden sie sie auch nennen in Beth’narn, Betain’it‘kalar, die Mauer im Wasser.
Sie werden schon erwartet, als sie zurückkehren in die Residenz des Mar’thain, ein Kurier des Thain ist angekommen. Thain Tenaro bittet sie zu kommen und teilzunehmen an der Sitzung des Kronrats, die er abhalten wird im letzten Drittteil des siebten Mondes, damit sie gemeinsam besprechen können, was eigentlich geschehen ist an dem Tag kurz vor Beginn des dritten Mondes, und welche Auswirkungen es hat auf das Leben der Menschen. Und er bringt endlich Nachricht von Danimas Familie. Sie hat jeden Abend gebetet vor der Statue in der Halle, dass es ihnen gut gehen möge, dass sie der Erschütterung und der Wolke entkommen sind. Sie ist umgefallen, sie haben sie wieder aufgerichtet, sie hat es unbeschadet überstanden, wie alle Statuen, die aufgestellt worden sind, um davor zu beten zu Melak. Bis auf eine.
Danima weint wieder in Ginjens Armen, als sie die Nachricht gelesen hat, die ihre Mutter ihr gesandt hat mit dem Kurier. Das Haus der baranischen Familie in Beth’kalar ist verloren, mit allen Erinnerungen an ihre Kindheit darin, sie wird ihren Verlust verschmerzen mit der Zeit. Aber es hat sie getroffen bis ins Mark, dass sie ihren Vater und ihren ältesten Bruder verloren hat an dem schrecklichen Tag.
Barar Metiro ist mit Daneto und Damiro aufgebrochen am Tag vor der Erschütterung, sie haben in das Dorf im Norden gewollt, in dem die irdenen Schüsseln und Becher gemacht werden. Der Dorfvorsteher hat eine Nachricht gesandt, die Grube, aus der sie den Lehm dafür holen, ist eingestürzt, es hat Verwundete gegeben, und sie sind nicht sicher, ob sie sie wieder aufgraben können, vielleicht wird es bald keine irdenen Gefäße mehr geben, die sie verkaufen können auf den Märkten. Es wäre ein schwerer Verlust für Beth’kalar, ein großer Teil der Steuern, die Barar Metiro zahlt an den Thain, kommt aus ihrem Verkauf. Und drei Tage später ist ein Pferd in den Hof eines Wollstrauchbauern gestolpert, knapp hinter der Grenze zu Beth’draket, der junge Mann auf seinem Rücken schon mehr tot als lebendig. Mit nässenden roten Stellen auf Gesicht und Händen, sie haben ihn nicht gekannt, aber sie haben sich seiner angenommen. Ihr Hof hat kaum Schaden genommen bei der Erschütterung, sie haben ihm Wasser gegeben aus ihrem Brunnen, sie haben genug, er sprudelt über seit dem Tag, an dem die Erde sich geschüttelt hat, und sie haben seine Wunden bestrichen mit dem klaren Saft aus den dicken Blättern einer Pflanze, die am Rande ihres Gartens wächst, mit dem sie auch die kleinen Verbrennungen heilen, die ihre Kinder sich manchmal holen, wenn sie unachtsam sind beim Spielen in der Küche und dem Herdfeuer zu nahe kommen. Denn so haben seine Wunden ausgesehen, als ob er übergossen worden ist mit siedend heißem Wasser. Er hat lange krank gelegen, sie haben nach einer weißen Schwester geschickt, sie hat ihn mitgenommen in ihr Haus. Und erst dort hat er ihnen sagen können, wer er ist, Damiro, der zweite Sohn des Barar von Beth’kalar. Und sie sind dreizehn gewesen am Ufer des Sees, sein Vater und sein Bruder sind bei ihm gewesen, und noch zehn Männer aus der Garde des Barar, als das Unglück sie getroffen hat, als plötzlich eine siedend heiße Wolke aufgestiegen ist und sie eingehüllt hat, wo sind die anderen? Er hat geweint, als sie es ihm gesagt haben, es war nur er, der geritten ist in den Hof des Bauern und gerettet worden.
Er ist an den Sitz des Nun’thain gebracht worden, als es ihm wieder besser ging, Sirima hat ihn erkannt und in einer Kutsche in die Feste des Thain bringen lassen. Dort ist er auf den Rest der Familie getroffen, und die Barari ist zusammengebrochen in den Armen Karimas, als sie gehört hat, dass ihr geliebter Mann und ihr ältester Sohn nicht zurückkehren zu ihr. Es ist nicht das einzige Unglück, das ihre Familie getroffen hat, Marino, ihr jüngster Sohn, er wird sich nicht mehr erheben aus seinem Bett. Er ist von dem Pfahl eines Banners in den Rücken getroffen worden, der vom Dach gefallen ist, als sie aus dem Haus gelaufen sind, sie haben ihn getragen in die Kutsche, ihr Holpern über die Brücke, als sie fast umgestürzt ist bei der zweiten Erschütterung, ihr Schlagen auf der rasenden Fahrt zur Feste fast ohne Pause, sie haben den Knochen darin vollends zerstört. Selbst die Ärzte des Thain haben ihn nicht retten können, er hat es überlebt, aber er wird nie mehr laufen können. Nicht mehr mit Danuro über die Felder jagen, als ob ihre Pferde von Beißfliegen gestochen worden sind, nicht mehr für Tenjen flache Steine über den See hüpfen lassen, nicht mehr mit seinem Bruder Damiro auf den Baum im Garten steigen, um an die letzten süßen Pirsi zu gelangen. Er liegt in einem Bett in einem der Schlafzimmer der Feste, er starrt hinauf zu der Decke über sich, und er ist kaum zu trösten in seinem Kummer. Er ist sich nicht einmal bewusst, dass er fast der nächste Barar von Beth’kalar geworden ist, und er erkennt seinen Bruder kaum, als er zu ihm kommt. Zu sehr ist sein Gesicht entstellt von den schrecklichen Wunden, die der heiße Dampf hinterlassen hat, er wird Narben behalten davon, sie sind wie einst Mirinis zu lange nicht behandelt worden. Er wird es verwinden mit der Zeit, er wird sitzen in einem Stuhl, den ein Handwerker der Feste für ihn macht, mit Rädern daran, damit man ihn schieben kann, und wenn sie zurückkehren nach Beth’kalar, als ihr neues Haus fertig gebaut ist, auf dem Balkon vor seinem Schlafzimmer und hinausschauen auf den See, der ihm so viel genommen hat.
Dieses Mal verwehrt es Ginjen Danima nicht, er lässt sie reisen mit Waniri in die Feste des Thain. Er wird ihr bald folgen, aber zuerst wird er nach Beth’lai reiten, um zu sehen, wie die Menschen dort zurechtkommen. Mit Tenjen, er ist sein Erbe, er soll sehen, dass man Verantwortung trägt für sie nicht nur, wenn es dem Land gutgeht. Mereno hat ihm gesagt, dass er keine Plättchen mehr entbehren kann für den Bau seiner steinernen Residenz, er braucht sie, um den Menschen in seiner Maran zu helfen, aber Ginjen will sie auch nicht. Er wird wohnen bleiben in seinem großen Haus aus Holz, er hat dreiundzwanzig Jahre seines Lebens in einem Zelt gelebt, Häuser und steinerne Festen hat er erst gekannt, als er nach Beth’anu gekommen ist. Schon das Fort, in das er zuerst geritten ist auf seiner Suche nach dem Mann, der Daikims Sterne in gelbe Steine schlägt, ist ihm vorgekommen wie ein Wunder, und da hat er die Nächte noch in einem Zelt verbracht, mit geraden Wänden und einem hölzernen Boden, und sich gewundert, dass es nicht zusammenfällt über ihm, weil er keine Stangen gesehen hat, die es halten. Ihm genügt sein Haus aus Holz, solange in einem der Schlafzimmer ein weiches Bett steht, in dem er liegen kann mit Danima. Er vermisst sie, aber es werden auch wieder ruhigere Zeiten kommen für Beth’lai, dann wird er es wieder haben können, wann immer ihm der Sinn danach steht. Schließlich steht nicht geschrieben, dass man nur in der Nacht liegen darf bei seiner Frau, und auch Waniri wird größer werden wie Tenjen.
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