„Ich komme gerade aus der Badewanne“, verteidigte sich Tschusch.
Judith sog die Luft ein. „Schon mal was von Deo gehört?“
Tschusch hob die Arme und schnüffelte unter seinen Achseln. Sie hatte recht. Er roch und zwar eindeutig nach Cevapcici, jenen, die seine Mutter früher gemacht hatte, mit viel Zwiebeln und Knoblauch.
„Komisch“, sagte er. „Das muss am Hemd liegen.“
„Was willst du“, sagte Judith sichtlich genervt. „Ich habe nicht ewig Zeit.“
Tschusch erklärte ihr den Sachverhalt, lang und breit und offenbar so gut, dass sie überraschend schnell einwilligte, den Scheck auf ihrer Bank einzureichen. Doch sie stellte Bedingungen.
„ Ich verwalte das Geld“, bestimmte sie, „sonst ist es gleich wieder perdú.“ „Einverstanden“, fügte sich Tschusch, weil er sowieso keine Wahl hatte. Die Audienz bei Betschwester Judith war damit beendet. Im Gehen überlegte Tschusch, ob er sich nicht revanchieren sollte und ihr sagen, dass sie ebenfalls roch, und zwar nach alter Nonne, aber im letzten Moment entschied er sich dagegen. Er brauchte Judith ja.
Insofern wäre es ein wunderbarer Tag für Tschusch gewesen, der schönste seit langem, wenn nicht diese eine Sache passiert wäre. Es dunkelte bereits. Der Berufsverkehr verebbte allmählich und die Nacht ließ ihre kühlen Schleier zwischen die Häuserschluchten fallen. Er befand sich auf dem Heimweg und wie er es gewohnt war, hielt er Augen und Ohren offen, zudem war er stocknüchtern. Er konnte sich also nicht getäuscht haben, nicht Tschusch Bárbar, der versierte Privatdetektiv, der Gefahr schon roch, bevor sie aus dem Loch kroch.
Als er in die Elsässerstraße einbog und am Hypopark entlangging, gewahrte er eine große schwarze Limousine, die ihm mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkam. Etwa fünfzig Meter vor ihm stoppte der Wagen plötzlich. Zwei Männer sprangen heraus und verschwanden kurz im Schatten der Bäume. Als sie Sekunden später wieder zu sehen waren, schleppten sie eine weitere Gestalt mit sich. Tschusch konnte deutlich einen männlichen Körper, einen Kerl mit Glatze und Bart erkennen. Die beiden anderen schienen südländischen Ursprungs zu sein, soweit Tschusch dies aus der Entfernung bewerten konnte. Sie stopften das offenbar wehrlose Bündel in den Fahrzeugfonds und stiegen zu. Sofort startete der schwere BMW (oder war es ein Audi gewesen?) und raste mit quietschenden Reifen am verdatterten Tschusch vorbei. Mit offenem Mund starrte er dem Auto hinterher und versuchte, seine kreuz und quer wie Flipperkugeln schießenden Gedanken zu ordnen. Schließlich wurde ihm bewusst, was er soeben erlebt hatte: Er war Zeuge einer Entführung geworden und wie es aussah, der einzige. Die Elsässerstraße nämlich präsentierte sich menschenleer.
Niemand wollte Tschusch glauben. „Eine Entführung. In München. Am helllichten Tag. In der Elsässerstraße, wo nur nette Menschen wohnen und ganz bestimmt keine Superreichen, die es sich zu kidnappen lohnt. So etwas gibt es nicht. Nicht in München. Nicht am helllichten Tag.“
So und ähnlich lauteten die Kommentare der Leute, denen er von der Entführung erzählte. Da konnte er noch so detailgetreu schildern, was vorgefallen war und gebetsmühlenhaft wiederholen, dass es eben nicht am helllichten Tag geschehen war: niemand nahm ihm die Geschichte ab.
„Haben Sie ein Handy“, war die erste Frage, die ihm der Beamte auf der Polizeiwache stellte, in die er sofort geeilt war, um das Verbrechen zu melden.
„Ja“, sagte Tschusch.
„Und können Sie damit filmen“, fragte der Diensthabende in einem gelangweilten Ton weiter, der Tschusch zumindest innerlich auf die Palme brachte.
„Ja“, sagte Tschusch.
„Und warum haben Sie das angebliche Verbrechen dann nicht gefilmt?“
„Hören Sie, Herr Wachtmeister“, erregte sich Tschusch, „das Ganze hat nur wenige Sekunden gedauert. Ich war starr vor Entsetzen, verstehen Sie?“
„Nein“, versetzte der Diensthabende. „Außerdem ist Polizeikommissar mein Dienstgrad. PK Bertram Fischl, um genau zu sein. Wachtmeister war früher.“
„Gut, Herr Peka Bertrand Fidschi.“ Tschusch wurde langsam sauer. Wertvolle Zeit verstrich, weil er es hier mit einem fettärschigen Vollidioten zu tun hatte, der ihn offenkundig nicht ernst nahm. Dabei wusste doch jedes Kind, dass die ersten Stunden nach einem Verbrechen die entscheidenden waren. Wegen der heißen Spur und solchen Sachen.
„Fischl“, sagte der Polizeikommissar, „nicht Fidschi. Und Bertram. Nicht Bertrand.“
Doch Tschusch gab so leicht nicht auf. „Soweit mir bekannt, sind Sie verpflichtet, einer Anzeige nachzugehen. Und hiermit erstattete ich offiziell Strafanzeige gegen Unbekannt. Wegen des Verdachts der kriminellen Entführung.“
Breit grinsend lehnte er sich über den Tresen, der die Arbeitsplätze der Beamten von den Besuchern trennte. Der Polizist starrte ihn wütend an. Er zerrte einen Vordruck aus der Schreibtischschublade und nahm das Protokoll auf. Tschusch hatte sich mittlerweile für einen Audi entschieden, einen Audi A8, doch war dies sekundär, denn natürlich hatte er sich das Kennzeichen gemerkt. Es war eine Salzburger Nummer.
„Österreich“, gab Tschusch an.
„Logisch Österreich“, brummte Fischl, „ich bin ja nicht blöd.“
„Ach so“, murmelte Tschusch.
Der Polizist hob den Kopf. „Was haben Sie gerade gesagt?“
„Ich?“
PK Fischl warf ihm einen strengen Blick zu, sodass sich Tschusch gleich verhaftet vorkam. „Wer sonst, Herr ...“ Der Beamte schaute auf seine Aufzeichnungen, „... Herr Barbár. Oder ist hier noch jemand außer uns zwei?“
„Bárbar“, sagte Tschusch freundlich. „Mit accent grave auf dem ersten A.“
„Reden Sie gefälligst deutsch mit mir“, gab der Polizist grob zurück. „Sie können doch deutsch oder?“
„Was machen wir denn die ganze Zeit“, erwiderte Tschusch lächelnd, „Kisuaheli quatschen?“
„Jetzt werden Sie nicht frech“, brüllte PK Fischl, der im Revier dafür berüchtigt war, schnell die Contenance, pardon, die Kontrolle zu verlieren. „Und was ist das überhaupt für ein Vorname: Tepko? Das klingt verdammt nochmal ziemlich slawisch.“
„Tschepko“, insistierte Tschusch, „die korrekte Aussprache ist Tschepko. Und wenn es nichts ausmacht: Ich bin Österreicher, das sehen Sie ja in meinem Pass. Aber können wir jetzt bitte mit dem Protokoll fortfahren?“
„Nur zu gern“, knurrte der Beamte. „Ich bin froh, wenn …“
„Wenn was?“
„Vergessen Sie's.“
Fischl winkte enerviert ab. Dieser eindeutig nach Cevapcici muffelnde Typ brachte ihn noch zur Weißglut. Der Beamte mochte zwar Cevapcici, aber keine Slawen. Und dieser Barbár war ganz klar einer vom Balkan, so wie der aussah, da konnte der noch so einen auf Österreicher machen. Schließlich kannte er seine Pappenheimer.
**
Tags darauf erschien Tschusch wieder im Revier. Er vertrat die bei Privatdetektiven weit verbreitete Meinung, dass man der Polizei immer schön auf die Finger schauen müsse, sonst rührten die keinen einzigen. Peka Fidschi hatte heute dienstfrei. Leider, denn Tschusch war nach wie vor auf Krawall gebürstet. An seinem Platz saß eine junge Polizistin, so hübsch, dass sich Tschuschens Laune sofort besserte. Sie hieß POM Hamberger und hatte bereits das Kennzeichen mithilfe der Salzburger Kollegen überprüft.
„Na also“, sagte Tschusch vorlaut. „Geht ja was voran.“
„Wie man`s nimmt“, antwortete die Polizeiobermeisterin. „Das Kennzeichen existiert nämlich nicht, Herr Bárbar.“
Überrascht blickte Tschusch sie an, weniger erstaunt, dass er einem falschen Kennzeichen aufgesessen war, so was war ja wohl üblich in Kidnapperkreisen, sondern, weil Pommi Hamberger seinen Namen richtig ausgesprochen hatte. Auf Anhieb. Wenn das kein gutes Omen war! Die Beamtin gefiel ihm nämlich. In ihrem blumenblonden Haarschopf sah sie so rein aus, als wäre sie einer duftenden Sommerwiese entwachsen, die kein menschlicher Fuß je betreten hatte. Tschusch fragte sich, ob sie vielleicht noch Jungfrau sei und schielte auf ihre Hände, ob da etwa ein Ehering klemmte. Doch da steckte nichts, was ihn an einem Annäherungsversuch hätte hindern können. Normalerweise war er ziemlich schüchtern, was Frauen anbetraf, doch seit dem Vorfall mit dem schwarzen Audi (oder war es doch ein BMW? Bei Automarken war Tschusch nicht ganz sattelfest.) fühlte er sich irgendwie auserwählt, war er doch der einzige Zeuge. Und wer auserwählt ist, kann das auch ruhig zeigen, glaubte er und charmierte, was das Zeug hielt.
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