Mit dem Handel von gefälschten Arzneimitteln kann mittlerweile mehr Geld verdient werden als im Drogenhandel. Immer häufiger stoßen Ermittler im Zusammenhang mit Arzneimittelfälschungen auf kriminelle Organisationen.
Sie blätterte weiter. DIE WELT berichtete schon 2002 über den Import des falsch deklarierten Antibiotikums Ciprofloxacin, die WHO von einer Fälschung in Haiti, bei der mindestens 59 Kinder nach der Einnahme eines gefälschten Fiebersafts starben, und in der Schweiz wurden 2002 rund 22.000 gefälschte Viagra-Tabletten gefunden. Selbst das Bundesministerium für Gesundheit warnte auf seiner Internetseite vor Arzneimittelfälschungen.
Zuletzt versuchte sie es mit Fermesio. Dass es ein Arzneimittelgroßhandel in Frankfurt war, dessen Inhaber Wolfgang Finkel hieß, wusste sie auch ohne Internet, sonst fand sie nichts über diese Firma, mit der sie nie mehr etwas zu tun haben wollte.
Um ein Haar hätte sie die Haltestelle verpasst.
Sie begriff das nicht. Wenn das alles so bekannt war, warum unternahm die Polizei nichts dagegen?
2. Kapitel
Lena stellte ihr halbleeres Glas auf die Theke und drehte sich zur Tanzfläche. Sie wippte mit ihrem Fuß im Rhythmus der Musik. Mit ihren fünfundzwanzig zählte sie hier schon zur älteren Fraktion. Der Cocktail schmeckte bitter und der Alkohol stieg ihr zu Kopf. Sie starrte ins Glas, als könnte sie darin Antworten auf ihre Fragen finden.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie wandte sich um.
Nicole.
Grinsend quetschte sich ihre Freundin neben sie. „Hast wohl jemand anderes erwartet?", brüllte Nicole ihr ins Ohr.
Lena zwang sich zu einem Lächeln.
Nicole fächelte sich Luft zu. „Ein Wodkalemon“, rief sie über den Tresen. Der Kellner nickte.
„Keine Lust zum Tanzen?“, fragte Nicole.
„Mir ist nicht danach.“ Sie betrachtete den Kratzer auf ihrem Fingernagel. Den Abend hatte sie sich anders vorgestellt. Aber die Sache mit ihrer Mutter ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.
„Du sitzt schon die ganze Zeit nur hier herum.“ Nicole legte den Arm um Lenas Schultern. „Deiner Mutter geht es bestimmt bald besser.“
Lena nickte. Hier war nicht der richtige Ort, darüber zu reden. Sie hatte Nicole nur kurz erzählt, dass es ihrer Mutter schlechter ging. Die Sache mit dem gefälschten Arzneimittel wollte sie ihr in aller Ruhe anvertrauen.
Der Kellner stellte das Glas vor Nicole. Lena zog die dünne Papierschicht von ihrem Bierdeckel, faltete sie sorgfältig zusammen und schnippte sie über den Tresen. Sie hatte sich für diesen Abend sogar eine neue Bluse gekauft. Fast hundert Euro hatte sie dafür ausgegeben. Hätte sie dafür mal besser Mums Arzneimittel in der Apotheke geholt.
Nicole hob ihr Glas, prostete Lena zu und trank es zur Hälfte aus. Im Rhythmus der Musik wippte sie vor und zurück, grinste zur Tür, warf ihr Haar nach hinten. Lena musste schmunzeln, folgte ihrem Blick und entdeckte den Grund für Nicoles Verhalten. Dennis. Umringt von einer Schar Weiber. Das typische Alphatier, und das nicht nur, weil er ein blonder Schönling war mit seinem drahtigen Körper und dem Dreitagebart.
Wie ein Blitz traf sie der Gedanke. Dennis Finkel. Finkel! Ob der mit dem Besitzer von Fermesio verwandt war? Sie wartete, bis er bei der Tanzfläche war, dann stupste sie Nicole an. „Ist das nicht dieser Dennis Finkel?“
Ihr Blick verriet alles. Dennis war genau der Typ Mann, auf den Nicole abfuhr. Sie kringelte eine Strähne um den Zeigefinger und nickte. „Du müsstest ihn kennen. Geht er nicht in das Fitnesscenter, wo du jobbst?“
„Kennen ist zu viel gesagt, ich hab ihn ein paar Mal gesehen.“ Lena ließ ihr Glas kreisen und presste die Lippen zusammen. Der arrogante Schnösel war sich doch viel zu fein, um sich mit ihr abzugeben. Wahrscheinlich hatte er sie noch nicht einmal bemerkt. Aber das gehörte jetzt nicht hierher. „Hat er was mit dem Arzneimittelgroßhandel Fermesio zu tun?“
Freundschaftlich rempelte Nicole sie an und musterte sie dabei verwundert. „Du interessierst dich doch nicht etwa für ihn?“
„Wie kommst du darauf?“ Lenas Wangen glühten. „Hör mal. Wie du ihn anstarrst. Und dich nach seiner Familie erkundigst.“ Nicole runzelte die Stirn und machte das erste Mal an diesem Abend ein ernstes Gesicht.
„Wieso Familie?“
„Seinem Onkel gehört Fermesio.“
„Ne, da ... da ist nichts.“ Lena winkte ab und zwang sich zu lächeln. Zumindest nicht das, was du meinst, ergänzte sie in Gedanken.
„Dann ist ja gut.“ Nicole leerte ihr Glas. „Was ist, kommst du?“ Nicole stand auf.
„Wohin?“
Sie deutete auf Dennis. „Den Knaben seh ich mir mal genauer an.“
Lena schüttelte den Kopf. Wenn es nur nicht so verdammt schwer wäre, über den eigenen Schatten zu springen. Ihr Zeigefinger strich am Glasrand entlang.
Als wäre es das Normalste der Welt, schloss sich Nicole Dennis Clique an. Für sie war es das wohl auch.
Wie blöd konnte man eigentlich sein? Warum war sie nicht mitgegangen? Auf der Chromfläche der Theke spiegelte sich verzerrt ihr Gesicht. Einfacher hätte es nicht sein können. Neben Nicole wäre sie gar nicht aufgefallen, hätte so ganz nebenbei Dennis’ Bekanntschaft gemacht und könnte ihn bei der Gelegenheit über seinen Onkel aushorchen.
In einem Zug trank sie ihr Glas leer. Jetzt oder nie. Sie rutschte vom Barhocker, wobei sie gegen den Arm ihres Nachbarn stieß. „He, pass doch auf!“, schimpfte er.
Zu spät. Sein Glas schwappte über und die braune Flüssigkeit landete auf ihrer neuen Bluse.
„Verdammt!“ Sie sah an sich hinunter. Selbst bei diesem schummrigen Licht prangte der Fleck wie ein Orden auf ihrer Brust. Da half auch nichts, daran zu reiben. Sie musste ihn auswaschen.
Der Weg zur Toilette führte zwangsläufig an der Clique mit Dennis und Nicole vorbei.
„Lena! Super. Hast du es dir überlegt." Nicole strich eine blonde Strähne hinters Ohr und strahlte sie an.
Auch Dennis schien sie jetzt wahrzunehmen. Aber statt ihr in die Augen zu sehen, sie zu begrüßen, starrte er nur verächtlich auf den Fleck.
Und dann dieses Grinsen. Ehe sie etwas sagen konnte, fragte er: „Kennen wir uns nicht vom Fitnesscenter? Putzt du hier jetzt auch?“
Lenas Gesicht fühlte sich an, als hätte sie hohes Fieber. Diese Überheblichkeit, diese Selbstzufriedenheit, die dieser Lackaffe ausstrahlte, waren nicht zu überbieten. Typen wie der bekamen alles, was sie wollten. Es war kein Klischee, dass Reichtum glücklich und attraktiv machte. Sein dümmliches Grinsen gab ihr den Rest. „Bei der Masse an Scheiße, die du produzierst, wäre das hier dringend nötig", konterte sie und wollte weitergehen.
„Lena, was soll das?“ Nicole hielt sie am Arm fest.
Sie riss sich los. Was das sollte? Ihr wurde übel, sie ertrug diesen Typen keine Sekunde länger, sie musste weg. Mit großen Schritten steuerte sie auf die Toilettentür zu und zog sie auf. Trotz der lauten Musik hallte das Gelächter in ihren Ohren, bis sie endlich hinter ihr zufiel.
Das war ja super gelaufen.
Über das Waschbecken gebeugt, spritzte sie sich Wasser ins Gesicht, immer wieder und wieder. Was war sie für eine dumme Kuh! Wie konnte sie sich nur von diesem Kerl provozieren lassen? Sie hätte einfach lachen sollen.
Die Schminke lief ihre Wangen hinunter. Ihr Spiegelbild warf ihr eine verbissene Grimasse entgegen, forderte sie auf, sich durchs Haar zu fahren. Sie hatte keinen Kamm dabei, die Finger taten es auch, aber die verhakelten sich in einer Strähne.
Sie richtete sich auf, befeuchtete ein Papierhandtuch. Der Seifenspender war leer. Statt den Fleck zu entfernen, hinterließ das grüne Papier hässliche Spuren.
Der Abend war verpfuscht. Jetzt konnte sie auch gehen. Sie holte ihre Jacke und trat ins Freie. Bildete sie es sich ein oder grinsten die beiden Jugendlichen, die vor der Tür rauchten, verächtlich?
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