Kartoffelbrei mit Gemüse, darauf hatte sie momentan so gar keine Lust. Nach langem Zögern ging sie mit dem Teller in die Toilette und schob mehr als die Hälfte davon in die Kloschüssel. Schnell stellte sie den Teller wieder auf den Tisch und spülte ihr Abendessen den Abfluss hinunter.
Nachdem sie ihre Tabletten bekam und das Geschirr wieder abgeräumt war, beschloss Maria eine Dusche zu nehmen. Sie hatte eine Stunde Zeit bevor jemand kam, um zu sehen, ob sie brav im Bett lag.
In der Dusche liefen ihr erneut Tränen über die Wangen. Sie war traurig, ohne zu wissen, warum. Langsam setzte sie sich in die Duschwanne. Das Wasser lief ihr über den Kopf und den gesamten Körper. Da hockte sie nun, weinte und betrachtete die weißen alten Fliesen auf der Wand. Wie viele Patienten hier wohl schon geduscht hatten? Sich ebenso wie Maria Gedanken darüber machten, wie scheußlich die Wände waren, ganz weiß mit schmutzigen Fugen.
Nachdem sich langsam die Haut auf den Fingern vom Wasser welkte, stand sie wieder auf und seifte sich ein. Gerade als Maria sich ins Bett gelegt hatte, öffnete sich die Türe. Ein Wärter, der seinen Kopf neugierig ins Zimmer hielt, ging gleich darauf wieder.
Sollte das jetzt ihr Leben sein? Ohne Lebensgeschichte, kontrolliert und zu Medikamenten gezwungen?
Es war nicht schön. Maria hatte keine Ahnung wer sie war und den Menschen in diesem Haus völlig ausgeliefert. Doch auch wenn Maria draußen in Freiheit leben würde, wie könnte sie sich dort ernähren? An wen würde sie sich wenden? War es besser für sie hier zu sein?
Am nächsten Morgen ging es wieder in den Speisesaal.
Markus saß teilnahmslos über seinem Frühstücksteller. Maria wollte sich neben seinen Tisch setzten, doch der Wärter zog sie zu einem der anderen. Wahrscheinlich schon wieder so eine dumme Anordnung von Dr. Schuh.
Überraschenderweise gab es einmal mehr zu Essen. Sogar ein Kuchen lag am Teller. Die Frau, welche ihr das Frühstück vor die Nase setzte, lächelte und bemerkte kurz, dass es Sonntag war. Ja, Wochentage zählte man hier nicht mit. Für die Patienten war ein Tag wie der andere.
Maria schaute sich im Saal um. Es waren nicht immer die gleichen Menschen da. Einige waren ihr optisch bereits vertraut, doch andere sah sie zum ersten Mal. Die Patientin am Nebentisch schien recht nervös zu sein. Sie schaute unentwegt um sich. Ihr Kuchen in der Hand zerbröselte, weil sie ihn immer fester zusammendrückte. Schließlich warf sie ihn trotzig in den Teller zurück. Plötzlich begann sie hysterisch zu schreien. Maria schreckte hoch. Wärter kamen herbei geeilt und konnten die Frau kaum halten. Sie entwickelte enorme Kräfte und schlug einem der Männer ins Gesicht. Schnell kam ein Arzt herbei und versuchte ihr eine Spritze in den Arm zu geben, doch gelang es ihm nicht gleich.
Die Patientin schaute zu Maria und brüllte in ihre Richtung: „Trau ihnen nicht! Sag ihnen nicht alles! Das hier ist kein Krankenhaus! Trau ihnen blos nicht!“
Dann begann das Medikament zu wirken und ihre Augen verdrehten sich. Dennoch hatte sie noch ein wenig Kraft sich gegen die festhaltenden Hände zu wehren. Schließlich schleppten sie vier Männer aus dem Saal.
Einige der anderen Patienten mussten vom Personal beruhigt werden, allerdings reichte bei ihnen ein wenig Zuspruch.
Nachdem alle mit dem Frühstück fertig und das Geschirr wieder abgeräumt war, durften sich alle frei bewegen. Maria stand auf und ging in die Richtung, wo Markus saß, doch der schien keine Lust zum Plaudern zu haben. Nicht wissend, was sie tun sollte, stellte sie sich zu einem der Fenster. Zumindest gab es dort eine andere Aussicht als im Zimmer. Ein Mann gesellte sich daneben und stellte sich vor. Sein Name war Ludwig. Vorerst kam er Maria halbwegs normal vor, aber sie war vorsichtig, denn der erste Eindruck könnte auch täuschen.
Ludwig war ein etwas älterer Herr. Seine Augen wirkten freundlich und zudem schien er redebedarf zu haben.
„ Grete hat es nicht leicht.“
„ Wer ist Grete?“
„ Die Frau, die vorhin abgeführt wurde.“
„ Aha. Stimmt was sie sagte?“
„ Das weiß man nicht so genau. Manche glauben schon, aber die heftigen Therapien könnten sie auch in den Wahnsinn getrieben haben.“
„ Was bekommt sie denn für Therapien?“
„ Strom.“
„ Wie Strom?“
„ Elektroschocks.“
„ Das gibt es noch!?“
„ Hier leider schon.“
Maria war entsetzt. Elektroschocks waren unmenschlich und schon seit einiger Zeit nicht mehr erlaubt. Dachte sie zumindest.
Ludwig sah, dass Maria erschüttert war.
„ Sorge dich nicht. Es gibt nur wenige, die welche bekommen. Mach einfach, was sie von dir möchten, dann kann es dir nicht passieren.“
„ Da gibt es noch mehr die diese Elektroschocks bekommen?“
„ Ja. Markus zum Beispiel hat gestern eine bekommen.“
„ Deswegen ist er heute so abwesend!“
„ Ich muss mich jetzt an meinen Tisch setzten. Die Wachen schauen schon zu uns rüber. Wenn du möchtest, setz dich später zu mir und wir spielen ein Brettspiel, dann können wir unbemerkter reden.“
Ludwig wand sich ab und setzte sich an einen der freien Tische.
Maria war noch immer erschüttert. Nie hätte sie gedacht, dass es noch derart brutale Therapien gab.
Sie schaute noch einige Zeit beim Fenster hinaus, um nicht unangenehm aufzufallen. So konnte sie auch gleich ihren geschockten Gesichtsausdruck verbergen.
Draußen wirkte es kalt und ungemütlich, wie so oft in Schottland. Das Wetter in dieser Gegend war nicht gerade einladend. Naja, mit der Psychiatrie war auch dieser Fleck Erde genutzt.
Die Sicht war weit und grün. In der Ferne erstreckten sich Berge dem Himmel empor. Ein kleiner dunkler Punkt wies auf ein Tier hin, doch welches genau konnte man nicht erkennen.
Einige Zeit später schlenderte Maria zu den Regalen, die mit verschieden Spielen gefüllt waren. Die meisten waren Spiele für Kleinkinder, ohne besondere Herausforderung. Schnapskarten befanden sich leider keine dabei. Schließlich stieß sie auf ein Puzzle mit 500 Teilen. Ein Landschaftsbild mit Strand und Meer. Ja, das war gut um nebenbei zu plaudern.
Mit den Karton in der Hand setzte sie sich neben Ludwig. Er lächelte und leerte die Puzzleteile auf den Tisch.
„ Schau nicht so oft zu den Wachen rüber. Das fällt auf.
Wie heißt du eigentlich?“
„ Maria. Glaube ich zumindest.“
„ Ah. Du hast Erinnerungslücken.“
„ Ja. Wobei, Lücken ist gut. Ich habe gar keine Erinnerung.“
„ Was hast du angestellt?“
„ Wieso angestellt? Ich bin hier, weil mir jemand etwas angetan hat.“
„ Normal sind hier nur Leute, die selbst etwas am Kerbholz haben. Was hat man dir denn angetan?“
„ Ehrlich gesagt weiß ich das nicht so genau. Man hat mich schwer verletzt gefunden.“
„ Dann musst du doch etwas angestellt haben. Sonst wärst du nicht hier gelandet. Hast es wahrscheinlich nur vergessen.“
„ Nein, ich hab nichts gemacht.“
„ Wenn du meinst.“
„ Was ist los mit dir? Ich soll mich nur erinnern, damit man nachvollziehen kann, was mir geschehen ist.“
„ Ok. Ich wollte dich nicht aufregen.“
„ Was hast du angestellt?“
„ Wenn ich dir das sage, willst du vielleicht nicht mehr mit mir puzzeln.“
Ludwig zwinkerte Maria kurz zu und lächelte.
„ So schlimm?“
„ Eigentlich ja. Was meinst du, wenn ich dir sage, ich habe gemordet?“
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