„ Macht nichts.“
„ Im Rettungsauto bekam ich dann so eine Flasche angehängt und irgendetwas piepste andauernd. Mehr weiß ich nicht mehr.“
„ Immerhin.“
„ Glauben Sie, es ist nur ein Traum oder ist es wirklich so gewesen?“
„ Es könnte von allem ein wenig sein. Es kann passieren, dass wir träumen, was geschehen ist, aber auch was wir von anderen gehört haben, was passiert sein könnte.
Manchmal sind Träume derart real, dass sie wie geschehen wirken. Doch oft denken wir auch nur mit verschlossenen Augen vor uns hin, was tatsächlich passiert ist.“
„ Nun, dass man mich nach meinem Namen gefragt hat, wurde mir erzählt, aber ich sehe immer das gleiche Gesicht vom Sanitäter.“
„ Erzählen Sie. Wie schaute der Sanitäter aus?“
Maria lehnte sich zurück und dachte nach.
„ Also, er könnte so Ende zwanzig sein. Ein drei Tage Bart und eher schlank. Dunkle Haare. Die Augenfarbe weiß ich nicht, aber es waren sehr freundliche Augen. Die Stimme war ein bisschen tiefer, also angenehm und beruhigend.“
„ Na das nenne ich eine gute Beschreibung.“
„ Ich träume ja oft von ihm.“
„ Wenn Sie möchten, frage ich nach dem Aussehen Ihres Sanitäters. Dann wissen wir, ob er nur ein Traum ist.“
„ Oh ja, bitte.“
„ Wieso hatten Sie so viel Blut auf Ihrer Kleidung?“
„ Ich war ja verletzt.“
„ Ja, aber Ihre Verletzungen waren eher innerlich.“
„ Naja, von irgendwo wird es schon hergekommen sein. Ich hatte ja auch eine Platzwunde am Kopf.“
„ Stimmt. Allerdings war es nicht nur Ihr eigenes Blut.“
„ Was meinen Sie damit?“
„ Auf Ihrer Kleidung. Da fand man auch Blut einer anderen Person.“
„ Wahrscheinlich habe ich mich gewehrt und meinen Angreifer verletzt.“
„ Wer hat Sie angegriffen?“
„ Ich weiß es nicht. Aber irgendwer muss mich verletzt haben und neben die Gleise geworfen haben.“
„ Wurden Sie woanders verletzt und zu den Schienen gebracht?“
„ Keine Ahnung!
Es gibt doch so was wie DNA. Damit könnte man doch leicht herausfinden, wessen Blut das ist.“
„ Sie wissen also nicht, wer Sie angegriffen hat?“
„ Nein!“
„ Seit wann wissen Sie, dass es kein Unfall war, sondern ein Angreifer?“
„ Seit Sie mir sagten, es war fremdes Blut auf meiner Kleidung!“
Maria war aufgebracht. Das Gespräch hatte so gut angefangen. Jetzt ging ihr der Doktor auf die Nerven.
Dr. Schuh erhob sich und nahm seine Notizen vom Tisch. Er redete von einem aufschlussreichen Gespräch und holte den Wärter vor der Türe hinein, der Maria wieder in ihr Zimmer bringen sollte.
Maria konnte es nicht fassen. Er brach einfach das Gespräch ab und verabschiedete sich. Als sie gerade den Raum verließ, sagte er noch, dass sie sich in zwei Tagen wiedersehen würden. Sein Lächeln dabei verärgerte Maria nur noch mehr und hätte sie gekonnt, wäre sie ihn angesprungen.
Mit wütendem Gesichtsausdruck saß sie auf der Bettkante.
Was sollten die provokanten Fragen am Schluss? Er wusste doch, sie konnte sich an nichts mehr erinnern.
Der Tag war nun verdorben. Zu Abend fehlte ihr der Appetit, also ließ sie die Hälfte des Essens wieder zurückgehen.
Wieso war fremdes Blut auf ihrer Kleidung? Warum hatte sie jemand niedergeschlagen? War sie ein böser Mensch, oder einfach nur ein Opfer?
Wenn Dr. Schuh die ganze Zeit über von dem Blut gewusst hatte, was wusste er noch und sagte es ihr nicht?
Vielleicht kannte er sogar den Namen von dem Schläger. Wenn er einfach sagen würde, was er bereits wusste, könnte er es doch einfach sagen. Möglich, dass dann die Erinnerung schneller käme.
Die Nacht wurde trotz Schlaftablette sehr unruhig. Maria wälzte sich von einer Seite auf die andere.
Am nächsten Tag wurde sie wieder abgeholt, um im Speisesaal zu frühstücken. Etwas genervt folgte sie einem Wärter in den großen Raum. Thomas saß bereits da und wartete auf sein Frühstück. Gleich neben ihm war ein Tisch frei und sie nahm dort Platz. Maria ließ ihren Blick in die Runde schweifen. Ein paar der Patienten erkannte sie wieder, andere jedoch erschienen ihr neu. Eine etwas ältere Frau strich sich unentwegt durch die Haare. Es war, als hätte sie einen Spiegel vor sich, um Schminke für einen abendlichen Ausgang aufzutragen. Nach einer Weile begann sie sich selbst an den Haaren zu ziehen und hielt kurz darauf ein Büschel davon in ihrer Hand. Einer der Wärter rief lauf ihren Namen, Estella. Er ermahnte sie und nahm ihr das blutige Büschel aus der Hand. Sofort begann die alte Frau zu weinen. Da sie niemand beruhigen konnte, wurde sie in ihr Zimmer gebracht. Die zwei anderen Patienten, die im Zuge des Vorfalles ebenfalls zu weinen begonnen hatten, beruhigten sich in sekundenschnelle wieder. Nun war es, als wäre nie etwas geschehen.
Thomas seufzte auf. Maria sah die Chance, seiner kurzen Aufmerksamkeit und begrüßte ihn, aber er schaute sie nur seltsam an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.
Das Frühstück wurde serviert. Eine mit Butter und Marmelade bestrichene Semmel, ein Brot, Schinken und Käse. Zum Trinken gab es dünnen Orangensaft und einen extrem hellen, koffeinfreien Kaffee. Maria stellte fest, dass ihr Frühstück am Zimmer etwas geschmackvoller war, als dieses im Speisesaal.
Nachdem die leeren Teller abgeräumt wurden, setzte sich kurzer Hand Thomas an den Tisch von Maria.
„ Hallo junge Frau, kennen wir uns?“
Maria schaute ihn ein wenig erstaunt an.
„ Ja, wir haben uns letztes Mal unterhalten. Du bist doch Thomas.“
„ Oh, Sie müssen sich irren. Mein Name ist Rudolf.“
„ Sie sehen aber aus wie Thomas.“
„ Man hat mir schon öfter gesagt, ich hätte hier einen Doppelgänger. Leider bin ich ihm noch nie begegnet.“
„ Aha.“
„ Wie komme ich zu der Ehre, dass sich eine so hübsche junge Frau mit mir unterhalten möchte?“
Maria schaute ihn misstrauisch an. Wollte sie Thomas nur auf den Arm nehmen? Erlaubte er sich einen Scherz mit ihr? Er schien doch um einiges jünger als sie selbst zu sein. Gut, spielte sie halt mit.
„ Oh mein Herr, das Alter spielt doch keine Rolle bei einem netten Gespräch.“
„ Wie wahr. Was verschlägt Sie in diese wunderbare Ferienanlage? Ich habe Sie zuvor noch nie hier gesehen, obwohl ich jedes Jahr hier urlaube.“
„ Ein guter Freund hat mir die Anlage empfohlen. Es ist wirklich nett hier, doch das Frühstück könnte besser sein.“
„ Das stimmt. Für eine junge Frau wie Sie ist dies wahrhaftig zu wenig.“
Er lachte.
Noch bevor Maria ihre Rolle weiterspielen konnte, wurde sie von einem der Wärter abgeholt und ins Zimmer gebracht. Beim Entlanggehen des Flurs erzählte ihr der kräftig gebaute Mann, dass sie sich nicht über Markus wundern sollte. Er litt an mehreren Persönlichkeitsspaltungen und hatte viele Namen. Also hieß er weder Thomas noch Rudolf, sondern Markus.
Im Zimmer zurück entging ihr nicht, dass man ihre Sachen durchsucht hatte.
Ein wenig verärgert darüber, wie eine Gefangene behandelt zu werden, ließ sie sich auf dem Stuhl neben dem kleinen Tisch nieder. Da jedoch niemand hier war, um ihre beleidigten Gesichtszüge zu sehen, stand sie bald wieder mit einem Ruck auf und schaute beim Fenster hinaus.
Ein kleiner Bagger grub mitten im Garten ein Loch. Was er wohl vorhatte?
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