Als hätte sie es geplant, war es also der Geburtstag des Osiris, an dem die Beisetzung Ah-hoteps stattfand. Dutzende von Booten und Barken mit den Mitgliedern der königlichen Familie, den Würdenträgern und Adeligen, den Generälen und Admiralen, den obersten Priestern, den ersten Sängerinnen und Tänzerinnen sowie deren Familien überquerten den Nil, um den riesigen vergoldeten Sarkophag auf seiner letzten Reise zu begleiten. Es folgten die Schreiber und Beamten, die Angestellten des Palastes und die Handwerker der königlichen Werkstätten. Wie ein Schwarm von Bienen scharten sie sich um die königliche Barke, die den goldenen Sarg trug, der in den ersten Strahlen der Sonne wie ein übergroßes Trugbild strahlte. Pharao hatte Hunderte von Rauchgefäßbetreuern in den Booten mitfahren sowie an den Ufern aufstellen lassen, so dass sich das Räucherwerk ebenso schwer über den Fluss legte wie der monotone Gesang der Priester und ihn zu einer geheiligten Zone werden ließ. Das Volk, das die Verstorbene aufrichtig verehrte, war zu Zehntausenden gekommen, um der Großen königlichen Gemahlin Ah-hotep das letzte Geleit in den Westen zu geben. Auf dem Nil wimmelte es nur so vor kleinen Papyrusbooten, die in gebührendem Abstand der königlichen Barke mit dem Sarg folgten. Am westlichen Ufer sorgte schließlich ein Spalier von Räuchergefäßen dafür, dass die Verstorbene auf dem Weg zu ihrer Grabstätte nur durch gereinigte Luft getragen wurde. Ergriffen waren die meisten Zuschauer am Ufer zurückgeblieben und sahen die Trauergemeinde in den betörenden Rauchschwaden verschwinden. Andere, die Ah-hotep persönlich gekannt hatten oder sie aber auch nur ganz besonders verehrten, folgten dem Zug bis er die Felsen erreicht hatte.
Die Beisetzung selbst fand schließlich in den schroffen Berghängen nur im engsten Familienkreis statt. Während Pharao die letzten Riten zelebrierte und allergrößte Mühe hatte, nicht in Tränen auszubrechen, weinte seine Mutter Seni-seneb hemmungslos. Die Große königliche Gemahlin Ahmes verdrehte die Augen, offenbarte ihrer Meinung nach die Tochter des Palastgärtners mit diesem Verhalten doch nur ihre niedere, nicht königliche Abkunft. Hat-schepsut riss sich also zusammen und biss sich auf die Unterlippe, damit sie bloß nicht ebenfalls zu weinen begann. Ihr Halbbruder Thot-mose jedoch, der am nächsten Tag zum Thronfolger erklärt werden sollte, schluchzte erbarmungswürdig und versuchte krampfhaft, nicht vollends von der Trauer durchgeschüttelt zu werden. Der Affe auf seiner Schulter war völlig durcheinander und büchste bei der nächsten Gelegenheit aus, nur um sich zu Füßen von Ah-hoteps aufgerichtetem Sarg niederzusetzen und erbärmlich zu kreischen. Dabei klopfte er sich ständig an den Kopf, als wolle er den Anwesenden damit etwas mitteilen. Ahmes zischte ihren Stiefsohn an, dass er sich gefälligst um die Bestie kümmern solle, so dass der arme Thot-mose nicht recht wusste, wie er möglichst unauffällig wieder seines Schoßtiers habhaft werden sollte. Pharao griff entschlossen zu und setzte den zappelnden Wicht seinem Sohn zurück auf die Schulter, während Hat-schepsut die zitternde Hand des Thronfolgers in die Ihre nahm und fest drückte. Selten einmal hatte sie in dankbarere Augen geblickt und Thot-mose ließ die Hand seiner Schwester nicht mehr los, bis sie am Ende des Tages wieder im Palast zu Waset angelangt waren.
Bis spät in die Nacht saß die Familie im großen Saal des königlichen Palastes beisammen und gedachte der Dahingeschiedenen. Sänger sangen Lieder über die große Frau und rühmten sie als Befreierin Kemets. Pharao rief allen ins Gedächtnis welche Ehrungen Ah-hotep bereits erfahren hatte und welche Verehrung noch in Zukunft zu erwarten war. Schließlich wurde Hat-schepsuts dumpfe Trauer von strahlendem Stolz abgelöst, dieser bedeutenden Frau so nahe gestanden zu haben. Entgegen der üblichen Einschätzung sah Hat-schepsut Ah-hoteps Bedeutung nicht einmal in erster Linie darin, dass sie an der Befreiung Kemets so entschieden mitgewirkt hatte. Sie war vor allem deshalb Hat-schepsut Heldin, weil sie der Welt gezeigt hatte, dass königliche Damen ebenso gerecht und gut und zum Vorteil des Landes herrschen konnten, wie königliche Prinzen auch. „Es mag noch ein wenig dauern“, pflegte Ah-hotep zu sagen, „aber eines Tages wird es einerlei sein, ob eine Frau oder ein Mann auf dem Thron sitzt.“ Seltsamerweise war es ihr Vater, der Pharao, der Hat-schepsut stets darin bestärkt hatte, dass es nichts gäbe, was Mädchen nicht auch tun könnten.
Am nächsten Tag, der östliche Horizont war kaum grau geworden, brach Hat-schepsut in aller Frühe zum Amun-Tempel auf. Sie wusste, dass ihr stundenlange Riten bevorstanden, mit denen sie als Gottesgemahlin des Amun bestätigt werden sollte. Sie würde Amun höchstselbst im tiefsten Inneren seines Tempels begegnen, wie er sich in einer Statue aus purem Gold verdinglichte, das ja schließlich das Fleisch der Götter war. Die immer kleiner und düsterer werdenden Räume des Tempels ließen sie schaudern. Die Räucherwaren und die verschiedenen Trünke von denen sie kosten musste, hatten sie schnell ganz benommen gemacht. Schließlich stand Hat-schepsut nach unzähligen Gebeten und Riten im finsteren Allerheiligsten. Nur der Oberpriester sowie Pharao und nun auch sie hatten Zutritt und durften in das Antlitz des goldenen Gottes schauen. Er war überraschend klein, stellte Hat-schepsut enttäuscht fest. Das flackernde Licht der Fackeln ließ das Gesicht Amuns allerdings sich ständig verändern, so dass man in einem Augenblick in ein streng dreinblickendes Angesicht sah und im nächsten in ein freundlich lächelndes. Hat-schepsut konnte nun tatsächlich nicht mehr ausschließen, dass der kaum mehr als einer Elle großen Götterstatue doch so etwas wie Leben innewohnte. Irgendwann streiften zwei Priester, denen man die Augen verbunden hatte, damit sie des Gottes nicht ansichtig wurden, die Kalasiris von ihren Schultern. Hat-schepsut fragte sich, wie ihnen das trotz ihrer verbundenen Augen so mühelos gelang. Nun stand sie nackt und bloß vor dem Gott. Sie hoffte, dass er sich bald äußern möge, denn sie fühlte sich von dem goldenen Gesicht begutachtet und abgeschätzt. Es war ihr jedoch unmöglich, die Regungslosigkeit des Gottes zu deuten. Schließlich erklärte der Oberpriester Hapu-seneb, dass Amun eine Antwort gegeben habe: Er zeige Wohlgefallen an dem, was er sah und erkenne die Königstochter mit Freude als seine geliebte Gemahlin an. Hat-schepsut, die Tochter Pharaos, wurde von nun an also von einem Gott geliebt und begehrt. Mit ihr würde er göttliche Kinder zeugen wollen, denn sie war es, die groß genug war, um an seiner Seite zu stehen. Nun wurde Hat-schepsut in schwere Kleider gehüllt, die sie zu einer gottgleichen, goldenen Erscheinung werden ließen. Man setzte ihr die schwere Geierhaube aufs Haupt und darauf noch die Nechbetkrone, die aus sich aufrichtenden Schlangen aus purem Gold gefertigt war. Sie war unvorstellbar schwer und Hat-schepsut hatte Mühe, unter ihrem Gewicht den Kopf gerade zu halten. Sie fühlte sich benommen, als sie an der Seite ihres Vaters und Hapu-senebs den Weg aus dem Allerheiligsten zurückging. Die Räume wurden wieder größer, die Decken höher und immer häufiger drang Tageslicht durch schmale Luken in den Tempel.
Plötzlich wurde ein Tor aufgestoßen. Hat-schepsut war, als spränge ihr die Sonne ins Gesicht, so geblendet war sie von ihrem Licht. Sie sah nichts als gelbliches, gleißendes Weiß. Zugleich hörte sie ein Rauschen, das so klang, wie sie sich immer ein tosendes Meer vorgestellt hatte oder einen Sturm, der durch die Zedern des sagenhaften Lebnon-Gebirges fegte, als heulten Tausende von Tieren aller Art. Doch es waren Menschen ‑ Hunderte, Tausende, ach was, Zigtausende … Sie schrieen sich ihre Freude von der Seele, dass Gott Amun ein Weib aus ihres Königs Familie erwählt hatte. Ihre Aufgabe als seine Gemahlin würde es nun sein, den Gott glücklich zu machen. Und ihm Kinder zu schenken, wenn sie erst einmal die Große königliche Gemahlin von Thot-mose war. Gott Amun hatte sie vor allen anderen königlichen Damen auserkoren, sein Weib zu sein.
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