Sie hatte sich schon bei Kathy umgezogen. Auch wenn sie hier in der Umkleidekabine keiner anpacken würde, so ekelte sie sich immer noch vor diesen Räumen. Wie oft hatte sie Barney nun angeboten, dass sie die Renovierung dafür zahlen würde. Da hier kaum Frauen hinkamen – mittlerweile durch die Kinder aber doch – waren die Umkleidekabinen und Duschen bisher nur von Männern benutzt worden. Da Barney aber nicht so viel von putzen hielt, sah es entsprechend dort aus.
Vicky betrat die Halle und wurde – wie immer – mit einem lauten Hallo von allen begrüßt. Schon wieder war die Gruppe größer geworden und ein Strahlen ging über ihr Gesicht.
E
r wohnte noch nicht lange hier. Allerdings hoffte er, dass es auch nicht für lange sein würde. Sein Auftrag hatte ihn hierhergebracht, in das wohl schlimmste Viertel von White Beach. Dabei wohnte seine Zielperson ganz woanders. Warum man ihm diese Tarnung besorgt hatte, verstand er immer noch nicht.
Er bearbeitete mit schnellen Schlägen den Boxsack. Heute war er nicht wie üblich abends in der Trainingshalle, sondern schon nachmittags hingegangen. Er war so ruhelos gewesen und musste seine Energie unbedingt loswerden. Mittlerweile bereute er das allerdings, denn wenn er gewusst hätte, dass so viele Kinder hier sein würden, wäre er nicht gekommen. Der Lärm von ihnen ging ihm jetzt schon gehörig auf den Sack.
War er heute in einen Schulausflug geraten? Seine Laune wurde immer schlechter und als dann die Bande auch noch lauthals den Trainer begrüßte, hätte er am liebsten diesem Vik den Hals umgedreht.
Als er jedoch den Blick hob, um besagten Trainer anzuschauen, traf ihn fast der Schlag.
„Was macht denn Barbie hier?“, entfuhr es ihm gerade so laut, dass sein Trainingsnachbar ihn hören konnte.
Dieser hörte augenblicklich auf, auf seinen Sack einzuschlagen, und schaute daran vorbei.
„Du meinst Vicky?“
„Wenn das die Frau in dem knallengen, quietschgelben Anzug und den riesigen Brüsten ist, dann ja.“
„Pass auf, was du sagst. Du weißt nicht, wer das ist, oder?“
„Ne, woher denn? Ich bin noch nicht lange hier.“
„Das ist Victoria Gold. Ihre Eltern gehören zu einen der reichsten Bewohner in White Beach, was aber interessanter sein dürfte, sie ist die Schwester von Jace Gold.“
Vincent tat so, als ob ihm die Namen nichts sagten. Aber das taten sie sehr wohl. Gerade hatte er einen Sechser im Lotto mit Zusatzzahl. Das ließ er sich aber nicht anmerken.
„Keine Ahnung, wer die Golds oder wer Jace ist. Aber die Kleine sieht heiß aus.“
„Ich würde an deiner Stelle die Finger von ihr lassen. Alle Männer hier im Laden würden sicher gerne zwischen ihren Beinen liegen. Aber keiner würde sie je anrühren. Der Name Gold schreckt ab. Aber nicht nur das. Die Kleine hat Haare auf den Zähnen. Die hat hier schon einige flachgelegt. Und damit meine ich nicht ficken.“ Fin lachte über seinen eigenen Witz.
„Aha. Und du würdest auch gerne mal zwischen ihren Beinen liegen?“, provozierte ihn Vincent.
„Nope. Dann doch lieber vor Jace knien.“
„Du bist schwul?“
„Hast du ein Problem damit?“
„Nope, solange du mich nicht anbaggerst, ist alles in bester Ordnung.“
„Keine Sorge, du bist nicht mein Typ.“
Vincent zog eine Augenbraue hoch. Da hatte er ja Glück gehabt, dass Fin nicht auf ihn stand.
„Aber auch so rate ich dir, die Finger von ihr zu lassen. Sie ist wirklich anständig. Was sie mit den Kids hier auf die Beine gestellt hat, hätte keiner für möglich gehalten. Barney hat sie nun auch fast so weit, dass endlich die Umkleiden renoviert werden. Aber der frisst ihr sowieso aus der Hand – wie fast alle hier.“
„Scheint ja wirklich eine kleine Samariterin zu sein, die liebe Ms. Gold.“
Vincent widmete sich wieder seinem Sandsack und ließ eine schnelle Abfolge von Schlägen darauf prasseln. Unauffällig behielt er Vicky allerdings dabei im Auge.
W
ie immer, ließ Vicky die Kids durch die Halle laufen und sich warm machen. Sie beobachtete jeden von ihnen. Die meisten kannte sie und wusste, wen sie besonders im Auge behalten musste. Wer gerne auch mal ein wenig stänkerte, wenn er meinte, nicht beobachtet zu werden.
Dabei fiel ihr Blick auf einen Mann, den sie hier noch nie gesehen hatte. Die Männer, die sonst nachmittags hier waren, kannte sie mittlerweile alle. In einer schnellen Abfolge schlug er auf seinen Sandsack ein. Seine Muskeln arbeiteten unter der Haut und sie hatte noch nie erlebt, dass der Anblick eines halbnackten Mannes sie so aus der Bahn warf.
Seine Schläge waren geschmeidig und sein Körper durchtrainiert. Jeder Schlag war präzise und Vicky erkannte sofort, dass sie keinem Amateur zusah. Das hier war ein Profi. Obwohl er weiter weg war, konnte sie den Schweißfilm auf seiner Haut erkennen. Er trainierte heute schon länger, denn die Sehnen und Muskeln traten stark hervor.
Zwischen ihren Beinen fing es an zu kribbeln, und sie musste sich zusammenreißen, dass sie diese nicht aneinander rieb. Verdammt, machte der Typ sie heiß.
Lautes Brüllen und Tumult ließen Vicky zusammenzucken. Wie konnte sie sich nur so gehen lassen? Schnell sprintete sie zur gegenüberliegenden Seite der Halle, wo sich eine große Traube von Kids gebildet hatte.
Sofort wurde ihr ein Gang zu den zwei Streithähnen gebildet. Unten lag Steve, ein aufbrausender aber herzensguter 14-jähriger Junge. Auf ihm saß ein neuer Junge, der übersät war mit Tätowierungen. Wobei sie sich nie von Äußerlichkeiten täuschen ließ. Einige der Kinder waren teilweise am ganzen Körper tätowiert, waren aber im Umgang total nett, wenn man sie erst einmal kannte.
Der neue Junge drosch auf Steve ein, der keine Chance gegen den größeren und schwereren Jungen hatte.
„Sofort aufhören“, brüllte Vicky.
Der Junge dachte gar nicht daran. Vicky trat ganz nah heran und brüllte noch einmal: „Ich. Sagte. Aufhören!“
Der Junge ließ von Steve ab und fixierte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Du Schlampe hast mir gar nichts zu sagen.“
Sie kannte die meist derbe Ausdrucksweise der Kids und störte sich normalerweise nicht daran. Allerdings gingen Beleidigungen bei ihr gar nicht.
„Du hast eine Chance, dich zu entschuldigen. Bei Steve und bei mir.“
Höhnisch lachte der Junge auf. „Was sonst?“
„Sonst muss ich dir leider die Regeln ein wenig deutlicher zeigen.“
„Du Hure hast mir gar nichts zu sagen. Und an Regeln …“
Bevor er nur fertig sprechen konnte, hatte ihn Vicky am Kragen gepackt und von Steve hochgezerrt. In einer schnellen Bewegung fasste sie seinen Arm, drehte ihn herum, ließ ihn über ihr angewinkeltes Bein fallen.
Das alles passierte blitzschnell. Nun lag der Junge mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und Vicky fixierte ihn mit nur einer kleinen Bewegung dort unten.
„Jetzt ganz langsam für dich. Es gibt hier keine Schlägereien, keine Beleidigungen. Es wird nach Regeln gekämpft. Wir vergreifen uns nicht an Kleineren oder Schwächeren, außer sie fühlen sich bereit, gegen dich anzutreten. Wir behandeln uns mit Respekt. Dazu gehört auch, dass man sich entschuldigt, wenn man Mist gebaut hat.“ Vicky hatte mit lauter aber ruhiger Stimme gesprochen.
In der Halle war es still geworden. Sogar die Männer hatten aufgehört zu trainieren und folgten der Szene. Es war nichts Neues, das Vicky sich immer wieder durchsetzen und Respekt verschaffen musste, aber noch nie hatte sie so extrem handgreiflich werden müssen.
„Es ist nämlich äußerst demütigend, unten zu liegen und sich nicht wehren zu können. Das siehst du doch hoffentlich ein. Haben wir uns verstanden?“ Noch immer hielt Vicky den Jungen am Boden.
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