In einer anderen Hinsicht hatte die Kaiserkrönung von 962 durchaus eine gesamteuropäische Dimension. Otto I. bestätigte im Pactum Ottonianum die Gebietsansprüche des Papstes in Mittelitalien, die sich zum Teil auf Territorien bezogen, die vom byzantinischen Kaiser beansprucht oder beherrscht wurden. Im Kern ging es um das Exarchat von Ravenna sowie um die langobardischen Fürstentümer Capua und Benevent. Dieser Gegensatz zwischen den beiden höchsten weltlichen Würdenträgern wurde erst zehn Jahre später aus dem Weg geräumt, als der Kaisersohn im Jahr 972 mit Theophanu, der Nichte des byzantinischen Herrschers, vermählt wurde. Die Verbindung mit dem Papsttum hatte nicht nur territoriale Konflikte zur Folge; Otto I. nahm für sich auch ein Aufsichtsrecht über den Apostolischen Stuhl in Anspruch und wollte die Päpste auf einen Treueid verpflichten. So fühlte er sich berechtigt, in den Jahren 963 und 965 zweimal Päpste des Amtes zu entheben, da sie sich seiner Politik widersetzt hatten. Der Kaiser ließ selbst Päpste ernennen, die allerdings in Rom einen schweren Stand hatten und ohne die militärische Rückendeckung von seiten des Kaisers den gegnerischen Kräften hoffnungslos unterlegen gewesen wären. Einem Hilferuf des von ihm eingesetzten Papstes Johannes XIII. folgend, zog Otto I. im Jahr 965 erneut nach Italien. Bis zum Jahr 972 blieb er dort, um die Stellung seines Papstes und die Verhältnisse in Mittel- und Norditalien zu regeln.
Der Eingriff des Kaisers in die Papstwahl war im Vergleich zur Karolingerzeit eine Neuerung. Otto III. setzte diese Politik fort, als er im Jahr 996 zur Kaiserkrönung nach Rom zog. Nachdem Papst Johannes XV. gestorben war, bot eine römische Gesandtschaft dem in Pavia angekommenen König die Nominierung eines Nachfolgers an. Otto III. wählte mit Bischof Bruno von Augsburg einen entfernten Verwandten, der ihn als Gregor V. am 21. Mai 996 zum Kaiser krönte. Auch Otto III. mußte die Erfahrung machen, daß sich der von ihm ernannte Papst bei seiner Abwesenheit nicht gegen die stadtrömischen Adelsfamilien durchsetzen konnte. Er ließ daher eine kaiserliche Residenz in Rom errichten und signalisierte damit seine dauernde Präsenz. Der nächste Papst, Silvester II., wurde ebenfalls von Otto III. ernannt. Die Zusammenarbeit zwischen Papst und Kaiser erreichte in den kurzen Jahren ihrer gemeinsamen Herrschaft (999–1002) einen Höhepunkt. Auf den Metallsiegeln seiner Urkunden formulierte Otto das Programm der Renovatio imperii Romanorum, ein Leitspruch, der der Forschung bis zuletzt Anlaß zu unterschiedlichen Deutungen gab.
Eine direkte Einmischung in die Papstwahl wie unter Otto III. blieb weiterhin die Ausnahme. In der Regel trat man in Rom nur dann an den deutschen König heran, wenn eine zwiespältige Wahl erfolgt war. So wandten sich im Jahr 1012 die beiden Kontrahenten Benedikt VIII. und Gregor (VI.) an Heinrich II., der sich für den Tuskulaner-Papst Benedikt entschied und von diesem die Kaiserkrone erhielt (14. Februar 1014). Im Schisma zwischen Anaklet II. und Innozenz II. entschied sich Lothar III. nach anfänglichem Zögern für letzteren und erlangte am 4. Juni 1133 die Kaiserkrone. Vergeblich war das Bemühen Friedrichs I. zur Beendigung des Schismas zwischen Alexander III. und Viktor IV. Für das Jahr 1160 berief er eine Synode nach Pavia, zu der allerdings nur die Anhänger Viktors IV. erschienen, da das Ergebnis der synodalen Beratungen im voraus feststand. Der Versuch der Einigung durch Friedrich I. scheiterte und im Jahr 1176 mußte der Kaiser nach langen Jahren der erbittert geführten Auseinandersetzungen die Legitimität Alexanders III. anerkennen. In der Zeit des Großen Abendländischen Schismas [↗ Abendländisches Schisma] übernahm König Sigismund die Führung des Konstanzer Konzils (1414–1418) als defensor et advocatus ecclesiae. Bis zur Wahl Martins V. (1417) prägte er die Verhandlungen des Konzils sowohl in kirchenpolitischer als auch in diplomatischer Hinsicht. Die Papstwahl erfolgte jedoch ohne sein Mitwirken durch die Kardinäle und durch die Vertreter der in Konstanz anwesenden Nationen.
Der Kaiser konnte also seinen Einfluß nur bei einer zwiespältigen Papstwahl oder einem bestehenden Schisma geltend machen. Zu einer fast ebenso engen Zusammenarbeit wie unter Otto III. kam es durch das Schisma von 1046. In diesem Jahr war König Heinrich III. auf seinem Romzug mit der Situation konfrontiert, daß infolge von Konflikten innerhalb des stadtrömischen Adels drei Päpste um das Amt konkurrierten. Diese Situation mußte Heinrich untragbar erscheinen, da er für die Kaiserkrönung einen unumstrittenen und über jeden Zweifel erhabenen Inhaber des Apostolischen Stuhls benötigte. Er ließ daher alle drei Päpste auf Synoden in Sutri und Rom absetzen und machte Bischof Suidger von Bamberg zum Papst. Dieser krönte ihn am 26. Dezember 1046 zum Kaiser. Auch in den nächsten Jahren übte der deutsche Königshof einen bestimmenden Einfluß auf die Papstwahl aus. Mit dem Papstwahldekret von 1059 versuchte das Reformpapsttum das Mitspracherecht des deutschen Königs zurückzudrängen. Das Recht zur Wahl des Papstes fiel allmählich in die ausschließliche Kompetenz der Kardinäle [↗ Papsttum und Kurie]. Selbst den Gegenpapst Clemens (III.) ließ Heinrich IV. im Jahr 1084 durch 13 Kardinäle in einem förmlichen Procedere wählen, obwohl er ihn schon im Jahr 1080 durch eine Synode designiert und zum Konkurrenten Gregors VII. erhoben hatte.
In seiner Stellung als Schirmherr über den Apostolischen Stuhl hatte der Kaiser also durchaus eine mehr oder weniger klar umrissene Kompetenz, die sich während des Hoch- und Spätmittelalters in unterschiedlicher Form konkretisierte. Ephemer blieb dagegen das Recht der Königserhebung, das der Kaiser nur in bezug auf das zum Reich zählende Böhmen mehrmals praktizierte (1085, 1158, 1198). Die Erhebung des polnischen Königs in Gnesen (1000) ist unter Historikern umstritten; die Erhebung von Königen in Zypern und Kleinarmenien durch Heinrich VI. (1195) blieb ein Einzelfall.
In der politischen Theorie der Zeit wurde dem Kaisertum eine viel weitergehende Wirkung nach außen zugeschrieben. Vor allem nach der Rezeption des römischen Rechts bezeichnete man den Kaiser gerne als dominus mundi, als Weltherrscher. In der staufischen Panegyrik nutzte man nicht selten das propagandistische Potential dieser Formel. In der wissenschaftlichen Diskussion hatte der Begriff des dominus mundi eine unterschiedliche Reichweite. Die Juristen an den Universitäten benutzten die Idee der kaiserlichen Weltherrschaft als Konstruktionsprinzip der Wissenschaft vom römischen Recht, um dessen Geltung ideell aufrechtzuerhalten. Die juristische Diskussion um die Stellung des Kaisers berührte jedoch weniger die Realität des römisch-deutschen Reichs als die theoretische Frage nach der Lokalisierung staatlicher Gewalt. Insbesondere das Problem des Verhältnisses von Herrscher (princeps) und Recht wurde kontrovers diskutiert. Man konnte sich daher durchaus mit der (unzureichend erscheinenden) Auskunft begnügen, die anhand des römischen Rechts konstruierte Weltordnung habe nur de iure Geltung, während sich die Königreiche de facto als souveräne Staaten definierten. Seitdem Papst Innozenz III. dem französischen König (1202) bescheinigt hatte, daß er kein Oberhaupt anerkenne, war seine faktische Souveränität im kirchlichen Recht hinreichend verankert. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts bezeichneten die Juristen den französischen König als „Kaiser in seinem Reich“ (imperator in regno suo).
Erst nach der längsten kaiserlosen Zeit des Mittelalters (von 1250 bis 1312) wurden diese abstrakten Debatten in politische Ansprüche umgemünzt. Als Heinrich VII. nach über 60 Jahren das Kaisertum zu neuem Leben erweckte, bemühten sich seine gelehrten Anhänger um eine theoretische Klärung der Kaiseridee. Diese Klärung mußte auf der Grundlage der im 13. Jahrhundert neu entstandenen politischen Wissenschaft geleistet werden. Der berühmte italienische Dichter Dante Alighieri († 1321), der Heinrich VII. als Retter Italiens begrüßte, rechtfertigte als erster in seinem Werk Convivio das Kaisertum im Rahmen der aristotelischen Sozialphilosophie. Später, vermutlich nach dem Tod des Kaisers, verfaßte er ein eigenständiges Werk zu diesem Thema, die Monarchia. Das Kaisertum erschien ihm darin notwendig zur vollen Erlangung der menschlichen Glückseligkeit, weil nur unter dieser Voraussetzung alle menschlichen Konflikte durch einen obersten Richter bereinigt werden könnten. Noch zu Lebzeiten Heinrichs VII. verfertigte der steirische Abt Engelbert von Admont († 1331) eine Rechtfertigungsschrift der Italienpolitik des Luxemburgers. Anders als Dante berücksichtigte er stärker die christlichen Wurzeln des mittelalterlichen Kaisertums. Die universalen Kompetenzen des Kaisers leitete er gleichermaßen aus der Schirmherrschaft über die Christenheit und den Papst wie aus abstrakten philosophischen Überlegungen ab. Heinrich VII. bekannte sich zu diesen Ideen, als er gegen König Robert von Neapel einen Prozeß einleitete und in einem Brief an König Philipp IV. von Frankreich eine übergeordnete Stellung für sich reklamierte. Auch in der Folgezeit hielt die politische Theorie in Deutschland an der universalen Kompetenz des Kaisers fest. Wichtige Beiträge zur Debatte lieferten im 14. Jahrhundert Lupold von Bebenburg († 1363) und Konrad von Megenberg († 1374) sowie im 15. Jahrhundert Peter von Andlau († 1480). Dieses Beharren auf dem Universalismus ist in der Forschung zumeist als rückwärtsgewandter und realitätsferner Traditionalismus gewertet worden. Erst in letzter Zeit hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß das universale Kaisertum ein zentrales „einheitsstiftendes Moment der älteren deutschen Geschichte“ (P. Moraw) darstellte. Es schuf ein Identitätsbewußtsein und war kaum realitätsferner als die Strategien und Ideenkonstrukte, die der französische König zur Durchsetzung seiner monarchischen Gewalt zum Einsatz brachte.
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