Doch Alma ging nicht, das hätte einen zu krassen Bruch, eine zu starke eigenständige Entscheidung erfordert. Sie schloss ihre Augen und versuchte, ihre Gedanken abzustellen. Nach einigen tiefen Atemzügen legte sie sich halb auf Giacomos langen, schmalen Körper, schlang ein Bein zwischen seine und presste ihre Hüften an seinen Oberschenkel. Sie erforschte mit den Fingerspitzen seine straffe Haut und sog tief seinen Geruch ein, den sie auf dem Teppich nie so wahrgenommen hatte, und der eine fremde, scharfe Note enthielt. Sie begann langsam und rhythmisch ihre Hüften zu bewegen, ihre Brustwarzen wurden hart und sie wünschte, er würde sie in den Mund nehmen, daran saugen, doch diesen Gedanken vermochte er nicht zu lesen, obwohl sie ihren Oberkörper hob und ihm die Brust entgegenreckte. Durch ihre streichelnden Hände und ihre wachsende Erregung fand Giacomo endlich zu seiner üblichen Form.
Als Alma zu stöhnen begann, warf er sie energisch auf den Rücken und drang tief in sie ein. Mit zwei schnellen, harten Stößen schob er sie bis an das Ende des Bettes, wo ihr Kopf gegen den hölzernen Rahmen stieß und eine empfindliche Beule bekam. Augenblicklich war ihre Erregung verflogen, doch Giacomo schien wie in Trance, er schien gar nicht wahrzunehmen, dass er sie verletzte. Sie riss ihre Arme hinter den Kopf und versuchte, sich zwischen seinen Stößen wieder etwas nach unten zu schieben, doch sie konnte gegen seine Kraft nichts ausrichten. Wie der Kopf eines Rammbocks prallte ihr Schädel in festem Rhythmus bei jedem Stoß gegen das schwere Holz. Er begann zu dröhnen wie die Glocke im Dom, doch sie war zu entsetzt, um zu schreien. Als er endlich kam, brüllte er dabei wie ein verwundetes Tier und brach schwer atmend auf Alma zusammen.
So hatte sie ihn noch nie erlebt. Was war nur geschehen? Bisher war er zwar immer schnell, aber zärtlich gewesen. Die Brutalität, die sie gerade an ihm erlebt hatte, überwältigte sie. In ihrer Kehle saß ein dicker Kloß und ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie drehte ihren Kopf zur Wand, um sie Giacomo nicht sehen zu lassen. Was wahrscheinlich nicht nötig gewesen wäre, denn er schien vollauf mit sich selbst beschäftigt zu sein. Fast apathisch lag er noch einige Minuten auf Almas kleinem Körper, den er tief in die Matratze drückte, dann stand er auf, ohne sie anzuschauen, und auch beim Anziehen wandte er ihr den Rücken zu. Als hätte er doch etwas von ihrer Verzweiflung gespürt, drehte er sich erst um, als sie sich so weit unter Kontrolle hatte, dass ihre Augen trocken waren und ihre Kehle wieder frei. „Ich gehe dann mal“, sagte er leise und Alma nickte.
Danach sahen sie sich nie wieder und geblieben war nichts, keine Adresse, keine Telefonnummer und kein Verlangen, danach zu forschen. Das nächste Päckchen war von einer neuen Zustellerin gebracht worden.
Drei Wochen später wusste Alma, dass sie schwanger war. Und sie war sich von Beginn an sicher, dass das Kind von Giacomo war, obwohl sie auch einige Male mit Anton geschlafen hatte. In den folgenden Monaten ging es ihr körperlich und seelisch sehr schlecht, sie war blass und müde, musste sich ständig übergeben und brach häufig scheinbar grundlos in Tränen aus. Ein Monster schien in ihr heranzuwachsen, das ihr jeden Lebensmut nahm. Dazu kam die Scham über ihre letzte Begegnung mit Giacomo.
Sie hatte geglaubt, alles unter Kontrolle zu haben, hatte sich stark und schön gefühlt, verführerisch und begehrt. Die Affäre hatte ihrem eintönigen Leben einen Hauch von Verruchtheit gegeben, der es aufzupeppen schien wie Pfeffer einen Tomatensaft, doch dann hatte er ihr gezeigt, dass er der Starke war, unkontrollierbar, unbeherrscht und brutal. Und er hatte ihr Selbstwertgefühl zerquetscht wie eine Fliege an der Wand. Mit der Scham kamen Schuldgefühle. Sie war eine Betrügerin, ein Luder, eine Schlampe, die ihren Mann nicht verdient hatte, ihn, der höflich war, leise und rücksichtsvoll, der nie zu viel von ihr verlangte und sich nie beklagte.
Als Anton anfing, ihr den Hof zu machen – und dieser altmodische Ausdruck war durchaus angemessen für sein Benehmen – war Alma erst siebzehn und in voller Erwartung des Lebens und der Liebe. Sie hatte einen Großteil der vorangegangenen Jahre damit verbracht, Liebesromane zu lesen und wartete auf den Märchenprinzen, der eines Tages vor ihrer Tür stehen würde.
Erika grunzte meist spöttisch, wenn Alma von der Zukunft sprach, und lud sie ein, doch einmal ein wenig das Leben auszuprobieren, beispielsweise am Samstagabend auf Janssens Tanzparkett. Aber die ordinären Vergnügungen, an denen ihre ältere Schwester so viel Spaß hatte, sagten Alma überhaupt nicht zu. Sie war schon einmal dort gewesen, als drei Jahre zuvor ihre Cousine geheiratet hatte, in Begleitung der Eltern und etwas unpassend am Kindertisch platziert, wo sie sich ihren Vettern gegenübersah, die noch einige Jahre jünger waren als sie selbst.
Erika hatte den Platz neben ihr gar nicht erst eingenommen. Sie saß bei der Dorfjugend, die sich bei solchen Festivitäten an der Barlümmelte, darauf bedacht, jede Abwechslung vom öden Dorfleben voll auszukosten. Sie schäkerte mit Hermann ter Veen herum, der es sichtlich genoss, für den Abend der Auserwählte zu sein. Alma schämte sich für ihre Schwester. Erika war intelligent und sehr gutaussehend. Musste sie sich ständig mit diesen Typen herumtreiben? Sie wandte ihren Blick dem Saalgeschehen zu. Aber dieses Theater, in dessen Mittelpunkt zumindest eine Braut in Weiß stand, sagte ihr auch nicht mehr zu.
Die Hauptdarstellerin war übergewichtig, und die vielen Rüschen an ihrem Kleid verstärkten noch den Eindruck übertriebener Üppigkeit. Ihr frisch Angetrauter dagegen bewegte sich beim Tanzen etwas täppisch und war mit einem fliehenden Kinn gestraft. Die vielen Verwandten und Bekannten, die Alma im Saal beobachtete, hatten ihr Bestes gegeben, um sich fein auszustaffieren, aber in ihren Augen erschien alles wie Maskerade, ein plumper Versuch, über die Mittelmäßigkeit des Daseins hinwegzutäuschen. Zu kurze Beine, zu dicke Bäuche, zu grelle Farben und zu billige Kleider, um wahrhaftig den Stoff eines Märchens zu geben: immer wieder Damen, die in den Waschraum flüchteten, um ihr Aussehen zu kontrollieren, hier und da ein Stiernacken, der sich nervös am einschnürenden Kragen scheuerte. Lippenstiftspuren an den Schneidezähnen ihrer Tante, Schweißringe in den Achseln ihres Onkels, als dieser später am Abend das Jackett ablegte.
Das unter dem Einfluss des Alkohols anschwellende Gekreische der Damen, das anzügliche Grinsen in den Gesichtern der Herren. Hände, die erst zögerlich, dann immer direkter weibliche Rundungen suchten, Dekolletés die tiefer zu werden schienen, wo Wein und Müdigkeit die Haltung zerstörten und betörte Damen mit verführerischem Lächeln ihr Kinn einem Schmeichler entgegenreckten. Es war einfach widerlich.
Drei Jahre später hatte Alma noch immer keine Lust, Janssens Tanzparkett wiederzusehen. Die primitive Fleischlichkeit der Gelüste, die spätestens mit dem Alkohol klar zutage treten würde, hatte sie als Vierzehnjährige abgestoßen, heute machte sie ihr regelrecht Angst. Denn in den letzten Jahren hatte sie sich zu einer schönen jungen Frau entwickelt – viel schöner als Erika, das wusste Alma selbst – und sie fürchtete sich davor, ein Objekt dieser schrecklichen Begierde zu werden, sich gegen anzügliche Witze und grabschende Hände wehren zu müssen.
Um die Wahrheit zu sagen, war Alma in den letzten drei Jahren zwar um vieles schöner, aber kaum reifer geworden. Die große Liebe war für sie der Prinz, der sie vor der bösen Stiefmutter rettet und auf Händen in sein Schloss trägt. Zerwühlte Bettlaken spielten in diesem Märchen keine Rolle.
Als Anton an der Tür der Familie Bruns klingelte, hielt er einen bunten Strauß Frühlingsblumen in der Hand, die er artig Almas Mutter übergab und dabei sein Anliegen vorbrachte, dass er so gerne einmal mit dem Fräulein Alma spazieren gehen würde. Alma nahm die Einladung an, sie hatte auf Anhieb das Gefühl, dass ihr Prinz sie endlich gefunden hatte. Dem Spaziergang folgte ein zweiter und dritter, dann wagte Anton eine Einladung ins Theater.
Читать дальше