„Bei den Göttern! Wie auch immer der Koch das hinbekommen hat, ein Platz im Paradies sollte ihm sicher sein!“, flüsterte Arko andächtig. In den letzten Wochen hatten sie sich meist mit Haferbrei und Kaninchen, ab und zu einem Rebhuhn und etwas Brot, zufriedengeben müssen. Sie waren das aus diversen Feldzügen gewöhnt. Es war nahrhaft und geschmacklich zufriedenstellend. Dennoch zogen sie das Angebot des heutigen Abends eindeutig vor.
Ammon lachte und begab sich als Erster zu Tisch. Er genoss den Moment.
Es wurde ein geselliger Abend. Sie tranken reichlich von dem guten Wein und erzählten sich Geschichten aus Kindertagen.
„Wisst ihr noch, als wir dem Stallmeister die Kletten unter den Sattel gelegt haben? Der konnte sich kaum auf dem Gaul halten“, stieß Farid prustend hervor.
„Ja, ich hab mir fast in die Hose gepisst vor Lachen“, bestätigte Ammon.
„Und das Beste war, dass er immer genau wusste, dass wir drei dahintersteckten, aber nie genug Beweise hatte, um es Vater zu sagen. Egal was wir ausgeheckt haben“, fügte Farid hinzu.
So reihte sich Geschichte an Geschichte und der Abend schritt voran.
Arko war der Erste, der das Zelt seines besten Freundes und Königs verließ. Nichts ahnend, welch dunkle Zeiten auf ihn zukamen, legte er sich erschöpft, aber gut gelaunt schlafen.
Im Tempel der Blutwächterinnen machte sich Schwester Finea auf den Weg zum abendlichen Kontrollgang. An jedem Tag, vor dem Zubettgehen, begab sich eine der autorisierten Wächterinnen zum Brunnen, um das Blutsiegel und die ihm unterstellten Proben zu begutachten. Heute war sie an der Reihe. Besonders in Zeiten, da ein Mitglied der Königsfamilie abwesend war, gewann jenes Ritual an Wichtigkeit. Finea hatte voller Stolz diese Aufgabe übernommen, denn es war eine der höchsten Ehren, die einer Dienerin dieses Tempels erteilt werden konnte. Es war schon tief in der Nacht, da sie sich nicht hatte von ihren Lehrbüchern losreißen können.
Im Alter von sechzehn Jahren war sie dem Orden beigetreten, so wie sie es sich schon seit frühester Kindheit wünschte. Ihre Familie hatte sie voller Stolz zu der festlichen Weihfeier begleitet. Damals entsagte Finea dem weltlichen Leben. Sie würde nie einen Mann ehelichen oder Kinder gebären dürfen. Doch darauf hatte sie gern verzichtet, denn ihr ganzes Streben galt der Wissenschaft.
Sie war eine Frau und stammte aus armen Verhältnissen, was eine umfassendere Bildung als Lesen, Schreiben und Rechnen, in einfachster Form, unmöglich machte. Hier im Tempel bekam sie Antworten auf ihre Fragen. Sie erhielt eine umfangreiche Ausbildung in Heilkunde, Astronomie, Astrologie, Philosophie und Geschichte. Auch Teile der weißen Magie wurden gelehrt. Obendrein konnte sie stets die riesige Bibliothek des Tempels nutzen. Finea lebte nun schon fast fünf Jahre hier. Die Großpriesterin war mehr als zufrieden mit der jungen Frau und hatte erst kürzlich zu verstehen gegeben, dass Finea in der engeren Wahl stünde, wenn es um ihre Nachfolge ging. Dies würde hoffentlich noch lange nicht zur Diskussion stehen, doch als 'Rechte Hand' von Sina würde sie ihr Wissen nur umso schneller vermehren können.
Endlich hatte sie die Felswand mit der geheimen Pforte erreicht. Vorsichtig zog sie den kostbaren Dolch aus ihrem Gewand, versetzte sich routiniert einen Schnitt und legte die Hand gegen das Gestein. Als sich der Durchgang geöffnet hatte, trat Finea ein und begab sich zum Brunnen. Nacheinander nahm sie die Fläschchen in die Hand und überprüfte den Inhalt eines jeden. Es war nichts Auffälliges zu erkennen, bis die Probe von König Ammon an der Reihe war. Der Inhalt zeigte eine tief dunkle Färbung. Fast wäre ihr das Gefäß aus der Hand geglitten. Zitternd und den Tränen nahe, stellte sie es zurück und lief, so schnell sie ihre Beine trugen, zu den Räumlichkeiten der Großpriesterin.
Mutter Sina hatte gerade ihre abendliche Toilette beendet und war dabei, ihr Nachtgewand anzulegen, als es heftig gegen ihre Tür klopfte.
„Wer ist da?“, fragte sie ein wenig gereizt, wegen der späten Störung.
„Ich bin es! Macht auf - bitte! Es ist etwas Furchtbares geschehen!“, rief Finea von draußen und rüttelte an der Tür.
Die Großpriesterin wusste, dass ihr Zögling nicht derart die Fassung verlor, wenn es sich nicht um eine sehr ernste Angelegenheit handeln würde. Eilig schob sie den Riegel zurück und ließ die junge Frau eintreten. Deren schönes Gesicht war kreideweiß und Strähnen ihres welligen dunkelroten Haares klebten an der schweißnassen Stirn. Sie war außer Atem vom schnellen Laufen und die großen grünen Augen ertranken in Tränen.
„Was hast du, Finea?“, stieß die Großpriesterin geschockt hervor und versuchte, ihre böse Vorahnung zu verdrängen.
„Die Probe des Königs ... sie ist dunkel! Fast schwarz ...!“
Nun wurde auch das Antlitz der Großpriesterin fahl. Wenn das stimmte, und an Fineas Worten hegte sie keinen Zweifel, dann war König Ammon tot!
Grob wurde Arko von seinem Lager gezerrt. Er hatte große Probleme damit, seine Umgebung wahrzunehmen und auf den Füßen zu bleiben. Sein Kopf dröhnte und drohte zu zerbersten. Die Stimmen um ihn herum drangen wie aus weiter Ferne zu ihm durch. Langsam sackte er wieder zusammen.
Was redeten sie da? Hatte ihn gerade jemand einen feigen Mörder genannt?
Er musste sich verhört haben ...
Doch - da war es wieder! Mörder!
Er hatte sich doch nicht verhört.
Jemand goss ihm den kalten Inhalt seiner Waschschüssel über den Kopf und zwang ihn auf die Beine. Langsam kehrten seine Sinne zurück. Verdammt, sie hatten gestern ausgiebig gezecht, aber keinesfalls so, dass er in diesen Zustand geraten konnte! Was war hier los?
Als er seine Umgebung endlich klar erkennen konnte, sah er in bekannte Gesichter. Aber sie alle hatten einen eindeutig alarmierenden Ausdruck. Er sah Abscheu, Wut und Hass in ihnen. Das Freundlichste, was er wahrnahm, war vielleicht noch Enttäuschung und Unglaube.
„Was ist los, verdammt nochmal?“, fuhr er die Männer an und setzte sich auf. „Seid ihr noch bei Sinnen? Habt ihr vergessen, wen ihr vor euch habt?“
Ein Offizier der Königsgarde, mit dem er noch vor ein paar Tagen fröhlich bei einem Würfelspiel zusammengesessen und geplaudert hatte, trat vor. Er griff nach Arkos Hemd, das achtlos auf dem Boden lag, und sagte in bedrohlichem Tonfall: „Bis gestern dachten wir, wir hätten einen Ehrenmann vor uns, doch nun deutet alles darauf hin, dass Ihr ein feiger Mörder seid.“ Er warf ihm das Hemd zu. „Zieht das hier über und folgt mir ohne Widerstand!“
Arko verstand die Welt nicht mehr. Mit zusammengezogenen Brauen erhob er sich von seinem Lager und kleidete sich an. Zu seiner Verwunderung entdeckte er mehrere kleinere Blutflecke am Ärmel und am Vorderteil des Hemdes, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen, wie sie dort hingekommen waren.
„Was in Gottes Namen geht hier vor? Und was faselt ihr da von Mord? Wer ist ermordet worden?“
Nun trat der Offizier vor, und während er Arko die Hände mit einem Seil auf dem Rücken fesselte, sagte er: „ Arko von Thura , ich beschuldige Euch, unseren König Ammon den Dritten und seinen Bruder Prinz Farid mit einem Messer angegriffen zu haben, um sie zu ermorden. Für unseren König kam leider jede Hilfe zu spät und Prinz Farid überlebte nur durch ein Wunder.“
Als Arko endlich verstand, was der Mann ihm da gerade eröffnet hatte, zogen sich seine Eingeweide zu einem kalten Klumpen zusammen.
„Was sagt Ihr da? Ammon ist – tot?“ Er wollte nicht glauben, dass sein Vetter, König und bester Freund, nicht mehr am Leben sein sollte.
Ermordet? Wer konnte so etwas ...? Moment, was hatte der Irre da behauptet?
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