Kathi hatte Mühe, sich zu beherrschen. Dennoch konnte sie sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen, indem sie anmerkte, dass sie dann nichts weiter als Büttel seien.
„Was soll dieser Unsinn?“ Abermals echauffierte er sich. „Du wirst recht schnell begreifen, dass es nach jeder verflogenen Anfangseuphorie sehr bald nur noch um reinen Pragmatismus geht. Erst wenn alle romantischen Fragen geklärt sind, gelangen wir zum Kern … Versteh’ doch – für diesen Mann ist die Wahrheit bedeutungslos, weil er sich in seiner Welt eingerichtet hat und sich darin wohlfühlt. Wir wären schlecht beraten, daran etwas zu ändern. Solange darüber Zufriedenheit herrscht, ist doch alles gut … Sein Name ist übrigens Bertold Wittenburg, Professor Bertold Wittenburg. Auf diese Anrede legt er großen Wert. Ansonsten bitte auf kein Frage-Antwort-Spiel einlassen … Am besten, du hältst dich zurück und lässt mich machen.“
Kathi war entsetzt. Nicht genug, dass sie seine laxe Haltung schockierte. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Von wegen, ‚gewöhnliches Frage-Antwort-Spiel‘ und ‚lass mich mal machen‘. Seine Geringschätzung war unerträglich. Zudem störte sie seine bevormundende Art.
Auch wenn sie noch keine konkrete Vorstellung von ihrem Praktikum besaß, erwartete sie doch Unvoreingenommenheit und Fairness. Deshalb hatte sie sich ja auch für dieses Kommissariat entschieden.
Immerhin ging es hier um keine sogenannten ‚Pillepalle-Fälle‘, wie einen Ladendiebstahl in Höhe von zwanzig Euro. Mord und Totschlag waren ihr gerade recht und je verfahrener die Kiste, umso besser. Am liebsten wäre ihr ein aktueller Fall gewesen, an dem man sich die Zähne ausbeißen konnte, jedoch keiner, der bereits abgelegt war.
Nun aber eine solche Ernüchterung zu erleben, war frustrierend. Dazu noch dieser oberschlaue und zugleich demotivierte ‚Vortänzer‘.
Mochte er sich noch so sehr in enge Hemden zwängen oder mit eingezogenem Bauch vor ihr posieren. Das machte auf sie keinerlei Eindruck. Im Gegenteil. Es gab nichts Lächerlicheres als einen alternden Macho, der sich in seiner Wirkung überschätzte.
Zwar war er optisch nicht unbedingt abstoßend, aber auch nicht sonderlich anziehend. Er erschien ihr einen Hauch zu selbstverliebt. Zudem wirkte sein Lächeln zu aufgesetzt. Nein, er war nicht das, wofür er sich hielt, nicht mal im Ansatz. Dafür war er viel zu spießig und von sich eingenommen. Er lachte zu den eigenen Possen am lautesten und war offenbar auch schnell beleidigt.
Sie wunderte sich über ihre Gedanken. Für einen Moment erwog sie allen Ernstes, vom Referatsleiter eine neue Aufgabe zu erbitten. Doch das wäre unklug. Man könnte sie für nörglerisch halten und womöglich mit einer noch anspruchsloseren Aufgabe betrauen. Davon gab es hier reichlich. Außerdem war es unrealistisch, in ihrer Position Forderungen zu stellen.
Also beschloss sie zurückzustecken, wenn auch mit Bauchweh. Ihr Ziel war ein gutes Praktikum mit der Hoffnung auf möglichst viele Referenzen.
Ihr Vater hatte sie schon zu Lebzeiten von der Teilhabe des familiären Kelterbetriebes ausgeschlossen. Standesgemäß fiel das Erbe ihrem Bruder Claus-Alfred als Stammhalter zu. Danach folgte ihr neun Jahre jüngerer Bruder Roman, der heute sein Leben in einer Bank als Sachbearbeiter fristete.
Sie als Tochter bekam vom Vater hingegen einen Job als Erzieherin in einem Kindergarten vermittelt, was ihrem Wesen eher entspräche, wie er sarkastisch anmerkte. Das kam natürlich nicht infrage. Täglicher Lärm, ständiges Windelwechseln und Albereien auf den Knien. Was für ein Albtraum.
Seitdem Kathi vorzeitig auf ihr Erbe gepocht hatte, um als Franchise-Unternehmerin einen eigenen Fair-Trade Laden zu eröffnen, hatte sie sich mit ihrer Familie überworfen. Ihr alter Herr wollte ihr sogar den Adelstitel absprechen. Doch dazu war es wegen seines Todes dann nicht mehr gekommen.
Am Ende fand sie ein neues Ziel in einem Jurastudium in der Landeshauptstadt Kiel. Hier fühlte sie sich wohl. Und ihrem Steckenpferd – die menschliche Psyche – kam es auch entgegen.
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Mittlerweile waren sie angekommen. Alex stellte das Auto umständlich und mit großem Trara auf dem Besucherparkplatz ab. Maßlos regte er sich über das Wachpersonal auf, weil man ihnen den Dienstparkplatz verweigerte.
Schließlich sei man nicht zum Spaß hier und verfüge über einen Dienstauftrag, blaffte er die Bediensteten an. Dabei wedelte er mit seiner Dienstmarke herum und kündigte ein Nachspiel an.
Es folgten noch einige Kraftausdrücke, bis er allmählich wieder runterkam. Nun drückte er Kathi den Laptop in die Hand, nahm aber selbst nur die leichtere Schreibmappe. Forsch schritt er voran, dabei auf Abstand bedacht.
Am Zugangstor gab ihr ‚Vortänzer‘, wie er sich ironisch nannte, den Code ein. Dabei postierte er sich aber so, dass seine Begleiterin nichts sehen konnte. Überhaupt gab er sich mit einem Mal sehr förmlich und all seine vormals vorgetragene Laxheit schien wie verflogen.
Mit einem Summen öffnete sich die Tür und gab den Weg zur Schleuse frei. Spätestens hier zeigte sich, dass das Gebäude mit modernster Sicherheitstechnik ausgestattet war.
Dabei handelte es sich um einen circa vier Meter langen Gang, an dem sich eine weitere Kontrollstelle anschloss. Nach kurzer Durchsicht der Auftragsbescheinigungen wurden ihnen die Besucherkarten ausgehändigt. Diese mussten gut sichtbar an der Kleidung befestigt werden.
„Damit man uns nicht verwechselt“, blödelte Alex grinsend und drückte ihr das Namensschild ans Revers.
Nach Abgabe von Handys, Dienstausweisen und Waffen begaben sie sich zu einer weiteren, gegenüber befindlichen Metalltür mit einer kleinen Klappe in Kopfhöhe. Als diese sich öffnete, wurden sie von zwei strengen Augen taxiert. Nach ein paar belanglosen Späßen ihres Vortänzers, um die Sache etwas aufzulockern, ließ man sie passieren.
Angesichts des sich anschließenden sterilen Vorraums empfand Kathi, trotz des geschäftigen Treibens um sie herum, eine gewisse Beklommenheit. Immer wieder schaute sie sich um. Gab es hier tatsächlich, den Gerüchten nach, biometrische Schleusen mit Venenscanner? Sie konnte sich das nicht vorstellen.
Darauf angesprochen, reagierte Alex nur mit einem lapidaren: „Quatsch“ und trat auf den Bediensteten zu, der diesen Korridor zu bewachen schien.
„He Du! Habt Ihr hier so was wie einen Kaffeeautomaten? Ach, da drüben. Danke!“ Wenig später kehrte er mit zwei Pappbechern zurück und reichte seiner Begleiterin einen – koffeinfrei. Verwundert sah sie ihn an.
„Was guckst du so? Ich muss auf meine Pumpe achten. Bin nicht mehr der Jüngste.“
Während sie zaghaft nippte, registrierte sie den Ansatz einer Tätowierung an seinem linken Unterarm. Passt. Irgendwie prollig und bauernschlau , dachte sie bei sich, kehrte aber sofort wieder zum Geschehen zurück. Neugierig musterte sie die vorbeieilenden Mitarbeiter. Alex hingegen lehnte lässig an der Wand und sah durch eines der vergitterten Fenster.
„Ich verstehe das nicht“, begann sie mit einem Mal. „Warum diese ganze Geheimniskrämerei?“
„Wieso? Was meinst du?“
„Ich habe den Eindruck, hier wird nicht mit offenen Karten gespielt. Was ist mit der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, deren Nachvollziehbarkeit und leitungsmäßigen Kontrolle?“
Jetzt lachte er herzhaft. „Das hast du fein gesagt. Man sieht, du hast deine Hausaufgaben gemacht!“
Mit funkelnden Augen sah sie ihn an, ließ aber nicht locker. „Ist unsere Abteilung auch für die Auswertung der richterlich angeordneten Aufzeichnungen von Kommunikationsdaten zuständig?“
„Das wäre wünschenswert, ist aber strukturell nicht vorgesehen.“
„Also keinen Zugang zu weiteren relevanten Informationen?“, folgerte sie.
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