Rechts hinter ihm, um eine Pferdelänge versetzt, fast auf einer Höhe mit den Leibgarden, ritt Askailandro. Vor Stolz platzte der Yildhir beinahe aus seinem ledernen Brustpanzer, wobei er mit größtem Eifer bemüht war, sich seines neuen Amtes würdig zu zeigen. Bis auf weiteres bestand seine Aufgabe darin, dem vandrischen Heer den Weg durch die Steppe zu weisen. Mraeghdar wußte, daß er sich auf ihn verlassen konnte. War er auch fast noch ein Knabe gewesen, als er unter der Obhut seines Vaters zu den Vandrimar überlief, blieb er doch in der Steppe heimisch wie nur je ein Kydhmar. Tatsächlich hatte er kaum über die Kydhrische Mark hinaus vandrisches Gebiet betreten. Sein Leben war das Feldlager, er kannte kein anderes, und unter Kalyomelas’ und Kerothys’ beständiger Anleitung war ein herausragender Späher aus ihm geworden.
Nun waren aber sieben volle Tage seit dem Aufbruch vom äußersten Rand der Mark vergangen: sieben Tage ausdauernden Marschierens durch eine größtenteils staubtrockene, fast baumlose, allenfalls von dürrem Gesträuch bewachsene Landschaft, während ein ums andere Mal der erbarmunglsose, weiße Glutball der Sonne über sie hinrollte. Dies war der achte, und brütend senkte sich der Nachmittag herab. Den Weg nachts zurückzulegen, im ungetrübten Schein des Mondes, wäre niemandem in den Sinn gekommen, den Vandrimar so wenig wie den zu ihnen übergelaufenen kydhrischen Söldnern. Tatsächlich hätte es kaum Sinn gemacht, denn wo hätte man tagsüber einen schattigen Ort zum Schlafen gefunden? Hinter sich im Zug hörte Mraeghdar das durstige Brüllen der Ochsen, welche die Proviantwagen und die zuletzt vor vier Tagen am Dhrys aufgefüllten Wasservorräte zogen. Sein Hengst schüttelte ungeduldig die von Fliegen umschwirrte Mähne. Rast war dringend geboten. Dabei war es seine feste Absicht gewesen, das Heer bis zum Abend durchmarschieren zu lassen.
Warum? fragte er sich. Warum, bei allen Göttern, greifen die Hurensöhne nicht an?
Abrupt gebot der Großkönig Halt. Hraedlin und Hwyrdun wandten sich ihrerseits um und machten das entsprechende Handzeichen, und gleich darauf wurde in die Hörner geblasen. Ein erleichtertes Raunen ging durch den gesamten Heerzug, indem er fast auf einmal zum Stehen kam. Mraeghdar machte den quer vor ihm auf dem Pferderücken liegenden Wasserschlauch los und trank aus voller Brust, mit zurückgebeugtem Kopf, als er Hufschlag und das Rattern von Wagenrädern herannahen hörte. Kurz darauf, nachdem er ein weiteres Mal getrunken und wieder abgesetzt hatte, kamen mit einem Wiehern die in die Zügel genommenen Pferde von Aedhwyns Zweispänner neben ihm zu stehen.
„Wie ich sehe, hast du deine Absicht geändert“, ließ sich der greise König vernehmen. Mraeghdar nickte und wischte sich mit dem Handrücken Mund und Bart ab.
„Bis zum Bhryg ist es wohl doch weiter als es zunächst aussah“, entgegnete er und ließ sich reichlich Wasser über den Kopf laufen, ehe er den zugeschnürten Schlauch wieder am Sattelknauf befestigte. „Wie auch immer, dies ist unser letzter Halt, ehe wir das Quellgebiet erreichen. – Askailandro, deine Lanze!“
Mraeghdar, der mittlerweile sein Roß gewendet hatte, fing die ihm senkrecht zugeworfene Waffe auf, drehte sie mit der bronzenen Spitze nach unten und rammte sie aufrecht in den Boden. Dann saß er ab und zog das an seiner linken Hüfte baumelnde Schwert aus der Scheide. Prüfend blinzelte er Richtung Sonne, ehe er es einen guten Schritt vom äußersten Ende des Lanzenschattens entfernt ebenfalls in die Erde stieß. Mittlerweile war auch Lyghdar hinzugekommen und brachte fast aus dem Galopp seinen Braunen zum Stehen.
„Was hat das zu bedeuten?“ erkundigte er sich mit einer fragenden Geste zu den auffällig positionierten Waffen. Mraeghdar wies mit ausgestrecktem Finger zu Boden.
„Wenn die Spitze des Schattens die Klinge berührt, werden wir weiterziehen“, erläuterte er, was Lyghdar dazu veranlaßte, seinerseits mit dem Blick den Stand der Sonne zu messen.
„Wozu halten wir überhaupt an?“ begehrte er weiter zu wissen, Ungeduld in der Stimme. „Wie weit ist es noch bis zu diesem verdammten Fluß? Ich dachte....“
„Mraeghdar hat recht“, verteidigte Aedhwyn die Entscheidung des Großkönigs. „Die Männer sollen ausruhen, die Reiter ihre Pferde tränken, und die Treiber das Vieh. Wäre es nicht Unsinn, jetzt noch mit dem Wasser zu geizen, so kurz vor dem Ziel, und wenn jeden Augenblick mit einem Angriff zu rechnen ist....?“
„Daß ich nicht lache!“ spottete Lyghdar und beschattete mit der Hand die Augen, um in die von sanften Hügeln durchzogene Steppe vor ihm zu spähen. „Ein Angriff, was?! Aber ja, es wimmelt nur so von....“
„Du hast ja recht“, unterbrach ihn Mraeghdar schroff: „Mich würde es ebenfalls wundern, wenn sie uns jetzt noch zuvorkämen.“
„Worauf warten wir dann noch? Wenn man wenigstens etwas Schatten fände in dieser Wüstenei....!“
„Laß die Männer sich erfrischen. Und wenn sie alles aufbrauchen, bis zum letzten Tropfen!“ Der Großkönig kehrte Lyghdar den Rücken zu und ließ den Blick über das dürre Grasland schweifen. „Noch vor Einbruch der Nacht erreichen wir den Bhryg, mit seinen baumbestandenen Ufern. Wo sein Bett sich zu weiten beginnt, werden wir den ganzen morgigen Tag rasten und Kräfte sammeln. Und nicht weit davon, in der Ebene, siedeln dyraktrische Ackerbauern. Ehe wir noch tiefer in die Steppe ziehen, werden wir ihre Kornvorräte plündern, ihre Viehbestände rauben und über alles Weibsvolk herfallen, dessen wir habhaft werden können. Denn das eine verspreche ich dir: haben wir erst einmal den Bhryg hinter uns gelassen, soll es uns an nichts mehr fehlen. An Speise nicht, an Trank nicht, und schon gar nicht an Beute!“
„Das hoffe ich doch sehr!“ knurrte Lyghdar. „Aus keinem anderen Grund bin ich den weiten Weg nämlich gekommen.“ Mit diesen Worten ließ er sein Roß tänzelnd auf der Stelle wenden.
Dann fügte er noch an: „Sagtest du etwas von Korn? – Gut zu wissen. Ich habe nämlich mein Lebtag noch kein kydhrisches Bier probiert.“ Und preschte mit einem Handschlag auf die Flanke seines Rosses davon, zurück zu seinen Truppen.
Mraeghdar, den Blick stetig nach Osten gerichtet, lachte verschmitzt in seinen dichten, strähnigen Bart, während er die Finger seiner linken Hand darübergleiten ließ.
Der abnehmende Mond stand hoch über dem Horizont, als sie endlich den oberen Lauf des Bhryg erreichten. Es war eine drückende, windstille Nacht, die Hitze des vorausgegangenen Tages hatte kaum nachgelassen; aber auch nach Anbruch der Dunkelheit verfolgte Askailandro beharrlich seinen Weg, zur Zufriedenheit Mraeghdars, der die Ankunft an den Kühle verheißenden Flußauen keinesfalls aufschieben und eine weitere Nacht mitten in der Steppe kampieren wollte.
Als die Vordersten das silberne Licht hinter anmutigen Baumsilhouetten auf Stromschnellen tanzen sahen, gab es kein Halten mehr. Die Strapazen waren vergessen, jeder wollte der erste sein. Johlend brach das Fußvolk aus den Reihen hervor, allen voran die Khyltrim, und ergoß sich über die mäßig steile Uferböschung, durch deren Grassohle stellenweise der nackte Fels schimmerte. Die Herzöge, ihrerseits erleichtert über das Ende des sich bis zur Verzweiflung hinziehenden Marsches, nahmen ihre scheuenden Pferde in die Zügel und ließen die Untergebenen einhellig gewähren. Noch im Laufen warfen die Soldaten Waffen, Schilde und allen sonstigen Ballast von sich und wateten ungeachtet der eisigen Kälte knietief ins Wasser – von den Nachfolgenden vorwärtsgeschoben, konnten sie teils gar nicht anders. Alles hallte wider von Lachen, Schreien und aufspritzendem Wasser, und bald mußten sich die Ersten mit Muskelkrämpfen ans Ufer zurückschleppen.
Behutsam lenkte Mraeghdar sein Reittier die Böschung hinab und freute sich an dem heiteren Treiben, wiewohl er wußte: käme es jetzt zu einem feindlichen Angriff, wäre alles verloren. Im Stillen dankte er den Göttern, daß es Nacht war, verließ sich aber so wenig auf ihren trügerischen Schutz wie all die Nächte zuvor.
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