„Jedenfalls steigt er gehörig zu Kopf“, ließ sich Aedhwyn von der anderen Tischseite her vernehmen. „Womöglich haben deine Fremden recht, und man sollte ihn mit Wasser verdünnen.“
„Der Meinung bin ich auch“, stimmte Mraeghdar zu. „Aber schließlich feiern wir heute ein Fest und ehren die Götter, also sollten wir nicht kleinlich sein. Sonst danken Dhwyrd und die Seinen es uns ebenso, wenn sie den Sieg austeilen.“
„Schön“, knüpfte Lyghdar an den Hinweis an, und seine Miene wurde augenblicklich ernster: „Laß uns auf deine Pläne zurückkommen, Mraeghdar. Du willst also allen Ernstes mehr Fußvolk ausheben lassen?“
„So ist es.“
„Und es mit Pfeilen und Bögen bewaffnen?“
„Mit Kriegsbögen kydhrischer Bauart. Irmwyn ist bereits beauftragt, Pfeilspitzen zu schmieden wie die, welche mein Bote ihm überbrachte. Seine darin erworbene Fertigkeit soll er an die fähigsten Schmiede nach ihm weitergeben, und die werden sie wiederum im gesamten Land verbreiten. Auch Vaelundar setzt alles daran, dem kydhrischen Metall seine Geheimnisse zu entlocken.“
„Und dieser Paimoktas....“
„Piloktas. Er ist ebenfalls nach Kadhlynaegh unterwegs, zusammen mit Kalyomelas, und in Begleitung einer Eskorte. Unter Kalyomelas' Aufsicht wird er die ersten khyltrischen Bogenschützen ausbilden; sein Bogen aber, wie auch der seines toten Stammesbruders, soll den tüchtigsten Waffenbauern diesseits und jenseits des Bhréandyr als Vorlage dienen.“
„Und wer wird das alles bezahlen, wenn ich fragen darf?“
„Das Volk natürlich, zu dessen Wohl dies alles geschieht.“
Lyghdar schwieg in sich hinein und starrte hangabwärts auf die Feldfeuer, die wie eine Hinterlassenschaft des Sonnengottes vor dem zusehends verblassenden Widerschein am Himmelsrand aufloderten. Wenn der Lugdhir grübelte, nahmen seine Züge einen etwas vierschrötigen Ausdruck an. Zumal, wenn ein Trinkhorn oder ein Bierkrug in Griffweite stand.
In das allgemeine Schweigen hinein seufzte Aedhwyn:
„Über kurz oder lang wirst du von Lyghdar und mir die gleichen Maßnahmen erwarten, fürchte ich?“
„Nicht, ohne euch zuvor von der Richtigkeit meiner Entscheidung überzeugt zu haben.“
„Wenn du uns davon überzeugst. Aber lassen wir das vorerst. Humh! Und um nicht einzurosten, willst du uns einstweilen in einen Feldzug gegen die Kydhrimar führen?“
„Dagegen wirst du hoffentlich keine Einwände haben?“
An Aedhwyns Gesicht war unschwer abzulesen, daß er diese Frage als Beleidigung auffaßte. Statt einer Antwort hielt er mit einem Rätsel dagegen:
„Er schwingt keine Axt und wirft keine Lanze, und ist doch unser ärgster Feind; ihr wißt, von wem ich spreche?“ Die Lösung lag freilich auf der Hand, so daß er übergangslos einfordern konnte: „Ihm keinen Fußbreit! – Aber die Kydhrische Mark, soll sie etwa ungeschützt verbleiben?“
„Ungeschützt? Die Kydhrische Mark?“ Mraeghdar lachte kurz und trocken. „Du überraschst mich, Aedhwyn. Als würde dein Reich nicht von den drei stärksten Festungen gehalten, welche die Vandrimar jemals erbaut haben! Die mächtigste davon, Dhiunan, nennst du deine Hauptstadt. Mit Fianagh im Norden und Gwylnagh im Osten bildet sie das Rückgrat der Mark, ein Bollwerk, das alle vandrischen Länder beschirmt. Seit wann bedarf der Schutz eines weiteren Schutzes?“
„Und wozu sind wir dann überhaupt hier?“
„Als Vorhut. Und als solche verfolgen wir den Feind, wenn er sich zurückzieht. Das ist genau das, was wir jetzt tun werden. Nicht mehr und nicht weniger“
Aedhwyn wirkte beinahe verlegen, wie er sich mit der flachen Hand über das schlohweiße Haupthaar strich. Nach einer Weile griff er kommentarlos zum Trinkhorn und schien seine Aufmerksamkeit auf die Vorbereitungen für das Festmahl zu richten. Mraeghdar und Lyghdar warfen einander einen Blick zu, der stilles Einvernehmen ausdrückte. Beide kannten sie den bhyandrischen König gut genug um zu wissen, daß kaum etwas aus ihm herauszuholen wäre, was einer Zustimmung näher käme.
Mraeghdar griff nach seinem eigenen Horn, lehnte sich befriedigt im gerundeten Armstuhl zurück und trank auf einen Zug den verbliebenen Inhalt aus. Dann hielt er das Gefäß mit ausgestrecktem Arm von sich und befahl mit schwer gewordener Zunge:
„Mehr Wayin!“
Kaum hatte er es wieder abgesetzt, bis obenhin voll mit dem tiefroten, die Sinne benebelnden Getränk, als Lyghdar ihn am Ellbogen packte und hangabwärts deutete.
„Mraeghdar, was hältst du von einem weiteren Blutopfer? Dhwyrd zu Gefallen, und mit Bhrigyas Segen?“
* * *
Ein Kelch aus gleißendem Stahl, überbordend vor Licht, bog sich der Himmel über die windgepflügte Steppe. Nur scheinbar begrenzt vom Ring des Horizonts, wogte mageres Gras wie ein Flächenbrand. In Gestalt einer Raupe kroch das vandrische Heer auf der hitzeverzehrten Erde voran, dreigeteilt zunächst, nach Khyltrim, Bhyandrim und Lugdhrim, wobei jede dieser Einheiten noch einmal in Lehen unterteilt war, die sich unter Führung ihrer jeweiligen Herzöge voneinander absetzten. Während Mraeghdar seinen Männern vorausritt und Aedhwyn die Bhyandrim mit dem Streitwagen anführte, bildete Lyghdar mit seinen Leibgarden den Abschluß, um im Falle eines Hinterhalts, so unwahrscheinlich sich dieser auch darstellte, selbst der Erste sein zu können. Die Reiter flankierten das Fußvolk teils an der linken, teils an der rechten, aber nie bei zwei aufeinanderfolgenden Lehen auf der gleichen Seite. Zwischen Fußvolk und Reiterei gingen die Viehtreiber und peitschten die Ochsen vorwärts. Lärmend und staubend wälzte sich der Heerzug dahin, in all seiner Länge und Breite, und wirkte doch beinahe verloren angesichts der unermeßlich scheinenden Einöde.
Lyghdars Opfer war zugleich ein großartiges Geschenk gewesen, wenn schon kein uneigennütziges. Als das Mädchen vor ihm stand, verschlug es ihm beinahe die Sprache – wie zuletzt an Kerothys' Sterbelager – und mehr als die Sprache, den Atem. Der Lugdhir hatte nicht übertrieben. Ein weißes, federleichtes Gewand, von einer Beschaffenheit, wie Mraeghdar sie noch nie zuvor gesehen hatte, lag um einen feingliedrigen, biegsamen Leib, hob die apfelgroßen Brüste ebenso hervor wie die anmutig geschwungenen Hüften. Vom freiliegenden Nabel aus, der seine Aufmerksamkeit als erstes in Anspruch nahm, ließ er langsam den Blick aufwärts wandern. Kohlschwarzes Haar ringelte sich um die schmalen Schultern, rahmte ein fein geschnittenes Gesicht mit hohen Wangen. Nicht weniger dunkel, und weit und tief wie der Nachthimmel, waren die glänzenden, angstvoll aufgerissenen Augen mit den langen Wimpern. Aber nichts übertraf an Liebreiz ihren Mund: wie Blütenblätter öffneten sich die zarten, rosigen Lippen und ließen gerade noch den unteren Rand zweier Zähne erkennen, die selbst im Schein der Fackeln weiß wie Schnee zu sein versprachen. Eigens für ihn habe er sie aufgespart, schmeichelte ihm Lyghdar. Für eine Gelegenheit wie diese.
Starr und stumm vor Schrecken lag sie wenig später unter ihm, inmitten der Opferfeuer. Gern hätte Mraeghdar versucht, sie zu beruhigen, allein, er wußte nicht wie. Seine Sprache schien sie nicht zu verstehen. Sachte, beinahe zärtlich, faßte er sie beim Kinn und schaute ihr lange und tief in die schwimmenden Augen. Dann deckte er mit der einen Hand flach ihren Mund ab, griff ihr mit der anderen in den entblößten, flaumigen Schritt und ertastete ihre trockene, zurückweichende Spalte. Noch nie war er ein geduldiger Liebhaber gewesen; als er merkte, daß seine Liebkosungen nicht fruchteten, drang er brutal in sie ein.
Blut für Dhwyrd. In Bhrygias Namen. Mraeghdar, der allen voranritt, lächelte träumerisch.
Lyghdar überließ ihm das Mädchen auch während der folgenden zehn Tage und Nächte, bis zum gemeinsamen Aufbruch in die Steppe. Nicht ein einziges Wort brachte Mraeghdar in dieser Zeit aus ihr heraus, geschweige denn ihren Namen, nur ihre kleinen, spitzen Schreie, wenn er sie mit von Mal zu Mal sanfterer Gewalt nahm; womit keineswegs gesagt war, daß er ihr Genuß bereitete, so weit kam es wohl doch nicht. Das Heer war fast marschbereit, als Lyghdar seine entjungferte Sklavin wieder einforderte, um sie eilends nach Biannum an seinen Hof zurückzusenden. Er sparte nicht an Männern für die Eskorte, und den Anführer verpflichtete er unter Androhung fürchterlichster Hinrichtungsarten mit seinem Leben. Was aus keinem seiner Worte hervorging, war dennoch leicht zu erraten: der lugdrische Herrscher hoffte, wenn schon nicht auf einen leiblichen Sohn, so doch auf einen fähigen Nachkommen, an den er einmal seinen Herrscherstuhl würde weitergeben können. Wer ihn gezeugt hätte, war zweitrangig, nur ein herausragender Krieger mußte er sein. Sollte er sie tatsächlich geschwängert haben, zweifelte Mraeghdar keine Sekunde daran, daß Lyghdar das Mädchen umgehend in den Stand einer rechtmäßigen Nebenfrau erheben würde.
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