„Lyghdar“, wandte sich der Großkönig an seinen zur Linken sitzenden Gast und stieß ihm verschwörerisch mit dem Ellbogen in die Rippen, „ich mache mir Sorgen um Aedhwyn. Er war noch nie einer der ausgelassensten Gäste; aber so betrübt habe ich ihn noch selten gesehen.“
„Vielleicht sollten wir ihn ein wenig aufheitern?“
„Hast du auch eine Ahnung, womit?“
Der Lugdhir leckte sich das Fett von den Fingern und nahm einen weiteren Zug aus dem Trinkhorn. Schließlich wies er mit ausgestrecktem Arm auf die Gefangenen und verkündete:
„Deine Besucher sollen ihm etwas vorsingen.“
„Ausgezeichnet!“
Mraeghdar gab den Fackelträgern ein Zeichen. Diese senkten ohne zu zögern die mit Pech getränkten, brennenden Kienhölzer, schoben sie unter die Scheiterhäufen und entfernten sich. Das Reisig, mit dem die massigen, obenaufliegenden Kiefernscheite unterlegt waren, fing im Nu Feuer; als die Flammen knisternd auf das dünne Gezweig übergriffen, hob der am rechten Pfahl hängende verschreckt den Kopf, so als wäre er aus einer vorübergehenden Bewußtlosigkeit erwacht.
Mraeghdar winkte Hraedlin heran und erteilte ihm über die Schulter hinweg einen knappen Befehl. Während sich der Angesprochene eilends davonmachte, schien auch der Gefangene am linken Pfahl zu sich zu kommen und starrte mit geweiteten Augen auf die Scheite unter seinen Füßen. Schweiß trat auf seine Stirn und floß in Bächen an seinem nackten Oberkörper herab. Seinem Mitgefangenen ging es nicht anders. Das Holz war gut abgelagert und allenfalls an der Oberfläche vom Sprühregen etwas feucht geworden; mit vernehmlichem Knacken, und unter geringer Rauchentwicklung, fraßen sich von der Unterseite her rötlich-gelbe Flammen hinein. Als sie über die am weitesten oben liegenden Scheite leckten, begann die Luft darüber zu flimmern.
Mraeghdar biß herzhaft in eine Hammelkeule und ließ aufmerksam den Blick von einem zum anderen wandern. Der linke starrte regungslos und mit leicht geöffnetem Mund über das Zeltdach hinweg und stimmte sein Sterbelied an. Der rechte dagegen begann sich zu winden, wobei er keine Sekunde lang den Blick von den zwischen den Scheiten hindurchzüngelnden Flammen unter sich abwandte.
Und da traf er ein, Kalyomelas, in Begleitung der Leibgarde, die er nach ihm ausgesandt hatte. Der Großkönig gebot ihm mit einer abrupten Armbewegung Einhalt, als er sein umständliches Begrüßungsritual einleiten wollte; im Aufstehen wischte er sich mit einem Tuch das Fett von den Händen und trat vor das Zelt.
„Frag ihn, ob er leben will!“
Mit diesen Worten deutete Mraeghdar auf den Beodhir zur Rechten.
In Kalyomelas’ breitwangiger Miene spiegelte sich augenblicklich Unwillen. Jedoch schien ihm noch das Erlebnis vom Vortag in den Knochen zu stecken, als er unbedachterweise den Zorn seines Gebieters erregt hatte und nur um Haaresbreite dem sicheren Tod entronnen war. Mraeghdar beobachtete genau das gleiche Zucken um den vernarbten Mund; aber der Yildhir beeilte sich, seinem Befehl Folge zu leisten, und schrie mit rissiger Stimme etwas zu dem zusehends von den Flammen bedrängten Gefangenen hinauf.
Die Antwort ließ nicht auf sich warten.
Unverzüglich befahl Mraeghdar, das Feuer zu löschen und den Beodhir loszubinden. Mit donnernder Stimme trieb er die Männer zur Eile an. Rasch wurden die noch glimmenden Scheite zerstreut und mit hastigen Spatenstichen das Erdreich an der Basis wieder ausgehoben, so daß der Pfahl nach hinten umgelegt und der Gefangene von seinen Fesseln befreit werden konnte.
„Auf die Füße mit dir, du Hund!“ brüllte Mraeghdar.
Zwei Soldaten zerrten den immer noch vor Angst schlotternden Beodhir hoch und hielten ihn an den Schultern gepackt. Auf Mraeghdars Zeichen hin verließ Hwyrdun seinen Posten an der Rückwand des Zelts und brachte dem Großkönig, was dieser ihm am Abend zuvor in einstweilige Verwahrung gegeben hatte.
Es war der erbeutete Kriegsbogen, an dem er sich gestern selbst erprobt hatte. Und dazu ein einziger Pfeil.
Von jetzt an mußte Mraeghdar den anderen Gefangenen übertönen, dessen einförmiger Gesang in ein durchdringendes Heulen übergegangen war. Er hielt dem ungläubig die Augen weitenden Beodhir die Schußwaffen vors Gesicht, schrie Kalyomelas die Bedingungen der unerwarteten Begnadigung ins Ohr, die er in kydhrischer Sprache wiederzugeben hatte, und deutete dabei mit dem freien Arm auf einen bestimmten Punkt hügelabwärts, wo ein großer, flacher Stein lag.
Dem Kydhmar wich auch der letzte Rest von Farbe aus dem Gesicht, als er verstand.
Während er mit Pfeil und Bogen in der Hand und gefolgt von zwei Soldaten auf die angewiesene Stelle zutaumelte, wurden auf Mraeghdars Befehl hin einige Holzscheite aus dem jetzt lichterloh brennenden Haufen zur Linken gerissen. Die Füße des darüber Festgebundenen waren mittlerweile schwarz verkohlt. Das Feuer kroch an seinen Beinkleidern hinauf. Die Höhlen vermochten kaum mehr das Weiß seiner Augen zu halten, das die Pupillen von allen Seiten umschloß, und sein Mund überdehnte die Gesichtszüge zum dämonenhaften Spottbild eines Lachenden. Dabei weinte er wie ein Kind. Ein entsetzlicher Geruch erfüllte die Luft; Lyghdar hielt sich mit gespielter Empörung die Nase zu, und Khadmyr kniete kreidebleich vor dem Zelt auf dem Boden und übergab sich. Mraeghdar kehrte dem jungen Sklaven den Rücken zu und wartete mit vor der Brust verschränkten Armen.
Und dann geschah es. Genau wie er erwartet hatte.
Die schrille Stimme des dem Feuertod nahen Beodhir gab einem Röcheln statt, als der Pfeil sein Herz durchbohrte und seitlich wieder aus dem Brustkorb trat. Sein Blick aus weit aufgerissenen Augen drückte so etwas wie Überraschung aus, ungläubig starrte er auf den schräg aus seiner Brust ragenden, gefiederten Schaft; dann bäumte sich der mit angewinkelten Armen am Querbalken hängende Körper noch ein letztes Mal auf und sackte leblos und mit auf die Brust gesunkenem Kinn in sich zusammen.
Mraeghdar befahl das Feuer endgültig zu löschen und sandte einen Soldaten nach Yldrun aus. Lyghdar hatte sich derweil von seinem Sitz erhoben und war zu ihm getreten. Stutzig geworden, prüfte er mit zusammengekniffenen Augen die mutmaßliche Flugbahn des Pfeils, die knapp am vorderen Zeltpfosten vorbei gegangen sein mußte. Dann blickte er den beiden Soldaten entgegen, die den gänzlich erschöpften, erneut bewußtlos gewordenen Schützen an den Füßen hinter sich her schleifend den Hügel heraufkamen.
„Wie weit....“
„Dreihundert Schritte. Abgemessen von mir selbst. Du wirst bemerkt haben daß der Schuß....“
Ein überraschter Ausruf Khadmyrs ließ die beiden Könige alarmiert herumfahren.
Aedhwyns Oberkörper hing über den Tisch gebeugt und sein Gesicht lag seitlich im Teller. Der Leibsklave hatte ihn bereits in die Sitzhaltung zurückgeholt, als sie hinzugeeilt waren. Mraeghdar schob polternd Speisen und Geschirr beiseite. Dann nahm er Aedhwyn bei den Schultern; Lyghdar packte ihn an den Füßen, und gemeinsam wuchteten sie den bhyandrischen Herrscher auf die Tischplatte, wo er rücklings zu liegen kam. Aus seiner Ohnmacht schien er vorerst nicht zu erwachen, auch nicht als Khadmyr seinen Überwurf abnahm, ihn in mehrere Schichten zusammenlegte und seinem Herrn als Kissen unter den Nacken schob.
„Wo bleibt Yldrun?“ donnerte der Großkönig in Richtung einiger tatenlos herumstehender Soldaten. „Die Heilerin! In Khwéals neunmal verfluchtem Namen, muß ich euch Beine machen?! Schafft mir Yldrun herbei, aber schnell!“
Die Soldaten machten sich davon, als wäre der Totengott selbst hinter ihnen her. Mraeghdar riß einem in der Nähe verbliebenen Krieger höheren Ranges den wollenen Umhang von den Schultern und warf ihn dem immer noch besinnungslos im nassen Gras liegenden beodrischen Schützen über.
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