„So. Dir ist also nach Späßen zumute, mein Freund? Dann laß dir etwas gesagt sein: wenn du deine Augen ein klein wenig offener halten und die Nase nicht so oft in den Bierkrug stecken würdest, dann wäre dir vielleicht von selbst aufgefallen daß die Lage von Jahr zu Jahr ernster wird. Was glaubst du eigentlich, wozu wir hier sind? Damit uns die Knochen nicht morsch werden? Um unsere Feinde bei Laune zu halten? Hast du Angst, sie laufen uns davon, wenn wir uns nicht genug um sie kümmern?“ Mraeghdar schüttelte den Gefragten durch, als müßte er ihn aus den Fängen eines Traums befreien. „Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, Lyghdar: der Krieg ist längst nicht mehr das, was er war.“
Mit diesen Worten stieß er sein verblüfftes Gegenüber auf den gepolsterten Schemel zurück und fügte an:
„Ganz recht, König Lyghdar: noch nicht einmal der Krieg.“
Stille umfing die Männer, hart und berührbar wie eine Wand, nur durchbrochen vom unvermittelt aufwallenden Grölen und Lachen der Feiernden in einem der umliegenden Zelte. Dann war ein gequältes Stöhnen vernehmbar. Aedhwyn hatte sich, alarmiert von Mraeghdars Wutausbruch, von der Taille an aufgerichtet. Sich wieder niederzulegen bereitete ihm offensichtlich weitaus größere Schmerzen, aber sein Leibsklave war ihm dabei behilflich, indem er ihn stützte und beruhigend auf ihn einsprach.
Mraeghdar seufzte tief. Schließlich stützte er sich mit geballten Fäusten auf der eichenen Tischplatte ab, blickte Lyghdar aus nächster Nähe in die immer noch ungläubig aufgerissenen Augen und sprach:
„Komm morgen früh vor mein Lager, bald nach Tagesanbruch. Komm, sieh und lerne etwas dabei. Aedhwyn ist ebenfalls eingeladen, aber ich fürchte er ist zu stolz sich mit seiner Verwundung hinübertragen zu lassen, niedergestreckt von einem beodrischen Pfeil, und so seinen Feinden zu begegnen. Außerdem hat er strengste Ruhe nötig. Aber du wirst für ihn zur Stelle sein und ihm danach berichten, was du gesehen hast. Es geht uns nämlich alle an. – Hwyrdun, zu Pferd!“
Gefolgt von seiner Leibgarde, die im Hinausgehen eine der bereitstehenden Fackeln im Kohlebecken entzündete, verließ der Großkönig das Zelt, und gleich darauf hörte man die beiden Reiter davongaloppieren. Lyghdar und Aedhwyn blickten einander ratlos an.
„Was in Khwéals Namen....“
„Nimm es ihm nicht übel, Lyghdar. Es scheint wohl zu stimmen, daß Kerothys im Sterben liegt.“
„Der Kydhmar??“ Lyghdar wandte den Kopf zur Seite und spuckte auf den Boden. „Mich wegen eines räudigen Steppenhundes so anzufassen. Und uns die Siegesfeier zu verderben.“
„Vergiß nicht die Dienste, die seine yildrischen Späher ihm schon geleistet haben. Wir mögen von ihnen halten was wir wollen, aber wir haben ihnen die gleichen Siege mitzuverdanken wie der Großkönig – auch den, welchen du heute zu feiern gekommen bist.“
Lyghdar grummelte unter seinem überhängenden Schnurrbart etwas unverständliches in sich hinein.
„Was es dagegen mit der Bogenschießerei auf sich haben soll“, fuhr Aedhwyn fort, „das wissen die Götter. Womöglich hast du recht, und seine kydhrischen Gespielinnen haben ihm den Verstand vernebelt. Andererseits....“
„Andererseits?! Fängst du jetzt auch schon an? – Sklave, leg ihm die Hand auf die Stirn. Hat er Fieber?“
„Red keinen Unsinn, Lyghdar. Und vergiß deinen Eid nicht. Wir haben Mraeghdar Treue und Gefolgschaft geschworen, weil wir ihm vertrauen, ihm und seinen Fähigkeiten. Bisher hat er uns keine Gründe bereitet, die Entscheidung zu bereuen. Wir schulden ihm Gehorsam. Begib dich morgen früh zu ihm, und so Dhwyrd will, sind wir danach etwas klüger als jetzt....“
* * *
Die beiden Gefangenen boten einen erbärmlichen Anblick.
Der Nieselregen hatte in der Nacht wieder eingesetzt und nicht mehr nachgelassen, seit Mraeghdar mit seiner Leibgarde Aedhwyns Lager verlassen hatte. Bewacht von Hwyrdun und Hraedlin, saß er unter dem Dach eines rechteckigen, an der Vorderseite gänzlich offenen Zelts, das er in dem von einem weiteren Palisadenwall umschlossenen äußeren Lagerbereich hatte aufschlagen lassen; während er ein üppiges Morgenmahl richten ließ, trank er eine Schale Buttermilch und schaute zu, wie im nassen Grasboden zwei Kuhlen ausgehoben wurden, um die herbeigeschleppten Pfähle mit den immer noch daran festgebundenen Gefangenen erneut aufzurichten. Mehrere Männer waren damit beschäftigt, Bündel von Holz und Reisig zu bringen. Die Gefangenen schlotterten, und ihre Lippen waren blau vor Kälte. Zweifellos wußten sie, was ihnen blühte.
Gerade wurde der erste von ihnen aufgerichtet, indem man das angespitzte untere Ende des Pfahls in die frisch ausgehobene Kuhle gleiten ließ, als Mraeghdar Hufschlag herannahen hörte. Und dort kam er geritten, Lyghdar, in Begleitung Gwynnars, seiner zweiten Leibgarde. Lyghdars roter Umhang wallte um den vergoldeten Brustpanzer, der selbst bei trübem Himmel weithin leuchtete, und seine Augen stieben Funken wie der Stahl unter Gnidhrs Hammer. Um diese Zeit des Tages war der Herrscher der Lugdhrim wundervoll.
„Sei gegrüßt, Mraeghdar!“ Der Lugdhir schwang sein linkes Bein über den Rücken des Pferdes und ließ sich mit einer geschmeidigen Bewegung seitwärts zu Boden gleiten. Gwynnar saß ebenfalls ab; Hrudyn, Marschall im Dienste des Großkönigs, nahm sich der beiden Reittiere an, und Lyghdar bemerkte mit einem angewiderten Blick zu dem am Pfahl festgezurrten Gefangenen hinauf: „Rösten willst du die Burschen? Als würden sie nicht so schon genug stinken.“
„Was du nicht sagst“, stichelte Mraeghdar bestens gelaunt. „Seit wann hast du so einen empfindlichen Riecher? Ich habe gehört, deine Alte zuhause in Biannum reibt sich mit Stutenpisse ein, um dir zu gefallen, wenn du sie besteigst....“
Lyghdar lachte sein räudigstes Lachen.
„Dann weißt du ja auch endlich, warum ich bisher nur Sklavinnen geschwängert habe“, entgegnete er nicht minder vergnügt. „Bah, Weiber!“ Er trat unter das Zelt und setzte sich unzeremoniös zur Linken Mraeghdars an den langen Tisch, wo ein Polsterschemel gerichtet war. Gwynnar bezog links hinter ihm Stellung. Ohne die Bedienung durch einen herbeieilenden Sklaven abzuwarten, griff Lyghdar selbst nach dem Henkelkrug und schenkte sich Buttermilch in eine ebenfalls für ihn bereitstehende Schale.
„Weiber, sage ich dir....“ Er nahm einen tiefen Zug und wischte sich mit dem Handrücken den Schnurrbart ab. „Bhrinnya und ihre Schrullen. Von wem, wenn nicht von ihr, hätte ich mich jemals breitschlagen lassen, diesen verfluchten Fremden Aufenthalt in Biannum zu gewähren!“
„Fremde?“ Mraeghdar blickte ihn argwöhnisch von der Seite an.
„Fremde“, bestätigte Lyghdar. „Von jenseits des Meeres. Schon zu Zeiten meines Vorgängers und davor landeten sie im Mündungsgebiet des Bréadynn....“
„Der alte Wrydunn pflegte sie Dhwyrd als Blutopfer darzubringen“, erinnerte sich Mraeghdar. „Du hättest es ihm gleichtun sollen.“
„Das tat ich auch, jedenfalls zu Beginn. Ich war kaum ein Jahr König, als sie frech mit ihren Schiffen den Bréadynn heraufgerudert kamen, bis nach Biannum. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich einen von ihnen unsere Sprache sprechen hörte. Unter Wrydunns Augen hatten sie sich jahrelang an der Küste niedergelassen, um mit unseren Vasallen Handel zu treiben, wie ich aus dem Bürschlein herauspreßte. Ich mußte ihn nicht einmal foltern, die Drohung allein genügte. Und um nach Biannum zu gelangen, bestachen sie die Fürsten und Befehlshaber der Burgen entlang des Flußlaufs, die sie ungehindert passieren ließen.“
„Bestechung, sagst du?“ Mraeghdar spuckte verächtlich unter den Tisch. „Womit ließ das verfluchte Pack sich kaufen?“
„Mit Gold und Silber vor allem. Mit Geschmeide, mit wohlriechenden Ölen und feinem Tuch für ihre Weiber. Und noch etwas weiterem, worauf ich gleich zu sprechen kommen werde. Du wirst wissen wollen, wie ich mit den Fremdlingen verfuhr. Zwei ihrer Schiffe ließ ich mitten auf dem Fluß in Brand setzen, mitsamt der Besatzung. Die zwölf von Bord gesprungenen, die es schafften sich bis ans Ufer zu retten, ließ ich enthaupten, ebenso den Sprachkundigen; zuvor vergewisserte ich mich jedoch, daß er den Leuten des einzig übriggebliebenen dritten Schiffes unmißverständlich klarmachte, es nie wieder zu wagen, auch nur einen Fuß auf unsere Gestade zu setzen. Als Zeichen an den Herrscher ihres Landes, wie willkommen seine Abgesandten uns waren, bekamen sie dreizehn Säcke Salz mit auf den Weg.“
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