Rita seufzte erleichtert und nickte.
„Ich wusste ja, dass du ein Guter bist.“
In der Wache war nur noch Rieke anwesend. Die beiden anderen Kollegen hatten schon Feierabend gemacht. Sie wartete auf Instruktionen bezüglich der Nachtbereitschaft. Petersen hatte diese Nacht Dienst und sie sollte zum ersten Mal dabei sein.
„Was hab‘ ich denn nun zu tun heute Nacht. Muss ich die ganze Nacht hier sitzen?“, fragte sie neugierig. Petersen war in Gedanken noch nicht ganz anwesend. Das Gespräch mit Rita hatte ihn nachdenklich gemacht. Nun hatten sie zwei Baustellen. Er war in Sorge, dass diese beiden Problemfelder die kleine Dienststelle überfordern würden. Sollte er Kriminalrat Wilbert um Unterstützung bitten? Irgendetwas sträubte sich bei ihm gegen diesen Gedanken. Es würde dann jemand kommen, der ihnen reinreden würde. Damit konnte er nur schlecht umgehen.
„Chef“, Rieke holte ihn wieder ins Jetzt zurück, „ich hatte eine Frage gestellt.“
„Ja, ja, ich hab‘ schon verstanden. Nein, wir müssen nur erreichbar sein. Also, Handy laut stellen, Uniform bereitlegen. Vielleicht haben wir Glück und es passiert nichts. Ich wollte aber noch etwas mit Ihnen besprechen.“
Ausführlich berichtete Petersen von seinem Gespräch mit Rita Kolbow. Riekes Augen funkelten aggressiv.
„Den schnappen wir uns!“
„Nun mal langsam, keine Kurzschlussreaktionen. Wenn Rita uns Bescheid gibt, wenn die Mandy irgendwo am Automaten daddelt, möchte ich, dass Sie Kontakt zu ihr aufnehmen. Aber nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Vertrauen gewinnen, Interesse zeigen. Trauen Sie sich das zu?“
„Kneipe ist nun nicht gerade meine Welt, aber ich werde mein Bestes geben.“
„Okay, ich hau‘ mich hin. Das Sofa ruft. Wollen wir mal hoffen, dass es die Nacht ruhig bleibt.“
In seiner Wohnung schob Petersen eine Fertig-Lasagne in den Ofen, nahm seine Gitarre und spulte eine Übungssession ab. Gerade, als er die Lasagne aus dem Ofen geholt hatte, rief Mona an.
„Es gibt Neuigkeiten, ich muss das mal schnell loswerden. Ich bin in Oldenburg in das Referat Organisierte Kriminalität eingestellt worden. Das deutete sich ja bereits an, aber wir bilden eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit Bremen. Niedersachsen hat 27 neue Stellen zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität beim LKA und in den Polizeidirektionen geschaffen. Oldenburg und Bremen werden eng zusammenarbeiten. Bremen ist ja eine Hochburg und im Bremer Umland ist ja auch einiges los, und da sind wir dann dabei.“
„Gratuliere“, Petersen war etwas neidisch, das hätte ihm auch gefallen. Aber andererseits hatte er jetzt auch genug zu tun. Er berichtete kurz über seine neuen Fälle. Leider war nach seinem Gespräch die Lasagne nur noch lauwarm, aber ein Gespräch mit Mona war das allemal wert. Nachdem er gegessen, hatte fielen ihm die Augen zu.
Irgendwo hörte er den Gitarrenriff von Smoke on the Water. Petersen schreckte hoch. Sein Handy vibrierte. Er hatte es befürchtet. Jemand auf der Insel hatte 110 gewählt. Mit einem kräftigen „Moin“ meldete sich der Kollege der Leitstelle in Oldenburg.
„Tut mir ja leid, lieber Kollege, aber bei euch machen ein paar Besoffniks Randale. Ja, so ist das, wenn man auf einer Urlaubsinsel Dienst macht. ‚Störtebeker‘ sagt dir bestimmt was, oder?“
Petersen stöhnte laut: „Und ob.“
Das hatte ihm jetzt noch gefehlt. Warum konnten die nicht gemütlich ein Bier trinken sondern mussten immer Randale machen? Er nahm sein Handy und wählte Riekes Nummer. Jetzt kam es drauf an, ob auf sie Verlass war. Aber es dauerte keine 5 Sekunden, bis sie sich schlaftrunken meldete.
„Okay, Chef, bin sofort einsatzbereit.“
Er musste grinsen. Wahrscheinlich hatte sie vor Aufregung kaum ein Auge zugetan. Nach einer Minute standen beide dann auch schon startbereit auf dem Flur.
„Handschuhe, Pfefferspray, Taschenlampe, Handschellen, alles am Mann bzw. an der Frau?“
„Aye, aye Sir“, Rieke salutierte kurz vor ihm. Na, Humor hatte sie ja, auch noch in der Nacht.
„Was ist denn überhaupt los?“
„Randale beim Magister, wir sollten uns beeilen.“
Im Laufschritt bewegten sie sich in Richtung Friedrich-August-Straße. Schon von weitem konnten sie ein Gegröle hören. Eine Gruppe von etwa 8 bis 10 Männern stand teils vor, teils in der Kneipe. Sie hatten alle die gleichen T-Shirts an, auf denen „Team Bräutigam“ stand. Petersen stöhnte: „Junggesellenabschied, schöne Scheiße.“ Hinter der Theke konnte er einen verzweifelten Magister erkennen, dessen Gesichtsfarbe schon stark gerötet war. Einer der Männer rief, wie eine Art Vorsänger:
„Wie heißt die Mutter von Nicki Lauda?“ und der Rest antwortete grölend „Mama Laudaaa.“
In der Kneipe spielte überhaupt keine Musik. Vielleicht war das der Konfliktpunkt, denn der Magister weigerte sich immer beharrlich, Ballermann-Musik zu spielen. Außer Hans Albers und Freddy Quinn spielte er keine deutschen Schlager. An der Theke saßen auch noch andere Gäste, die aber keine Chance hatten, dem Inferno zu entgehen, denn die Eingangstür war durch die singenden Männer blockiert. Durch das rechte Kneipenfenster sahen sie einen jungen Mann, der versuchte eine junge Frau, die am Spielautomaten saß, zu nötigen, sich mit einer Unterschrift auf seinem entblößten Hinterteil zu verewigen. Petersen bemerkte, wie sich Riekes Muskulatur anspannte.
„Ruhig bleiben, wir versuchen erst einmal zu deeskalieren. Wir handeln erst, wenn wir angegriffen werden, verstanden?“
Von Rieke kam ein kurzes Nicken. Jetzt wechselte die Gruppe das Liedgut.
„Wir versaufen unser Geld in den Kneipen dieser Welt, international, wo wir saufen Scheißegal.“ ( Sabotage)
Petersen versuchte, sich jetzt einen Weg in die Kneipe zu bahnen, in seinem Schlepptau Rieke. Ruhig und sachlich, aber mit fester Stimme forderte Petersen die Gruppe auf, ihnen Platz zu machen.
„Polizei, machen Sie den Eingang frei bitte!“
Nur zögerlich kamen die betrunkenen Männer der Aufforderung nach. Einer der Männer grölte.
„Der Wachtmeister und die rote Zora!“
Petersen trat kalter Schweiß auf die Stirn. Hoffentlich rastete Rieke nicht aus. Mit betont finsterer Miene kämpfte er sich in den Innenraum der Kneipe vor. Als Rieke versuchte, über die Schwelle der Kneipe zu kommen, riss einer der Männer ihr die Mütze vom Kopf. Ihr Magen krampfte sich sofort zusammen. Noch reagierte sie nicht. Jetzt spürte sie eine Hand an ihrem Hinterteil, die langsam in Richtung Schritt wanderte. Sekunden später stürzte der Mann schreiend zu Boden. Niemand hatte bemerkt, was passiert war. Riekes Gesichtsausdruck verriet nichts. Petersen konnte überhaupt nichts sehen, ahnte aber, was passiert war. Seine Kollegin hatte bestimmt in ihre Taekwondo-Kiste gegriffen, da war er sich sicher. Trotzdem musste er die Situation irgendwie in den Griff kriegen. Sie waren zahlenmäßig klar unterlegen. Jetzt musste er in die Trickkiste greifen. Er stieg auf die Treppe zur Empore und brüllte laut „Ruhe“.
„So meine Herren, die Party ist zu Ende, wenn sie jetzt ruhig das Lokal verlassen, verzichtet der Wirt auf eine Anzeige, und wir nehmen niemanden fest. Verstärkung ist bereits im Anmarsch, und die Jungs fackeln nicht lange, die sind sauer, weil sie aus dem Bett geholt wurden.“
Seine Worte schienen zu wirken, leise fluchend verließen die ersten Männer das Lokal. Nur der Mann rechts am Spielautomaten schien nichts von alldem mitbekommen zu haben. Auf seinem T-Shirt stand „Nochmal raus! Ehe es zu spät ist.“ Es musste sich also um den Bräutigam handeln. Seine Hose hing noch immer in den Kniekehlen und sein nackter Arsch, auf dem schon einige Unterschriften platziert waren, wedelte nach wie vor in Richtung Spielautomat, wo diese junge, recht verängstigt wirkende Frau auf einem Barhocker saß. Rieke stieg über den am Boden liegenden und vor Schmerzen jammernden Mann und ging auf den vermeintlichen Bräutigam zu.
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