Der Maskierte feuerte sofort. Drover fiel über die Schreibtischplatte, krampfte jedoch wie gierig die Hände um das Gewehr. Es gelang ihm, sich von der Tischplatte weg zu stemmen und wieder auf die Füße zu kommen. Groß und verzerrt malte das Lampenlicht seinen schwankenden Schatten an die Bretterwand.
»Chad!«, ächzte er. »Deine Chance!« Chad Harbin war tiefer ins Office gesprungen und hatte seinen Fünfundvierziger aus dem Holster gerissen. Als er die Waffe auf den Verbrecher anschlug, spürte er gleichzeitig mit dem leisen Knarren der Officetür einen Luftzug im Genick. Jemand stürmte keuchend von hinten auf ihn zu. Chad drehte sich halb, sah einen zweiten vermummten Banditen mit hochgeschwungenem Gewehr auf sich zuschnellen und feuerte verzweifelt.
Da erwischte ihn bereits der niedersausende Stahl an der rechten Schulter und verriss seine Kugel. Der Schmerz war flammend und lähmte seine ganze rechte Körperseite. Gleichzeitig hörte er den zweiten Schuss des ersten Verbrechers krachen. Während er sich zähneknirschend anstrengte, den so plötzlich zentnerschwer wirkenden Revolver abermals in die Höhe zu bringen, füllte Walt Drovers dumpfer Aufschrei das Office.
Der Deputy ließ den Karabiner auf die Bodenbretter poltern. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine zitternden Hände tasteten verzweifelt nach Halt. Dann brach er zusammen, wischte ein paar Munitionsschachteln vom Schreibtisch und rollte bis zum Zellengitter hinüber. Eine Flut goldschimmernder Patronen ergoss sich über den Boden.
Chad sah wieder den schwingenden Gewehrlauf auf sich zukommen und duckte sich gerade noch rechtzeitig darunter weg. Schwerfällig ließ er sich einfach gegen den Angreifer fallen. Der Mann fluchte, verlor das Gleichgewicht und klammerte sich an ihm fest. So stürzten sie beide zu Boden. Chad merkte, wie die Kraft in seinen Arm zurückkehrte. Zorn und Verzweiflung erfüllten ihn mit wilder Energie.
Er drückte dem unter ihm liegenden Verbrecher die Revolvermündung gegen die Kehle und versuchte ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. Der Mann rammte ihm das Knie in den Leib. Chad flog zurück. Dann war der skrupellose Revolverschütze zur Stelle und hieb ihm den Coltkolben schräg über den Kopf. Chad rollte kraftlos auf den Rücken.
Wie aus weiter Ferne hörte er eine wütende Stimme schnaufen: »Verwünscht, das war so laut, dass man es bis nach Denver hören konnte! Los, Amarillo, raus mit dir! Und dann nichts wie weg!« Stiefel polterten, die verstreuten Patronen auf den Brettern klirrten, dann wurde es schwarz vor Chad Harbins Augen. Er wusste von nichts mehr.
Als er erwachte, brannte die Flamme unter dem Lampenzylinder ganz ruhig. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen. Von einem dünnen Riss an der Schläfe war ihm das Blut in die Augenwinkel gesickert. Etliche Sekunden lag er benommen und völlig ausgepumpt auf dem Rücken. Dann streifte sein Blick die offene Zellentür, und da kam die Erinnerung wie ein Schwall eisigen Wassers. Alle Benommenheit war wie weggewischt. Er stemmte sich hoch. Sekundenlang war es wieder dunkel um ihn, er taumelte und musste sich am Zellengitter festhalten. Deputy Walt Drover lag nur zwei Schritte neben ihm. Die wächserne Blässe seines Gesichts versetzte Chad einen Schock.
Draußen auf der nächtlichen Main Street war das Durcheinander aufgeregter Stimmen. Hufe trappelten, Stiefel hämmerten auf den Gehsteigbohlen. Männer stürmten die Veranda herauf und rissen die Officetür auf. Chad beachtete sie nicht. Langsam ließ er sich bei Drover auf die Knie.
»Walt!«, raunte er kratzend. »Walt, alter Junge …«
Das matte Lampenlicht brach sich in den glasigen Augen des jungen Deputy. Chad verkrampfte die Fäuste. Er spürte das Pochen seines Herzens bis in die Kehle.
»Großer Himmel! Walt, Amigo …« Das wachsbleiche, erstarrte Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Der Gedanke an die beiden maskierten Banditen, die Amarillo aus dem Jail befreit hatten, weckte ein mörderisches Brennen in ihm.
Stimmengewirr und Schrittescharren füllten jetzt das ganze Office. »Ein Doc!«, schrie jemand schrill. »Verdammt noch mal, so holt doch den Doc!«
Chad erhob sich steif. »Sinnlos!«, murmelte er tonlos. »Er ist tot!«
Sporengeklirr kam durch die hin und her wogende Menge auf ihn zu. Bruce Kellock bahnte sich mit seinen breiten Schultern ungeduldig einen Weg. Er starrte betroffen auf den toten Deputy hinab.
»Höllenfeuer! Da sind wir zu spät gekommen! Meine halbe Crew sitzt draußen im Sattel, um das zu verhindern, was …« Er schüttelte grimmig den Kopf. »Ich habe es doch geahnt! Hank Jones hat keinen Zweifel an seinen Absichten gelassen!«
»Jones?« Chads Kopf ruckte hoch. Kellock starrte ihm hart in die Augen. »Zweifeln Sie etwa daran? Harbin, Sie wissen doch hoffentlich jetzt, was Ihre Pflicht ist! Und wenn Sie mich noch so wenig mögen – bei der Jagd nach Amarillo und dem Mörder werden Sie sich felsenfest auf mich und meine Männer verlassen können. Der Mond ist aufgegangen. Es ist hell genug, um eine Spur verfolgen zu können.«
Chad bückte sich nach seinem Revolver, steckte ihn ins Hoster und sagte kein Wort. Stille breitete sich im Office aus. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Und in das Schweigen fielen Kellocks nächste Worte schwer wie Hammerschläge: »Sie können auch den Stern ablegen, Harbin! Dann reiten meine Cowboys und ich allein!«
Chad warf einen letzten Blick auf Walt Drover. Seine Miene versteinerte sich. »Ich bin bereit, Kellock!«
Ruckartig setzte er sich in Bewegung. Eine Gasse öffnete sich vor ihm, als er mit langen Schritten zur Tür steuerte. Sporenklirrend, die buschigen Brauen grimmig gefurcht, folgte ihm Bruce Kellock dicht auf den Fersen.
Mitten in der Nacht schreckte Mary-Lou aus dem Schlaf. Bleiches Mondlicht füllte das kleine Zimmer. Durchs halboffene Fenster wehte dumpfes Grollen über die Hügel, das sich der Ranch am Turkey Creek immer mehr näherte – das Geräusch vieler eiliger Pferdehufe. Mary-Lou schlüpfte aus dem Bett und zog hastig ihr leichtes Sommerkleid an. Der Korridor vor der Tür lag in pech-schwarzer Finsternis.
»Dad!«, rief Mary-Lou gedämpft. »Dad!«
Keine Antwort! Unaufhaltsam dröhnten die Hufe aus der Mondnacht heran. Mary-Lou lief den Korridor entlang. Die Haustür war nicht verriegelt, nur angelehnt. Das Gehämmer der vielen Hufe verschluckte das leise Geräusch, als sie diese vollends öffnete und ins Freie huschte. Heiße Besorgnis malte sich auf ihrem schmalen Gesicht. Über die strauchbesäumten Hügel kam mit dem anschwellenden Donnern der Hufe eine Gefahr heran, die sie nur ahnen konnte.
Hank Jones stand neben dem lehmummauerten Ziehbrunnen mitten im Mondschein auf dem Ranchhof. Er hielt ein Gewehr in der Armbeuge und spähte wachsam in die Richtung, aus der die Reiter jeden Augenblick aus den Schatten auftauchen musste. Mary-Lou lief zu ihm.
»Dad! Was ist geschehen?«
Der Klang ihrer hellen Stimme riss ihn herum.
»Zurück ins Haus! Schnell, Mary-Lou!« Schweiß perlte auf seiner Stirn, harte Linien hatten sich um seinen Mund gegraben. In seinen Augen brannte es.
Mary-Lou blieb stehen. »Dad, um Himmels willen, ich verstehe nicht, was …«
Das Hufgetrappel hatte den Rand der Hügel erreicht. Dort, wo die Korrals am Ufer des Turkey Creeks endeten, tauchte die Kavalkade als kompakte schwarze Masse auf. Gleich darauf flogen auf dem Ranchhof vom Mondlicht versilberte Staubbällchen unter den Pferdehufen. Groteske Schatten wanderten daneben her. Eine Front von Gewehr- und Revolverläufen blinkte. Jones keuchte wieder: »Ins Haus, Mädel!«
Doch Mary stand, die Hände vor der Brust verkrampft, wie festgenagelt. Die üppige Flut ihres dunklen Haares umrahmte ihr angespanntes Gesicht. Ihre Augen waren ganz groß. Eine harte Stimme drang durch das Heranpochen der Hufe: »Jones, ein einziger Schuss aus deiner Knarre – und du wirst den Sonnenaufgang nicht mehr erleben! Ich warne nur einmal!«
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