1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 „ Wie bitte?“ Auf einmal kicherte die Frau. „Jetzt lass das doch, Fin, dafür haben wir später genug Zeit.“ Kurz war es still. Dann hörte man ein Geräusch, das nach einem Kuss klang. Längst schlug Maggies Herz nicht mehr fiebrig, sondern dumpf gegen die Brust. „Hör auf, Liebling. Ich kann die Frau kaum verstehen. Also, Miss, was haben Sie gefragt?“
Das Handy fühlte sich wie glühendes Eisen an. „Nichts, ich habe mich vermutlich verwählt.“
Die Frau am Ende der Leitung machte einen tiefen Atemzug, als müsse sie sich zur Ruhe zwingen. Scheinbar ging es ihnen ähnlich. „Ich glaube, Sie wissen genau, dass Sie richtig sind“, wurde die Unbekannte plötzlich feindselig, „Fin und ich sind bereits vor seiner Reise nach Cornwall ein Paar gewesen. Aber ich weiß, dass etwas zwischen ihnen war. Für ihn ist das bedeutungslos, somit auch für mich. Also lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe, Sie hatten Ihre Chance, Miss. Jetzt ist er mit mir verlobt und wir werden im Sommer heiraten. Darum wagen Sie es nie wieder, bei uns anzu…“
Maggie unterbrach die Verbindung und starrte tränenblind auf das erleuchtete Display, bis es ausging. Er war verlobt und wollte sogar heiraten! Dabei lag ihre letzte Begegnung nicht einmal einen Monat zurück. Zumal er da bereits mit dieser Frau zusammen gewesen war.
Sie hatten Ihre Chance. Welche denn? Im Grunde hatte es nie eine gegeben, weil sich seine Worte als schreckliche Lüge herausstellten. Von wegen, er hätte sich nie zuvor geöffnet oder einer Frau seine Liebe gestanden. Jedes Wort, jedes verdammte Wort war gelogen gewesen!
Oh ja, Finley McGarret war scheinbar ein Meister darin, anderen etwas vorzugaukeln und beherrschte das Lügen bis in den letzten Wesenszug. Beinahe wäre sie darauf hereingefallen. Wie naiv konnte man eigentlich sein? Sie hatte doch von Anfang an gewusst, welche Sorte Mann dieser Mistkerl war. Dazu brauchte sie sich bloß sein Gespräch mit Dex vor Augen führen, das die beiden damals vor dem Dessous-Laden geführt hatten. Einer wie Finley wusste immer, wie er an sein Ziel kam. Gottlob handelte sie dennoch instinktiv richtig, indem sie ihn beim Cottage abblitzen lassen hatte.
Entschlossen sprang Maggie von der Mauer und wischte sich die Zornestränen aus dem Gesicht. Morgen war ihr erster Arbeitstag. Ab jetzt würde sie nur noch für ihre Karriere leben. Grace hatte recht. Gefühle taten nur weh. Darum durfte sie nie wieder welche zulassen, und wenn jemand andere verletzte, würde sie das ab jetzt tun! Sie hatte keine Lust mehr, ein Opfer zu sein, das vom Leben oder von Menschen wie Finley gebrandmarkt wurde.
„Wie war eigentlich die Gala in London?“, erkundigte sich Dex und nippte am Wein, den man in dieser düsteren Kaschemme ausschenkte. Im Tetra Pak! Finley begnügte sich daher mit einem simplen Mineralwasser, wobei man in der abgestandenen Brühe vergeblich nach Kohlensäure suchte. Darum hatte er bislang auf jeglichen Schluck verzichtet. Auch im Hinblick auf Herpes oder irgendwelche Keime, die sich hier bestimmt pudelwohl fühlten.
„Wir haben eine Menge Geld für die Kinderkrebs-Stiftung gesammelt“, konzentrierte sich Finley auf Erfreulicheres und spürte gleichzeitig den allzu bekannten Stich im Herzen. „Allerdings überlässt mir Mister Hall mit jedem Jahr mehr Aufgaben. Wenigstens zeigt er sich in Sachen Spendenfreude von seiner großzügigen Seite. Nächstes Jahr möchte er übrigens ein zweitägiges Programm für mich zusammenstellen und sogar mein Hotel bezahlen. Immerhin verschaffe ich ihm viele lukrative Kunden, da kann er sich ruhig revanchieren.“
„Dieser Mister Hall kennt deinen erlesenen Geschmack?“, erkundigte sich Dex zweifelnd. „Du bist nicht leicht zufriedenzustellen.“
„Apropos zufrieden: Ich war bombastisch am Telefon!“, lobte sich Sam zum x-ten Mal selbst. „Der Tussi hat es glatt die Sprache verschlagen.“ Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Gläser klirrten grell, doch das schreckte keinen der Gäste auf. Die meisten waren ohnehin besoffen oder spielten Pool-Billard auf eine Weise, dass Finley vom bloßen Hinschauen schlecht wurde. Die Kugeln platzierte man kurzerhand dorthin, wo man sie brauchte. Bierflaschen standen mitten im Spielfeld. Ein Mann in Ledermontur aschte trotz Rauchverbot in die linke Ecke, in welche sein Gegenüber die schwarze Kugel beim Anstoß versenkt hatte und sich von den anderen feiern ließ … „Du hörst mir ja gar nicht zu, Fin“, beschwerte sich Sam, die zum Bierglas griff. Ihre robuste Natur haute sicher so schnell nichts um.
„Weil du dich wiederholst.“
„Na und? Lydia bist du los. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.“ Ein paar ordentliche Schlucke wanderten in ihre Kehle, ehe sie das Glas lautstark abstellte. „Wobei ich an deiner Stelle das Festnetz abmelden würde.“ Schon komisch. Sonst hatte Lydia ständig am alten Handy angerufen. „Glaub mir, die hat es kapiert, sonst hätte sie nicht aufgelegt.“
„Lydia hat sich einen Tag nicht gemeldet. Warten wir’s ab.“
„Wow, dein Optimismus ist echt ansteckend“, rügte Dex ihn und fuhr sich durch die rote Lockenpracht, die wie ein zerrupftes Vogelnest aussah. Allerdings wie eins von einem Riesenvogel.
„Du bist so süß, wenn du dich aufregst“, raunte Sam seinem Freund zu und nahm dessen Hand. Himmel, mussten sie ständig flirten? Vor allem in seinem Beisein! Ohne Rücksicht auf seinen Liebeskummer! Da hatten sich wirklich zwei Elefanten im Porzellanladen gefunden. Bereits bei Dex’ Ankunft wirkten sie wie hypnotisierte Kaninchen. Eine Stunde später hatte die Luft zwischen ihnen zum Fremdschämen geknistert. Wiederum eine Stunde darauf war lautes Stöhnen aus dem Gästezimmer gedrungen, was mittlerweile zur normalen Geräuschkulisse in der Villa gehörte und Finley den letzten Nerv raubte. Abgesehen davon vernachlässigte Sam ihre Arbeit sträflich. Am meisten regte es ihn jedoch auf, dass die Liebe für alle anderen Menschen die natürlichste und unkomplizierteste Sache der Welt zu sein schien.
„Habe ich dir heute schon gesagt, wie wunderschön du aussiehst in diesem roten Holzfällerhemd und der weißen Leggins?“ Dex schenkte Sam einen schmalzigen Augenaufschlag. „Du hast übrigens ein tolles Lokal ausgesucht.“ Das grenzte allmählich an Hochverrat! Dex schätzte ebenfalls schönes Ambiente und gutes Essen, was man ihm deutlich ansah. Im Normalfall hätte er diesen Saftladen sofort wieder verlassen, der sich im hintersten Winkel von Berlin befand. Weiter hinten ging es gar nicht mehr. Selbstredend, dass die verstaubten Billig-Holzmöbel jeglichem Geschmack entbehrten, und auf dem langen Tresen zeigten sich haufenweise eingetrocknete Ringe nebst Fingerabdrücken. Vermutlich lebten einige Gäste gar nicht mehr, die welche hinterlassen hatten.
„Du weißt immer, was einer Frau schmeichelt“, Sam kuschelte sich an Dex.
„Nur in deiner Gegenwart“, mutierte Dex zum Romantiker und wischte sich mit dem Ärmelsaum über die schweißige Stirn. Sogar sein Haaransatz war feucht. „Liebe ist das schönste Gefühl und …“ Abrupt unterbrach sich Dex. „Du siehst blass aus, Finley. Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Wenn nicht Dex, wer sonst wäre prädestiniert für den Beruf des Psychologen?
„Mein Gott, der Junge kann was ab“, hielt sich Sams Mitleid in Grenzen. „Wir sollten ihn nicht ständig in Watte packen. Immerhin haben wir lange genug versucht, ihm zu helfen.“
„Ach ja? In den letzten fünf Tagen habe ich euch kaum zu Gesicht bekommen.“
„Glaubst du, uns fiel der Abstand leicht?“, wehrte sich Sam und lehnte sich zurück, da eine bis zum Hals tätowierte Kellnerin die Spaghetti brachte. Neben Burger die einzige Speise, die hier angeboten wurde. Eigentlich hatte Finley nichts bestellen wollen, wurde jedoch von Sam und Dex überstimmt. „Wir wollten dir eben nicht auf den Geist gehen. Du brauchst absolute Ruhe.“
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