Herr Meiers Vergesslichkeit ging soweit, dass er manchmal sogar seinen eigenen Namen vergass. Man stelle sich vor!
Aber Herr Meier war ein genialer Typ.
Er hatte alles was der Erinnerung wert sein konnte, In seinem grossen Computer gespeichert und wenn er zum Beispiel seinen Namen vergessen hatte, so konnte er nur den Rechner fragen: WER BIN ICH? und schon flimmerte sein Name auf dem Bildschirm.
HABE ICH SCHON GEFRÜHSTÜCKT? Antwort: Ges
tern JA, heute NEIN. Ist doch wirklich praktisch so ein Computer!
Aber wenn du unterwegs bist und dauernd auf deinem Laptop herumfingerst, denken die Leute von dir, du seist irgendwie nicht ganz hundert.
Deshalb hatte der arme Herr Meier schon alle berühmten Ärzte der Welt besucht, hatte schon alle nur möglichen Medikamente geschluckt, aber natürlich ohne den allergeringsten Erfolg.
Seine Vergesslichkeit blieb dieselbe und hätte er nicht seinen Computer mit den vielen Datenbanken gehabt, hätten die Ärzte ihr Honorar zehn Mal nacheinander bei Ihm einfordern können, er hätte nichts vom ganzen Schwindel bemerkt.
So. Und nun hatte er gehört, dass mitten im Urwald von Brasilien eine Pflanze wachse, die ihn von seinem lästigen Leiden befreien könnte.
Ein Buschpilot, der an jener Stelle mal Bruchlandung gemacht und dabei seine Erinnerung völlig verloren hatte wurde mit ebendieser Droge, die ihm ein schmutziger und scheinbar betrunkener Medizinmann verabreicht hatte, wieder geheilt.
Der Pilot, der leider beim nächsten Crash im Amazonasfluss von den Piranhas, diesen gefrässigen Fischchen verspeist worden war, dieser Pilot hatte vorher seinem Freund Peter in Basel die genauen GPS Koordinaten angegeben, wo sich die wirksame Heilpflanze befindet.
GPS Koordinaten?
Nun, das sind zwei Zahlen, die ein kleines Computerchen errechnet hat auf Grund von einigen Piepsern von Satelliten aus dem Weltall. Mit diesen Zahlen kann man genau, absolut genau die gleiche Stelle wieder finden, wenn man weiss wie.
Nun, um es kurz zu machen:
Ausgerüstet mit diesen Zahlen, mit exakten Karten des Amazonasgebietes, mit Schiffskarten für die Überfahrt, mit einer Topausrüstung, mit einem GPS Computerchen, mit einem echten, nagelneuen Landrover und mit viel Geld, starteten wir unsere Abenteuerfahrt in den undurchdringlichen und gefährlichen Urwald Brasiliens.
Wir würden die Pflanze finden. No problem.
Klar, dass der gute Herr Meier nicht mitreisen konnte wegen seiner notorischen Vergesslichkeit.Er hätte ja schon am zweiten Tag nicht mehr gewusst, weshalb er auf Reisen war.
Von der Reise lässt sich nicht viel erzählen. Wir wussten ja, dass wir auf einer Abenteuerfahrt waren und nicht auf einer Schulreise, wir wussten auch, dass im Urwald alles viel grösser und mächtiger ist als hierzulande. Die Bäu me sind vielleicht zehnmal höher, die Schlangen 20 mal länger, die Skorpione rund 30 mal giftiger, die Ameisen 40 mal gefrässiger und an der Grenze muss man mindestens hundert mal mehr Formulare, Ausweispapiere, Bewil ligungen, Visa, Laissezpassers und andere Papiere ausfüllen und abstempeln lassen als anderswo und der Name REGENwald sagt ja auch ganz klar und deutlich, dass es dort ständig wie mit Kübeln giesst, aber dass die vielen Urwaldbäume zu nahe beieinander stehen, so nahe, dass man keinen Regenschirm hätte aufspannen können, das sagt er nicht, ist aber so.
Doch das gehört nun alles mal zu einer echten Expeditionsfahrt.
Abenteuer?
Na ja, eigentlich ist nicht viel Aufregendes passiert, ausser vielleicht der Anaconda, einer Riesenschlange (9,376 m, ohne dass wir sie speziell lang gezogen hätten), die sich in meinem Schlafsack eingenistet hatte, einer verrückten Schiesserei mit Goldsuchern, die wahrlich verwegene Gesellen waren und uns nicht vorbeilassen wollten. Da war auch noch die Begegnung mit einem absolut wilden und unentdeckten Indianerstamm. Da diese Wilden noch nie einen Weissen zu Gesicht bekommen hatten, beschossen sie uns erst mal mit ihren Giftpfeilen, die echt giftig waren! Zwar wurden wir glücklicherweise nicht getroffen, aber unser rechtes Vorderrad bekam einen dieser Pfeile ab und, man glaubt es kaum, begann doch sofort der Motor zu husten und zu spucken. Der Reifen und die Felge waren später nicht mehr zu gebrauchen, da sie vom Gift völlig zerfressen waren.
Und dann waren da die lästigen Fliegen, allgegenwärtig und manchmal in dichten Wolken, dass man beim Durchqueren eines Fliegenschwarms am hellichten Tag die Scheinwerfer einschalten musste.
Aber die vielen Mücken, so faustgrosse Riesendinger mit Stechrüsseln, lang wie Injektionsspritzen waren eigentlich schlimmer, da sie uns Tag und Nacht verfolgten. überhaupt, Insekten! Ausser den gefrässigen Ameisen, die dir die Lederschuhe in Minutenfrist von den Füssen wegfressen, war der Urwaldboden dicht bedeckt mit Riesenspinnen (mit tödlichem Gift) (und genau genommen natürlich keine Insekten\) und den hier so gefürchteten wahrlich gigantischen Taranteln. Wenn dich so eine beisst, so musst du tanzen bis du tot umfällst und das kann beim Tango ein langes Leiden sein.
Jeden Morgen musste man die Stiefel auskippen, da sie oft bis zum Rand mit ekligen (und hochgiftigen) Skorpionen angefüllt waren. Aber das sind dort alltägliche Dinge, wie die Giftfrösche zum Beispiel, die dir gezielt in die Augen spucken, pschtt! und du bist blind. Ärgerlich hingegen waren die fleischfressenden Pflanzen, die, wenn man nicht verflixt gut aufpasste, dir das gebratene Steak einfach so, schwupps und haste gesehen, vom Teller klauten und mit einem schmatzenden Geräusch in der Röhrenblüte verschwinden liessen.
Auch die Blutegel, so handgrosse, schwärzliche Klumpen, die im feuchten Laub lauern und sich dann im richtigen Moment an dir festsaugen, waren sehr unangenehme Gesellen. Ich glaube drei von denen würden einen Menschen glatt leersaufen.
Der Weg zum Kreuzchen auf unserer Karte war natürlich keine vierspurige Autobahn, sondern führte quer durch den Busch, durch riesige Sumpfgebiete, die wir mit Knüppelwegen passierbar machten, über reissende Flüsse, die wir mit selbstgebastelten Flössen mutig überquerten, durch den dichten Dschungel, wo wir uns mit der Machete Meter um Meter durchhauen mussten. Klar, so ist der Urwald halt mal.
Aber.
Das Verrückteste, was uns dann passierte, kurz vor unserem Ziel, war …
… ich wage es kaum auszusprechen …,
… nach dieser wochenlangen Schinderei und Plackerei, nach diesem ununterbrochenen Verzweiflungskampf gegen alle Unbilden eines Dschungels, nach unzähligen lebensgefährlichen Momenten erreichten wir eine breite Waldschneise. Eine sehr breite Waldschneise. Sie war vielleicht etwa 2000 km breit oder mehr, und in ihrer Mitte war, oder anders gesagt, ihre ganze Breite lang zog sich da eine glatte und schnurgerade Asphaltstrasse, die Transamazonia. Vom Meerhafen her, wo wir gestartet waren, quer durch das ganze Amazonasgebiet bis zum anderen Ende des Dschungels.
Auf diesem äusserst bequemen Weg erreichten wir nach etwa einer halben Stunde das Kreuz auf der Karte.
Es lag mitten in einem Städtchen.
Genaue Nachmessungen mit dem GPS führten uns zu einer Apotheke.
Der Apotheker, ein etwas ungepflegt aussehender Eingeborener, hörte sich mit unbeweglicher Miene unsere Geschichte an und holte dann einen kleinen Leinensack von einem Regal.
Da sei das Gesuchte drin, sagte er und verlangte dafür umgerechnet dreissig Pfennig.
Etwa eine Handvoll mit heissem Wasser übergiessen und pro Tag drei bis fünf Teetassen davon trinken. Das sei alles. Am besten mit Honig süssen. Und immer auf nüchternen Magen.
Wo das Wunderkraut denn wachse, wollte ich wissen.
Mit vager Geste zeigte er nach draussen und sagte: «überall.» Das sei ein übles Unkraut!
Ich sammelte die Samen dieser Pflanze, wickelte Stecklinge und Wurzeln in feuchte Tücher, grub kleine Pflänzchen aus, die ich in extra mitgebrachte Tontöpfe setzte, denn ich wollte dieses seltene Kraut auch bei uns heimisch machen. Und vielleicht, vielleicht liess sich mit dieser Heilpflanze sogar das Geschäft des Lebens machen, wer weiss.
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