Doch, doch, einen waschechten Eisbären.
Erschreckt fragte sie mich, ob ich einen Hitzschlag hätte oder einen Sonnenstich und kam ganz besorgt herausgerannt.
Als sie das riesige Tier neben mir sah, kniff sie sich ins Bein (wir können ahnen weshalb) und dann sagte sie mit ruhiger Stimme, dass das wirklich ein sehr schönes Tier sei, das ich da gefangen hätte und ob man das Tier streicheln könne. Aber da fiel ihr der Bär ins Wort und sagte, dass er erstens freiwillig mitgekommen sei und zweitens, dass er Eis entschieden lieber habe als Streicheleinheiten und drittens heisse er Arktus.
Wir (Arktus und ich) suchten uns im Garten ein kühles und stilles Schattenplätzchen, während Gustel im Keller eine grosse Dose Eis holte. Haselnuss und Vanille. Schmeckt wirklich vorzüglich, fand auch unser Gast und während wir Eis löffelten, erzählte er, dass das ganze Eis am Nordpol (gewöhnliches Wassereis!) bald dahingeschmolzen sei und er sich auf dem Weg zum Südpol befinde um zu sehen, ob es dort noch Eis und Schnee hätte. Falls ja, so würde er seine Familie sofort nachkommen lassen.
Inzwischen hatten wir die Eisdose geleert (die war ja auch nicht übertrieben gross) aber Arktus hätte offensichtlich gern noch mehr gehabt. Zwar wagte er es nicht, uns direkt zu fragen, er schien ziemlich scheu zu sein, aber seine Augen blickten derart begehrlich in der Richtung der leeren Büchse, dass sein Wunsch unschwer zu erraten war. Er wünschte Vanilleeis, später Erdbeer und Schokolade.
Gustel sagte, sie hätte gar nicht gewusst, dass Eisbären derart verrückt nach Speiseeis seien, aber Arktus belehrte sie, dass sie ja deshalb EISbären genannt werden. Ist ja logisch: Der Ameisenbär frisst Ameisen, der Bambusbär Bambus, der Eisbär Eis, der Waschbär Wäsche und der Grizzlybär
…
Was sind eigentlich Grizzly?
Niemand von uns wusste es und ich war zu faul um im Lexikon nachzuschauen. Bei so heissem Wetter scheut man jede noch so kleine Arbeit. Zudem musste ich unserem
Gast helfen, das Schokoladeeis aufzuessen, denn so ganz alleine hätte er es vielleicht gar nicht heruntergekriegt.
Als es Siestazeit war, sah man, wie unser Arktus unter der Hitze litt. Da hatte Gustel die gute Idee: Wir würden die Türe des Eisschranks öffnen, den Schalter auf MAX stellen (das heisst auf MAXimale Kälte) und Arktus konnte sich davor legen und ein kühles Mittagsschläfchen machen. Er fand die Idee ebenfalls cool.
Ich etwas weniger, denn im Frigo lag noch ein schönes Stück Tilsiterkäse und daneben glänzte und duftete eine Lyonerwurst und da Bären bekanntlich gerne Fleisch fressen …
Sollte ich vor seinen Augen die leckeren Dinge entfernen?
Das würde bedeuten, dass ich kein Vertrauen in unsern lieben Gast hatte und ich wollte ihn um keinen Preis beleidigen.
Was tun?
Ich fand eine geniale Lösung. Ich erzählte ihm von den diebischen Katzen unserer Nachbarn und bat ihn, doch auf die fleischigen und käsigen Dinge im Frigo achtzugeben, damit keine Katze sich da selber bediene.
«Werd' ich tun!» rief er aus und sagte mir, ich könnte ruhig schlafen denn er würde achtgeben und falls eine Katze käme, ha, die würde nicht mehr lange miauen und Käse klauen.
Nach der Siesta war natürlich weder Käse noch Lyonerwurst mehr da. Auf meine vorwurfsvollen Blicke meinte er, dass doch diese elenden Katzen immer frecher würden, aber sie hätten doch wenigstens die Wassermelone nicht angetastet.
«Brr, Wassermelone! Mir wird schon vom Wort allein fast übel,» rief ich aus.
«Oh, Gianni,» brummte Arktus vergnügt, «wir haben ja in diesem Fall etwa den gleichen Geschmack. Zarter Tilsiterkäse, Lyonerwurst Parmaschinken, geräucherte Wurst und magerer Speck sind doch was vom besten dieser Welt.»
Tatsächlich fehlten alle diese leckeren Dinge, sie waren ratzeputz gefressen worden.
«Und alles Grünzeug, ob Melone oder Petersilie ist so furchtbar gesund und schmeckt auch so. Stimmt's oder hab ich recht?» fügte ich hinzu und wir verstanden uns ausgezeichnet.
Immerhin standen alle Bierdosen noch schön in Reih und Glied, wie sollte auch ein Eisbär Imstande sein sie zu öffnen?
Als ich wenige Minuten später nach einem kühlen Bierchen greifen wollte, wurde mir aber klar, wozu Eisbären ihre scharfen Eckzähne haben.
Nanu, bei uns ist schliesslich jeder Gast ein König, ob Bär oder Nichtbär. Wenigstens standen die Eisdosen noch im Tiefkühlschrank, unberührt.
Dass sie alle fein säuberlich leergeleckt waren, stellten wir erst am Abend fest, als Arktus schon wieder weitergereist war.
DIE BLUME DER VERGESSLICHKEIT

Es war einmal …
Nun, wenn ich mit diesem Satz beginne, so denken alle: Aha, ein Märchen.
Und die ganze Geschichte ist erstunken und erlogen und da ist kein Fädelchen Wahrheit dran...
Also beginnen wir andersherum:
In Basel, in der Schweiz, lebte, oder vielleicht lebt er noch, ein Mann mit dem überaus normalen Namen Peter Meier.
Kennt ihr ihn am Ende gar? Er fuhr früher häufig mit der Zweier Strassenbahn in die Stadt.
Herr Meier sah aus, wie die meisten Männer seines Alters eben so aussehen, er war von mittlerer Grösse, nicht mehr besonders jung aber auch noch nicht sehr alt, er war weder mager noch dick, er war immer anständig gekleidet und trug bunte Krawatten, er grüsste freundlich zurück, wenn er gegrüsst wurde, mit einem Wort, er war ein ganz normaler Mensch, wie ich und du. Und doch, und doch haftete ihm etwas Ungewöhnliches an, etwas Eigenartiges.
Wie ich ihn kennenlernte?
Nun, das begann mit einem Zeitungsinserat.
Da las ich, dass jemand in Basel einen Menschen suchte, der gerne reist und auch vor Abenteuern nicht zurückschreckt.
Da beides bestens auf mich zutrifft, so wählte ich die Telefonnummer, die in der Zeitung stand.
«Maajer Peeter, Baasl», meldete sich.
Tja, das ganze sei eine lange und komplizierte Geschichte, die sich nicht so schnell am Telefon erzählen liesse und ob ich nicht mal schnell vorbei kommen könne, er würde dann alles ausführlich erklären. Es gehe im Endeffekt darum, dass ich für ihn im Urwald des Amazonas an einer ganz bestimmten Stelle eine ganz bestimmte Pflanze holen würde. Für sämtliche Kosten der Expedition käme er selbstverständlich auf.
Das hörte sich sehr verlockend an.
Ich reiste also schnurstracks nach Basel zum ersten Treffen mit diesem Herrn Meier und dabei erfuhr ich gleich mal am eigenen Leib von seinem Problem.
Ich klingelte zur vereinbarten Stunde an seinem Gartentor, hörte auch gleich seine Stimme aus der Gegensprechanlage krächzen, meldete mich mit meinem Namen an und dann folgte ein langes, etwa fünfminütiges Schweigen begleitet von leiser Musik, wie am Telefon.
Endlich hörte ich ihn sagen, dass er meinen Namen gefunden hätte und alles OK sei.
An der Tür erwartete mich der weiter oben beschriebene Mann.
Er reichte mir die Hand, brummelte mich mit einem unverständlichen Namen an und hiess mich hereinkommen.
Er nahm hinter seinem Computer Platz, toggelte eine Weile lang und sagte schliesslich: «Ah, Sie kommen.wegen der Expedition, falls sich mein Rechner nicht irrt. Momentchen mal, ich muss hier noch Ihren Namen eingeben.»
Toggel toggel klick.
Herr Meier sah offensichtlich die Fragezeichen in meinen Augen und so begann er mir auch gleich sein grosses Problem zu schildern.
Er litt an schwerer Vergesslichkeit.
Aber seine Vergesslichkeit war viel, viel schlimmer als jene von Opa, die uns ja immer wieder zum Lachen bringt, wenn er zum Beispiel durchs Haus knurrt und die Autoschlüssel sucht, die für alle gut sichtbar mitten auf dem Stubentisch liegen.
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