Insgesamt erlebte ich solche Gewaltausbrüche öfter. Betrunkene, die sich erdreisteten, frech zu sein, wurden auf die hintere Bank im VW-Bus gesetzt. Wenn der Fahrer dann rief: „Vorsicht, weiße Kaninchen“, wusste der andere Kollege, dass sogleich eine scharfe Bremsung erfolgen würde, und konnte sich festhalten. Nur der Trunkenbold rauschte ungebremst durch den Innenraum und schlug hart an der Trennwand an. Teilweise wurden vier oder mehr „Kaninchen-Bremsungen“ pro Fahrt durchgeführt. Je nachdem, wie renitent die Person vorher gewesen war.
Einmal in der Woche gab es den Ausbildungstag. Diesmal fand er in meinem Revierbereich statt. Alle Auszubildenden versammelten sich auf dem Gelände der Berufsfeuerwehr. Dort war die 30-Meter-Drehleiter ausgefahren. Der Feuerwehrchef referierte über seine Wehr und über den Einstellungstest. Hierbei müsse auch diese Leiter vom Bewerber erklommen werden, erklärte er.
„Das kann doch jeder!“, entfuhr es mir.
Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie ich das Gurtzeug der Feuerwehr umgeschnallt bekam.
„Ja los, dann zeig uns das mal. Hoch da. Und wenn Du oben bist, klinkst du den Haken ein, lässt die Hände los und pfeifst ein Lied. Das oben ist ein Mikrofon und Lautsprecher.“
Das hatte ich nun davon. Aber weigern wäre mir als Feigheit ausgelegt werden. Langsam erklomm ich also so nun die Drehleiter. So bei 12 Metern wurde mir mulmig. Ich befand mich jetzt auf Höhe der Dachrinnen umliegender Gebäude. Dann ging es wieder besser. Ab 20 Metern empfand ich die Höhe nicht mehr störend, sondern fast als unwirklich. Alles am Boden sah jetzt richtig klein aus. Oben angekommen, tat ich, was mir aufgetragen wurde. Das Pfeifen auf Kommando fiel mir etwas schwer.
„So, Prüfung bestanden, komm runter“, lautete der Befehl aus dem Lautsprecher.
Insgesamt erlebte ich recht viel in den zwei Monaten Einzeldienst. Da war der flüchtige Gefängnisausbrecher, den ich festnahm, der Unfall des Diensthundeführers, bei dem ich mich anschließend um seinen Diensthund kümmerte, diverse Einsätze in Diskotheken, die damals alle in Roma-Hand waren, und den psychisch leicht angeschlagenen Kollegen, der immer versuchte, durch ruppiges, destruktives Fahren, jeden Streifenwagen zu verschrotten.
Während dieser Zeit hatte ich kaum Kontakt zu den Freunden am Ausbildungsort, Handys und Internet gab es noch nicht. Ich fuhr nach Feierabend immer heim, es waren nur ja noch 50 km. Den Kontakt mit meinen alten Schulfreunden hatte ich während der vergangenen 18 Monate nie aufgegeben, ich war ja fast jedes Wochenende in der Heimat.
Meine Praktikumszeit neigte sich dem Ende und ich musste wieder jede Woche in die Kaserne. Für meine Praktika hatte ich gute Noten bekommen. Ulrike sah ich kaum noch, sie war die ganze Woche in ihrer Ausbildungsstelle. Auch viele unserer gemeinsamen Bekannten hatten eine Berufsausbildung begonnen und waren nur noch selten in der Stadt. Mein NSU der irgendwann nach einem Motorradunfall zu mir gelangte, war TÜV-fällig und stand abgemeldet daheim. Ich hatte mir einen alten Opel-Rekord C-Coupé in grünmetallic mit schwarzem Venyldach zugelegt. Mit einem Jahr TÜV für 850 Mark.
Kaserne
Jetzt war ich also wieder in der Kaserne. Es wurden viele Außenübungen gemacht. Eine Walddurchsuchung jagte die nächste. Auch wurden wir für Verkehrskontrollen geschult. Auf dem einen Hektar großen Parkplatz vor der Polizeiabteilung wurden mehrere Kontrollstellen eingerichtet. Jetzt wurden Freiwillige gesucht, die mit ihren privaten Autos die zu kontrollierenden Bürger mimten. Ich meldete mich für diese Aufgabe. Ich drehte einige Runden mit meinem Opel, bis ich an eine Kontrollstelle kam, an der Atze die Oberaufsicht hatte. Der nächste Konflikt war also vorprogrammiert.
„Herr Busch, was ist denn das für eine alte Karre?! Die ist eines Polizisten unwürdig!“ dozierte er und blickte sich Beifall suchend um.
„Das Fahrzeug ist verkehrstüchtig und hat noch ein Jahr TÜV Herr Dunkel. Ich wüsste nicht, was das mit Unwürdigkeit zu tun hat“, entgegnete ich.
Atze holte tief Luft. Ich startete ich den Motor und brauste davon. Atze stand wild fuchtelnd an der Kontrollstelle. Ich parkte und mischte mich unter die Kontrolleure meines Zuges.
Den nächsten Abend verbrachte ich nach längerer Zeit mal wieder in der Diskothek. Dort lernte ich eine freche, rothaarige, grünäugige Krankenschwesterschülerin namens Patrizia kennen. Sie war schlagfertig und sehr direkt, und sehr schön. Es dauerte keine halbe Stunde und wir probierten den Geschmack des anderen aus. Sie schmeckte sehr lecker. Wie die meisten Mädchen zu der Zeit trug sie unter dem T-Shirt keinen BH. Ihre kleinen, sehr festen Brüste zeichneten deutlich ihren Erregungszustand ab. Wir beließen es oberhalb des Tisches beim Ewaldschen und unter dem Tisch beim Fummeln, der Laden war einfach zu voll. Patrizia war komplett rasiert, und trug keinen Slip, stellte ich fest, als ich meine Hand unter ihrem Rock hatte. Das hatte ich bis dahin noch nie erlebt und fand es wahnsinnig erregend. Plötzlich kam Fred an unseren Tisch. In seiner tuntigen Art sagte er:
„Du, Max…“
„Ja, was denn?“ erwiderte ich leicht genervt.
„Ich hatte eben einen Anruf von der Kaserne. Ich soll gucken, ob Polizisten hier sind und denen sagen, dass Alarm ausgelöst wurde, und ihr alle sofort hochkommen sollt.“
„Fred, du hast mich doch sicherlich hier nicht gesehen, oder?“ fragte ich.
„Nein, natürlich nicht, wenn Du meinst“, säuselte Fred und schwebte davon.
Patrizia und ich bezahlten dann aber doch, da ich einfach davon ausgehen musste, dass vielleicht andere Polizeischüler mich hier sehen und verpfeifen könnten. Ich hatte überhaupt kein Bedürfnis, Patrizia jetzt schon tschüss zu sagen. Wir schlenderten Händchen haltend zu meinem Auto.
„Wald?“ fragte ich.
„Klar!“ kam die Antwort.
„Pille?“ versicherte ich mich.
„Natürlich!“ meinte sie kopfschüttelnd, als wenn ich was Dämliches gefragt hätte. Wir verließen die Stadt und fuhren 10 Minuten später tief in den Forst. Ich achtete beim Parken darauf, dass das Auto vom Fahrweg nicht gesehen werden konnte. Zwei Hebelgriffe später waren beide Vordersitze umgelegt und bündig mit der Rückbank, da dieses alte Auto noch keine Kopfstützen hatte. Es war warm, die Standheizung lief und wir erforschten die nächsten zwei Stunden intensiv den anderen. Patrizia war ein richtiges Ferkelchen und ich genoss es. Trotz Heizung lief das Wasser innen von den Fensterscheiben. Ausgepowert lagen wir dann nebeneinander und tranken abgestandene Cola, die ich noch im Auto hatte.
„Max, danke für den Abschied, es hat mir sehr gefallen!“ sagte Patrizia plötzlich.
Ich verstand nur Bahnhof.
„Was meinst Du mit Abschied?“ fragte ich verwirrt.
„Ich werde morgen die Lehre hier abbrechen und zurück nach München gehen. Meine Mutter ist schwer krank geworden, die braucht mich jetzt. Ich kann in München weiter lernen.“
„Schade“, entfuhr es, mir ohne dabei genau zu wissen, ob ich den Abschied oder die Krankheit ihrer Mutter meinte.
Schweigend fuhren wir schließlich wieder in die Stadt und zum Schwesternheim. Der Abschied fiel uns beiden schwer.
„Falls du mal nach Bayern kommst, hier hast Du meine Adresse“, sagte sie und gab mir den Zettel, den sie geschrieben hatte. Langsam, gedankenversunken fuhr ich zur Kaserne, parkte und schlenderte in die Abteilung. Ich hatte noch den Geruch von Patrizia an den Händen und schnupperte öfter an meinen Fingern. Inzwischen graute der Morgen. Jäh wurde ich aus meinen Träumen gerissen.
„Busch!!! Wo kommen Sie denn jetzt erst her??“ rief der Zugführer bei meinem Anblick.
Der gesamte erste Zug war vor dem Gebäude im Einsatzanzug angetreten.
„Ich wusste nicht…“ stotterte ich verdutzt.
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