„Los jetzt zackig umziehen, Walddurchsuchung, keine Übung! In zwei Minuten sind sie wieder draußen!“ befahl Dummers.
Offenbar hatte sie mehrere Stunden gebraucht, um alle Kollegen aus der Stadt zusammen zu trommeln. Ich raste rein und zog den Verwender einfach über Jeans und Pullover. Nachts würde das schon keiner kontrollieren. Die ganze Hundertschaft wurde zu einem 20 km entfernt liegenden Waldgebiet gefahren, der Morgen dämmerte. Uns wurde mitgeteilt, dass Spaziergänger in dem Waldstück Teile einer skelettierten männlichen Leiche gefunden hatten. Es fehlten allerdings noch der Kopf und eine Hand. Wir wurden mit Metallsonden ausgerüstet und bildeten eine lange Kette mit einem Abstand von zwei Metern zwischen uns. Das Unterholz war sehr dicht, ich konnte meine Nebenleute fast nicht sehen. Im Schneckentempo durchkämmten wir das Unterholz. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Meine Blase war einfach zu voll.
„Lucky, Jimmy, macht mal langsamer, ich muss mal pissen“, sagte ich zu meinen beiden neben mir suchenden Kollegen. Es dauerte seine Zeit, bis ich alles ausgepackt hatte. Glücklich entleerte ich mich. Hierbei hatte ich allerdings den Fehler begangen, in Suchrichtung zu pinkeln. Als ich alles wieder verstaut hatte, wollte ich langsam weitergehen und schrak zusammen. Ich hatte auf den gesuchten Schädel gepinkelt. Vor mir, halb durch Moos verdeckt, lag er. Der Unterkiefer fehlte. In einer Augenhöhle stand noch mein Pipi. Ich stieß den Schädel mit dem Fuß ein Stück weiter und rief:
„FUND!!!“
Die ganze Polizeikette musste bei dem Ruf stehen bleiben. Hastig kämpfte sich Sepp durch das Unterholz in meine Richtung. Der Ort wurde den hinzu gerufenen Kripo-Kollegen gezeigt. Unsere Suche nach der fehlenden Hand und dem Unterkiefer ging weiter. Beides wurde bei diesem Einsatz nicht mehr gefunden.
Ich verlegte meine Abende jetzt öfter in eine benachbarte Kurstadt und die dortige Diskothek, die einen eher zweifelhaften Ruf hatte. Hier wurde ich irgendwann von Bärbel angesprochen, die gerade dabei war, ihren Liebeskummer zu ertränken. Bärbel war ein Vollweib mit ausgeprägten Formen und einer mordsmäßigen Oberweite, ohne dabei fett zu sein. Ich half ihr beim Trinken und schon an diesem Abend sollte ich sie heimfahren. Ich brachte sie ins Haus und übergab ihrer Mutter die trunkene Tochter. Am nächsten Abend wartete sie schon in der Disko auf mich. Diesmal nüchtern und ohne Liebeskummer. Wir kamen ins Gespräch und uns dann näher. Bärbel war sehr fordernd. Als ich sie diesmal heimbrachte, sollte ich mit in ihr Zimmer kommen. Sie klärte mich gleich darüber auf, dass sie eine Pillenpause mache und nichts von Kondomen halte. Somit würde es keinen Geschlechtsverkehr geben. Gegen manuelle und orale Befriedigung habe sie jedoch nichts einzuwenden. Ich ließ mich auf ihre Bedingungen ein. Vier Wochen sollte die Pillenpause noch andauern, die wollte ich so überbrücken. So oder ähnlich verliefen die nächsten Tage. Ich kam jeden Morgen übernächtigt zum Dienst.
Julia
Aus Schulzeiten hatte ich noch einen richtigen Freund, also das, was man unter wirklichem Freund versteht. Dieser Freund war weiblich und hieß Julia. Sie war groß, schlank, hatte schwarze, lockige Haare und strahlend blaue Augen. Dass sie sehr schön war, nahm ich nicht wahr. Zu Schulzeiten war Julia von 1978 bis 1979 ein Jahr in USA gewesen. Während dieser Zeit verunglückte ihr Freund Peter mit seinem Motorrad auf einer spiegelglatten Kreuzung in unserer Kleinstadt und starb. Peter, ein provokanter Typ, hatte mich in der Schulzeit bis aufs Blut gereizt, ständig einen dummen Spruch auf den Lippen. Als ich ihn eines Tages verdreschen wollte, war plötzlich alles anders. Wir wurden gute Freunde.
Den Tod Peters hatte Julia nach ihrer Rückkehr aus den Staaten immer noch nicht überwunden. Ich kümmerte mich viel um sie und wir bauten ein enges Vertrauensverhältnis auf. Auch erreichte sie in kurzer Zeit ihr Normalgewicht wieder. Nach der Nachricht von Peters Tod hatte sie sich in den USA voll gestopft und kehrte mit 20 kg Übergewicht zurück. An meinen freien Wochenenden waren wir fast immer zusammen und sprachen über Gott und die Welt. Wir machten Ausflüge mit dem Motorrad und anderen Freunden zur Ostsee oder saßen manchmal gemütlich, wie ein altes Ehepaar bei ihr oder mir und hörten Musik. Wir hatten keinerlei Geheimnisse voreinander, dachte ich damals. Während meiner Praktikumszeit hatte sich unsere Freundschaft noch intensiviert. Ich erzählte ihr fast alle meine Erlebnisse, auch die mit Ulrike, Sabrina, Patrizia und Bärbel. Sie verriet mir ihren Traum, irgendwann einen lieben Mann zu finden und dann eine Familie zu gründen.
Silvester hatte Julia mich und mehrere Freunde zu einer Party im Keller ihrer Eltern eingeladen.
„Wenn du im Moment eine Freundin hast, kannst du sie gern mitbringen“, teilte sie mir mit.
Ich brachte Bärbel mit.
Mit mehreren rollten wir nach der Party schließlich unsere Schlafsäcke aus und übernachteten im Keller. Ich wurde am nächsten Morgen wach, neben mir lag Bärbel und schnarchte leicht. Irgendwie war ich plötzlich von ihr und dem ausschließlichen Oralsex angewidert.
„Uärks!“ entfuhr es mir.
Dann sah ich, dass Julia wach war und mich grinsend ansah. Sie hatte meine Lautäußerung gehört. So schnell es möglich war, fuhr ich Bärbel heim. Sie war mir von einer auf die andere Sekunde über geworden. Im Auto, vor ihrer Haustür, beendete ich unser orales Verhältnis.
Meinen NSU hatte ich inzwischen bei einem Onkel von Julia schweißen lassen. Dann war die TÜV-Abnahme keine Hürde mehr. Die oberflächlichen Roststellen hatte ich großflächig mit rot-brauner Bleimennige übermalt. Jetzt sah das weiße Autochen wie eine norddeutsche Rotbunte aus. Ich schenkte Julia den NSU zu ihrem 18. Geburtstag, ich hatte ja noch meinen Opel Rekord, der für die weiten Touren deutlich bequemer war. Einen Führerschein hatte Julia schon. Sie hat sich riesig gefreut.
Als ich Freitagabend im März bei meinen Eltern, wo ich noch ein Zimmer hatte, vorfuhr, stand der NSU schon vor der Tür. Meine Eltern saßen mit Julia in der Küche und plauderten. Julia und ich gingen dann nach oben in mein Zimmer. Ich erzählte ihr die neusten Storys von Atze und was ich sonst so erlebt hatte, sie berichtete von der Schule und was die anderen so machten. Wir hockten auf dem Sofa nebeneinander und lauschten „Pink Floyd“ und „Supertramp“. Es wurde dunkler und ich zündete einige Kerzen an. Julia hatte Tee gekocht. Wir schlürften Tee und genossen schweigend die Musik. Dann legte sie mir plötzlich eine Hand auf die Schulter und zog mich zu sich. Ich war erstaunt und verwirrt. Julia umschlang mich mit den Armen und gab mir einen langen, intensiven Kuss. Danach lagen wir beide lange, eng umschlungen nebeneinander auf meinem Bett. Mir schossen die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Ich fühlte mich einerseits unglaublich wohl und hatte dabei doch Magendrücken. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Julia lächelte und hatte ihre Augen geschlossen. Irgendwie musste ich reden.
„Julia, hör mal“, setzte ich an.
„Hmm, was denn, mein Schatz?“ murmelte sie.
Schlagartig hatte sich unsere ganze Situation verändert. Jetzt waren wir keine besten Freunde mehr, schoss es mir durch den Kopf. Das betrübte mich plötzlich sehr.
„Meinst du, dass das so für uns richtig ist?“ setzte ich erneut an. „Hmm, sehr richtig, sehr schön…“ bekräftigte Julia mit Schlafzimmerstimme.
Ich setzte mich abrupt auf.
„Julia, jetzt mal im Ernst! Das jetzt wird doch alles zwischen uns verändern. Wenn wir ein Paar sind, sind wir keine besten Freunde mehr. Das würde mich sehr traurig machen. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das will. Ich will das wahrscheinlich nicht. Hast Du da keine Angst vor?“ sprudelte es aus mir heraus.
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