Bergfest
Das erste Jahr war um. Bergfest! Hierüber hatten wir schon viel gehört. Party und Tanz mit Mädels aus dem Ort. Außerdem waren wir jetzt nicht mehr die „Brunos“. Ein neuer Jahrgang würde bald in Arbeitsanzügen ihren Dienst angetreten. Und unsere Sperrzeit war vorüber! Nicht mehr am Sonntag bis 24 Uhr anreisen und in der Woche um 22 Uhr in die Betten. Das war eigentlich das Schönste! Ach ja, befördert wurden alle, die das erste Jahr bestanden hatten, auch noch. Jetzt waren wir Oberwachtmeister und Atze bohrte jedem höchstpersönlich einen Pickel in jedes Schulterstück der Uniform. Beim zweiten und ersten Zug übernahm dies aber der größer gewachsene POK Dummers.
Der große Speisesaal war festlich geschmückt worden. Wir trugen zur Uniform ein weißes Hemd mit schwarzer Krawatte, bei der Polizei „Binder“ genannt. Knapp einhundert Jungpolizisten waren angetreten und erwarteten die Rede unseres Hundertschaftsführers. Diese fiel außerordentlich mitreißend aus. Seine Jungs, wie er uns jetzt alle nannte, hätten im Vergleich mit der anderen Ausbildungshundertschaft besser abgeschnitten! Und das in seinem ersten Jahr als HuFü! Nach weiteren Lobhudeleien, hauptsächlich auf seine eigene Person und sein Stammpersonal, erfolgte die Bekanntgabe, wer im Sparwettbewerb gewonnen hatte. Wer von seinem Gehalt im ersten Jahr am meisten gespart hatte, sollte einen Preis erhalten. Der erste Zug hatte diesen Schwachsinn komplett boykottiert. Gewonnen hat ein gerade 17-jähriger Junge, natürlich aus dem 4. Zug, der alle Gehälter komplett gespart hatte. Schön, wenn man trotz hohen Gehalts noch alles von den Eltern bekommt, dachte ich.
Dann kam der große Moment: Die Mädels aus der Stadt sollten kommen. Auf großen Plakaten war überall in der Stadt verkündet worden, dass Frauen im Alter von 16 bis 20 gratis am Fest teilnehmen konnten. Auch ein Polizeireisebus stand um 19 Uhr am Marktplatz bereit. Als der Bus vorfuhr, standen alle erwartungsfroh an den Fenstern des Speisesaals. Es kamen nur 20 Damen, von denen die Hälfte gar nicht ins Altersraster passte. Sie waren deutlich älter als 20 Jahre, einige sahen aus, als würden sie schon auf die 50 zugehen.
„Mann, das langt ja nie“, meinte Lucky zu mir.
„Ja und guck mal, wie viele Trümmertauben!“ entgegnete ich enttäuscht.
Da der Busfahrer keine Anstalten machte, ein zweites Mal in die Stadt zu fahren, setzten wir uns an einen Tisch und ergaben uns dem Bier. Die zwanzig Frauen waren innerhalb kürzester Zeit vom Stammpersonal, also unseren Ausbildern, vereinnahmt worden. Selbst unser alter „Spieß“ lief balzend wie ein Gockel herum. Mit fortschreitender Zeit stieg der Alkoholpegel deutlich an. Kurz vor Mitternacht hatte ich genug und wollte in mein Zimmer gehen, denn ich wusste, dass am nächsten Morgen mit Sicherheit ein 5-km-Waldlauf anstand. Das war auch so ein beliebtes Spiel, uns vernünftig auszubilden, wie sie meinten. Ich ging Richtung Ausgang und musste an Atze vorbei.
„Herr Busch, wo wollen Sie denn hin?“ blaffte er mich mit glasigen Augen an.
„Ins Bett, Herr Dunkel“, antwortete ich artig.
„Nix da! Sie bleiben hier! Das ordne ich an! Sie sind ja noch gar nicht richtig besoffen!“ lallte Atze.
„Das können Sie nicht anordnen und jetzt lassen Sie mich bitte vorbei“, erwiderte ich.
Klatsch, da hatte mir Atze doch eine Ohrfeige gegeben. Ich war drei Sekunden völlig sprachlos. Er stierte mich herausfordernd an. Ich packte ihn wütend am Revers seiner Uniformjacke und hob ihn 10 cm an. Atze riss die Augen auf, Sabber rann aus seinem Mundwinkel. Sepp hatte den Vorfall beobachtet und kam angesprintet.
„Max, lass ihn runter und sieh zu, dass Du hier raus kommst!“ herrschte er mich an.
Ich setzte Atze mit Schwung ab, der ging in die Knie und torkelte zur Seite.
„So geh, ich mach das mit dem Kerl schon“, raunte Sepp mir zu. Völlig konsterniert verließ ich die Veranstaltung. Der Fußmarsch zu meiner Unterkunft brachten meinen Blutdruck wieder in vernünftige Bereiche und ich war wieder völlig nüchtern.
Disko
Schön war es, dass wir im zweiten Ausbildungsjahr nachts kommen konnten, wann wir wollten. Überhaupt waren wir Volljährigen überhaupt nicht mehr zum Übernachten in der Kaserne verpflichtet. Jetzt hieß es, Mädels der Kleinstadt, wir kommen! Es gab noch zwei weitere Kasernen in der näheren Umgebung, beide von der Bundeswehr. Die Stadt war überfüllt von jungen, hormongefüllten Männern. Eine Diskothek hatte es uns allen angetan. Direkt am Marktplatz in einem historischen Gebäude gelegen. Schön verwinkelt und schummerig mit vielen kleinen Nischen. Wir Jungpolizisten mussten natürlich erst einmal den Anspruch auf die weibliche Stadtbevölkerung gegenüber den zahlenmäßig überlegenen Soldaten durchsetzen. Das klappte natürlich nicht immer, obwohl der schwule Gastwirt Fred eher auf Seiten der Polizisten war und nach kleinen Scharmützeln öfter die Soldaten vor die Tür setzte. Allmählich gewannen wir so die Oberhand in dem Laden. Bis auf den einen Freitag im Herbst. Der gesamte 2. Zug hatte sich zum Feiern in besagter Disko verabredet.
Ich war nicht direkt dabei, denn ich war verliebt. Mein von Sylt stammender, noch 17-jähriger Kollege hatte mir seine Freundin vorgestellt. Ein zartes, kleines Püppchen. In ihrer Begleitung war ihre Freundin Sabrina. Sabrina war die Wucht, hübsch, mit großen braunen Kulleraugen und blonden, langen Locken. Wir verstanden uns auf Anhieb, sie war sehr nett und anschmiegsam. Wir Ewaldschten und fummelten viel in der Zeit. Meine Freundin Anne, die ich noch daheim gehabt hatte, hatte mich am Wochenende zuvor telefonisch wissen lassen, dass sie keinen Bock mehr auf eine Wochenendbeziehung habe und deshalb nun Schluss machen werde. Sie sei jetzt außerdem mit Torben zusammen. Meine Trauer hielt sich in Grenzen. Ich wünschte beiden alles Gute.
Jedenfalls war ich aus besagtem Grund nicht in der Diskothek. Am nächsten Tag hatten einige Kollegen des 2. Zuges blaue Augen und blutige Nasen. Sie hatten von den Soldaten Prügel bezogen. In der Mittagspause stand der 2. Zug nun eng beieinander in der Kantine, die neben dem Speisesaal lag. Sie tuschelten miteinander und machten eindeutige Handbewegungen. Abends, so gegen 22 Uhr in der Stadt, ich saß mit Sabrina vor dem Stadtbrunnen und hielt Händchen, kamen die 25 Kollegen des zweiten Zuges in Marschordnung daher. Alle trugen ein weißes langärmeliges Sweatshirt und hatten die Polizei-Signalpfeife an einer Kette um den Hals hängen. Sie marschierten schnurstracks zur Diskothek. Ungefähr zehn Minuten später stolperten und rannten die ersten Soldaten aus der Diskothek und davon. Wir betrachteten das Schauspiel und mir war klar, dass die Kollegen Vergeltung für die gestrige Niederlage übten. Weitere zehn Minuten später, keiner flüchtete mehr, rasten drei Streifenwagen der örtlichen Polizei mit Blaulicht heran. Sechs Kollegen stürzten in den Club.
Am nächsten Morgen hatten wir Strafrechtsunterricht. Plötzlich: „Hundertschaft um 10 Uhr vollzählig vor dem Hauptgebäude antreten!“ schnarrte die Stimme vom Spieß aus dem Lautsprecher im Unterrichtsraum.
Das war in fünf Minuten, also nichts wie los. Alle waren pünktlich, der dritte Zug trug Sportanzüge.
„Meine Herren! Gestern ist es zu einem unerfreulichen Zwischenfall gekommen!“ schnarrte Atze, „Teile der Hundertschaft haben sich uniformiert und einen Überfall auf ein hiesiges Lokal gestartet. Sie wissen, dass es in öffentlichen Lokalen ein Uniformierungsverbot gibt!“
Ich konnte nicht fassen, was ich hörte. Uniform? Uniformiert? Sind die Tennisspieler, die gemeinsam in ihrer Tenniskleidung in ihrem Lokal speisen Straftäter, weil sie uniformiert in einer Gaststätte sind? schoss es mir durch den Kopf, der spinnt doch wieder.
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