Ich teilte mein Zimmer mit Lucky und Jimmy. Lucky hatte schlimme Akne und überall an Kopf und Hals fette Eiterblasen. Seine Hakennase war tiefrot mit Pergamenthaut. Lucky erklärte uns gleich, dass er gar nicht Polizist werden möchte. Er sei nur dabei, um die lästige Wehrpflicht zu umgehen, denn nach drei Jahren Polizeidienst sei man davon befreit. In den drei Jahren würde er aber, im Gegensatz zu Wehrpflichtigen, richtig Geld verdienen. Nach Ablauf der Zeit wollte er Fischwirt lernen. Ganz schön schlau, dachte ich, mal sehen, ob er es wahr macht. Jimmy war das Babyface, runder Kopf mit Pausbäckchen und hellblonden Haaren im Pisspottschnitt. Er war ein Pedant. Alles korrekt, gebügelter Schlafanzug, Hausschuhe. Und er sprach so schön langsam. Ich kann mich kaum erinnern, dass er einen Satz zu Ende gesprochen hatte, ohne vorher von jemandem unterbrochen worden zu sein.
Am nächsten Morgen wurden wir eingekleidet. Nein, Uniformen gab es noch nicht. Die ersten zwei Wochen durften wir im Arbeitsanzug Dienst verrichten. Arbeitsanzüge in Herrengrößen für junge Männer die, zumindest im ersten Zug, lang und dürr waren. Damit uns die Ärmel und Hosenbeine lang genug waren, bekamen wir alle Gr. 56. Von der Weite her hätten zwei von uns in einen Anzug gepasst. Zwei Wochen waren wir somit das Gespött der Polizeiabteilung.
Am dritten Arbeitstag wurden wir nachmittags alle zum „ReFü“, dem Rechnungsführer, bestellt. Dort erhielt jeder sein erstes Gehalt, da Beamte ihr Geld ja im Voraus bekommen. Es gab bar gegen Unterschrift 1.200 D-Mark. Ich glaub, viel mehr verdiente mein Vater zu dem Zeitpunkt nicht.
Die Woche verflog, es kam das erste Wochenende und somit Heimaturlaub. Einkaufen war für uns angesagt, alles, was man uns zu Beginn unseres Studiums der Polizeitaktik und der Gesetze unserer Republik diktiert hatte, Blöcke, Stifte usw. Dass man sein erstes Gehalt komplett versäuft, habe ich gehört, es bei der Summe aber gar nicht erst versucht. Zu schnell kam auch der Sonntag, denn bis 24 Uhr mussten alle Neulinge wieder in der Kaserne sein. Im Prinzip blieb einem so vom Wochenende nur der Samstag. Der Rest wurde durch Aufholen des Schlafdefizits und der An- und Abreise aufgebraucht.
In der zweiten Woche fehlten erst einmal drei Kollegen. Die hatte ein Auto angefahren, als sie den Berg zu unserer Kaserne auf der Straße hinaufgegangen waren. Den Gehweg, der durch Gestrüpp von der Fahrbahn abgetrennt war, hatten sie nicht gesehen.
Es ging weiter mit der Ausrüstung: Stahlhelm und Essengeschirr. Bei meinem Helm hatte jemand versucht, das eingravierte Hakenkreuz herauszukratzen. Das blecherne Essengeschirr war verbeult, abgenutzt und stammte von der Bundeswehr. Nur die Butterdose war neu, aus dickem Aluminium mit Plastikeinsatz und massivem Deckel. Auch bewaffnet wurden wir. Es gab eine schwere Pistole von Walther im Kal. 9mm, die auch schon im 2. Weltkrieg eingesetzt worden war. Zur Pistole noch ein Reinigungsgeschirr sowie ein Schnellfeuergewehr des belgischen Herstellers FN mit Holzschaft aus den 40er Jahren.
Am ersten Abend spielten wir so ausgerüstet auf unserem Flur Cowboy und Indianer mit echten Waffen. Einige Indianer trugen sogar den Stahlhelm. Ein Glück, dass wir nur drei Übungspatronen, ganz ohne Sprengsatz, erhalten hatten. Punkt 22 Uhr kam der Wachhabende vorbei und kontrollierte, ob wir allen in den Betten lagen.
In den nächsten Tagen lief es ziemlich einförmig ab. Morgens Unterricht, nachmittags Sport oder Formalausbildung. Hierbei sollten wir das Strammstehen und Marschieren lernen.
Schließlich bekamen wir jeder zwei komplette Uniformen, noch die alten grau-grünen, einen Einsatzanzug sowie drei verschiedene Mützen, grün, weiß und eine Bergmütze. Dazu Sportschuhe, Bergstiefel, Halbschuhe und Gamaschen. Das waren aus Zeltplane gefertigte Stulpen mit drei Lederriemen, die man sich um die Knöchel schnallte, wenn es hieß, den Einsatzanzug anzuziehen. Wie beneideten wir die Gruppen- und Zugführer, die langschäftige Lederstiefel ohne die albernen Gamaschen trugen.
Stubendurchgang
Sehr viel Wert legten unsere Ausbilder auf die Putzerei. Es wurde alles gewienert, bis es blitzte. Sogar den Teil der Schuhsohle zwischen Hacken und Lauffläche musste mit Schuhcreme schön schwarz und glänzend geputzt werden. Und die Zimmer erst. Dank uraltem Stabparkett, wurden einmal die Woche die Böden zunächst mit einem Drahtschwamm angeschliffen, um anschließend mittels Bohnerwachs und Poliergerät auf Hochglanz gebracht zu werden. Ohne elektrische Poliermaschine, alles schön per Hand. Das wurde dann am Freitag um 15 Uhr kontrolliert. Wehe, wenn etwas bemängelt wurde. Dann wurde eine Stunde nachgereinigt. Wenn das Ergebnis den Zugführer dann noch nicht befriedigte, durfte man das Wochenende in der Kaserne verbringen. Zum Glück hat es mich nie getroffen, Jimmy allerdings, den armen Pedanten. Jimmy war übergenau und führte jede Anweisung gewissenhaft aus. Wenn es hieß, den Lauf der Pistole mit der Reinigungsbürste einhundert Mal zu bearbeiten, brachte Jimmy es glatt auf 200.
„Herr Hauptkommissar, ich melde: Stube 15 mit drei Beamten vollzählig angetreten! Keine besonderen Vorkommnisse!“ tönte ich als Stubenältester am Freitagnachmittag um 14 Uhr.
Dabei schön in Grundstellung stramm gestanden.
„Danke, dann zeigen Sie mir mal Ihren Spind!“ befahl der Zugführer.
Es erfolgte die Inaugenscheinnahme meines Schrankinhaltes.
„Darf ich Ihr Privatfach öffnen?“ wurde ich gefragt.
Dieses kleine, ca. 15 mal 15 cm große Fach war der einzige Privatraum in unserem Zimmer, welches nicht ungefragt kontrolliert werden durfte und sogar abschließbar war. Bei mir steckte der Schlüssel allerdings.
„Nein, das möchte ich nicht!“ war meine Antwort.
Der Zugführer war deutlich um Haltung bemüht und setzte seine Untersuchung mit einem Knurren fort. So eine Frechheit hatte er wohl selten erlebt. Er verlor dann auch sehr schnell die Lust, in meinem Schrank weiter zu schnüffeln. Ich war heilfroh, hatte ich doch im Privatfach eine halbe Flasche Wodka liegen, was streng verboten war.
Aber irgendwo musste er seinen Frust abladen, da kam ihm Jimmy gerade recht.
„Zeigen Sie mir Ihre Waffe!“ bellte er Jimmy an.
Jimmy nahm sie aus dem Waffenfach unter dem Privatfach und überreichte sie mit den Worten:
„Gereinigt und entladen!“
„Zerlegen Sie Ihre Waffe!“
Jimmy tat wie ihm geheißen und drei Handgriffe später lag die Pistole in den wichtigsten Baugruppen auf dem Tisch. Hauptkommissar Fischer angelte ein Wattestäbchen aus seiner Hemdtasche und führte es zielsicher in einige Vertiefungen des Verschlusses ein. Und welche Überraschung: Die Watte hatte sich ein wenig schwarz verfärbt. Wortlos legte er den Verschluss zur Seite und betrachtete den Pistolenlauf im Gegenlicht.
„Meinen Sie, das hier ist ein Spaß Herr Hansen? Wie sollen Sie Ihre Waffe reinigen?“ bellte Fischer.
„100 Mal durchziehen“, antwortete Jimmy sichtlich eingeschüchtert.
„Hätten Sie das getan, hätte ich wohl keinen Dreck gefunden! Nachreinigen! Ich komme in einer Stunde zur Nachkontrolle!“
„Aber ich habe doch 200 …“, weiter kam Jimmy nicht.
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wenn in einer Stunde nicht alles in Ordnung ist, bleiben Sie das Wochenende hier, verstanden?“
„Jawoll, Herr Fischer!“ antworte Jimmy, bemüht, dass aus seinen feuchten Augen keine Tränen kullerten.
Kaum dass Fischer draußen war, ging Jimmy auf mich los.
„Immer wegen deiner großen Schnauze! Warum findet er bei dir nie was, wo du doch nur 20-Mal durchziehst?“
Wutentbrannt stand das Riesenbaby vor mir. Und so fies, wie man in dem Alter nun mal sein kann, meinte ich:
„Tja Jimmy, Du bist halt das Stubenopfer, einer muss es ja sein.“ Jimmy platzte fast vor Wut.
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