1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Der sture Blick von Jonathan wandelte sich langsam in ein betroffenes Lächeln während er den Worten zuhörte. Er nahm Denniz in den Arm und drückte ihn an sich: „Aber natürlich, mein Junge! Ich könnte doch gar nicht so lange sauer sein auf dich!“.
„Und natürlich kannst du mir auch etwas verbieten wenn es sein muss. Aber nur noch ein paar Tage, dann bin ich 18!“
Jonathan schmunzelte. Dann sah er Ayleen an.
„Ich gehe dann mal. Ich habe noch was zu tun, Bandprobe oder so, und ihr habt ja vielleicht auch noch was zu besprechen. Ihr könnt das Hotelzimmer ja noch etwas ausnutzen.“ Denniz zwinkerte den beiden zu und verabschiedete sich.
„Jetzt werde mal nicht noch frech, Kleiner!“ rief ihm Jonathan nach, konnte aber den Humor in seiner Stimme nicht verstecken.
Jonathan bat Ayleen herein und sah sie an. Er versuchte wieder den bösen Blick von zuvor aufzusetzen. So leicht wollte er es ihr nicht machen, doch es fiel ihm schwer. Sie war zierlich und schaute mit ihren dunkelbraunen Rehaugen zu ihm hoch. Diesem Blick konnte er noch nie wiederstehen.
„Hör zu, auch ich möchte mich entschuldigen. Er ist natürlich nicht nur mein Sohn, sondern auch deiner. Mir ist bewusst, dass du ihn damals adoptiert und ihn wie dein eigenes Kind behandelt hast. Er bat sie herein und sie entschuldigte sich ebenso für ihre Aussage.
„Du hast ihn grossgezogen, ihm all die Sachen beigebracht, die ein Junge von seinem Vater lernen sollte.“ Sie senkte bedrückt den Kopf: „Und ich habe viele Fehler gemacht, ich wollte einfach nicht…“
Jonathan unterbrach sie, indem er sie an sich zog und sie zärtlich küsste.
„Ich kann es ja verstehen. Es bedeutet mir sehr viel, dass ihr hergekommen seid, um euch zu entschuldigen. Aber wir müssen das alles auch nicht totreden! Ich hoffe einfach, ihr habt etwas daraus gelernt und das sowas in dieser Form nicht mehr vorkommt.“
Sie schüttelte den Kopf und küsste ihn nochmals. Die Brötchen fielen zu Boden und die beiden landeten schliesslich auf dem Bett. Gefrühstückt wurde später.
Denniz hatte schon öfter mit seiner Grossmutter väterlicherseits Kontakt gehabt. Gemocht hatte er sie eigentlich noch nie. Als sie 60 wurde, fand eine Party im grossen Stil in Finnland statt, dort wohnte sie. Seine Familie war eingeladen und sie entschieden sich, hauptsächlich ihm zuliebe, daran teilzuhaben. Er war damals noch ein kleiner Junge von 8 Jahren, seine kleine Schwester Melanie gerade mal 2. Es war eine eher spiessige Party in einem altertümlichen Restaurant in Helsinki. Immer wieder holte die Grossmutter Denniz zu sich und redete auf ihn ein. Seine Mutter und sein Stiefvater warfen ihm währenddessen fragende Blicke zu und griffen ein, wenn es ihm zu viel zu werden schien.
Jetzt war sie zu Besuch in der Schweiz. Als sie klingelte und die inzwischen 12 Jahre alte Melanie die Türe öffnete, begrüsste sie sie nicht richtig. Sie fragte direkt nach Denniz. Melanie hatte die Grossmutter ebenfalls noch nie gemocht. Sie spürte natürlich auch ihre Abneigung gegen sie, verstand aber nicht, weswegen. Ayleen kam hinter ihr zur Tür, sie war gerade mit dem Abwasch beschäftigt und trocknete ihre Hände an einem Küchentuch. Mit einem trockenen Hallo begrüsste sie die Frau, lies sie herein und bat sie, sich an den Tisch zu setzen. Dann rief sie Denniz, der in seinem Zimmer war. Die Beziehung zwischen den Frauen war sehr kalt. Ayleen verschwand auch umgehend wieder in der Küche und bat Melanie ihr zu helfen.
Denniz wusste, dass sie zu Besuch kommen würde, aber nicht so recht, weshalb. Als er die Treppe herunterkam und das Wohnzimmer betrat, stand sie direkt auf und umarmte ihn.
„Mein Junge, schön dich zu sehen!“
„Ja, gleichfalls!“ antwortete er nicht ganz so euphorisch.
„Wie geht’s dir? Du siehst ja schrecklich aus!“
Verwundert schüttelte er den Kopf und setzte sich gegenüber von ihr an den Tisch.
„Wieso sehe ich schrecklich aus? Es geht mir gut!“
„Das Piercing in der Lippe, die Frisur! So wird doch nie was aus dir! Du wirst wie deine Mutter!“
Denniz wäre am liebsten wieder aufgestanden, doch sie war ja extra hergereist wegen ihm, er wollte also nicht so sein und ihr noch eine Chance geben.
„Was wäre denn so schlimm daran, zu sein, wie meine Mutter? Ich habe das Gefühl mein Vater war auch so?“
„Dein Vater war ganz anders! Er war verantwortungsbewusst und zuverlässig! Er hatte eine gläubige Familie und ist mit den Werten Gottes aufgewachsen.“
„Aber dieser Weg war nicht der richtige für ihn!“
„Doch, das wäre er gewesen! Aber er hat es nicht erkannt! Genau das war sein Untergang!“
„Nur weil er nicht an Gott geglaubt hat?“
„Ja, ein Weg ohne Gott kann nicht richtig sein! Und wie du aussiehst, befürchte ich, dass er dir ähnlich gehen wird. Ich verstehe nicht, wie deine Mutter dir das erlauben kann. Wenn sie dich lieben würde, hätte sie zu sowas nicht zugestimmt!“
„Meine Mutter liebt mich!“ Denniz sagte diese Worte so bestimmt, dass die Grossmutter sich nicht mehr traute etwas dagegen zu sagen, so senkte sie nur beschämt den Kopf.
„Du meinst also nur wegen diesem Piercing werde nichts aus mir? Du weisst aber schon, dass ich auch mit diesem Piercing bereits mein eigenes Geld verdiene?“
Die Frau schüttelte den Kopf: „Du kannst nicht glücklich werden auf diese Art! Aber es ist nicht zu spät! Du kannst bei uns in Finnland wohnen und dir dort einen Job suchen! Ich kümmere mich um dich. Ich gebe dir Geld!“
Denniz stand auf und schlug die Hände um sich. Er war ausser sich: „Sag mal, raffst du’s noch? Ich brauche kein Geld! Ich brauche keine Hilfe, mir geht es gut!“ Er stütze sich mit beiden Armen auf den Tisch und schrie seine Grossmutter an: „Und ich habe die beste Mutter der Welt, hör endlich auf mir etwas anderes einreden zu wollen! Und mit deinen Briefen, in denen auch immer nur dieselbe Scheisse steht, kannst du ebenfalls aufhören!“
Einen Moment herrschte Ruhe. Denniz beruhigte sich langsam wieder und drehte sich weg von ihr. Der alten Frau stiegen Tränen in die Augen. Ayleen war ebenfalls ins Wohnzimmer gekommen als sie die Schreie hörte und hielt schützend ihre Arme um Melanie.
„Es hat keinen Sinn! Es ist wohl das Beste, wenn ich wieder gehe!“
„Vermutlich ist es das!“ Denniz schaute sie nicht an, stand wie angestarrt da und wartete bis er die Türe ins Schloss fallen hörte. Dann atmete er erleichtert aus und senkte den Kopf.
Seine Mutter kam zu ihm und legte ihren Arm um ihn. Er umarmte sie daraufhin innig: „Ich liebe dich!“
„Ich liebe dich auch! Und nimm dir das was die frustrierte alte Frau sagt nicht so zu Herzen!“
Einige Tage später erreichte Ayleen ein Anruf. Denniz Grossmutter lag im Sterben. Denniz entschloss sich kurzfristig sie doch noch einmal zu besuchen. Sie war schliesslich trotz allem seine Grossmutter. Er reiste nach Finnland und verbrachte die letzten Stunden bei ihr. Das Wetter war zu der Zeit eisig und dunkel. Es war Winter und wenn man ein paar Minuten Sonne am Tag ergattern konnte, war das viel. So sass er in dieser melancholischen Stimmung am Bett seiner Grossmutter und sah ihr beim Sterben zu.
„Denniz! Ich möchte mich für alles was ich falsch gemacht habe, entschuldigen!“
Er nahm ihre Hand und nickte nur.
„Du bist ein guter Junge! Und ich habe mich geirrt, wenn ich gesagt habe, du seiest nicht gut aufgewachsen! Du bist ein anständiger, verantwortungsbewusster junger Mann geworden! Es hat nur lange gedauert, bis ich das erkannt habe!“
Liebevoll sah sie Denniz an. Er blickte zurück und nickte, als ob er sagen wolle, dass er ihr vergebe.
Denniz Tante und ihr Ehemann, sowie deren Sohn und einige Freunde waren ebenfalls anwesend. Sie schaute nochmal in die Runde, der um sie versammelten Familie in die Augen. Dann schloss sie ihre eigenen, für immer.
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