Ilka Berger - Episoden aus der neuen Welt

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Die Straße: ein Schauplatz, ein Kampfplatz, ein Treffpunkt. Leben in vorgegebenen Strukturen unter verordnetem Medikamentenkonsum und unter der Beobachtung einer kontrollierenden Ärzteschaft, die außerdem alle lebensverlängernden Genmanipulationsverfahren bereitstellt und beaufsichtigt. Die GMP-Verfahren eine Zukunft für alle, die bereit sind die Kosten dafür aufzubringen.

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Ilka Berger

Episoden aus der neuen Welt

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Inhaltsverzeichnis Titel Ilka Berger Episoden aus der neuen Welt Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Ilka Berger Episoden aus der neuen Welt Dieses ebook wurde erstellt bei

Episode 1

Episode 2

Episode 3

Episode 4

Episode 5

Episode 6

Episode 7

Episode 8

Episode 9

Episode 10

Episode 11

Episode 12

Episode 13

Episode 14

Episode 15

Episode 16

Episode 17

Episode 18

Episode 19

Episode 20

Impressum neobooks

Episode 1

Eik Ich will will ich Nein ich muss Wenn ich überleben will muss ich - фото 2Eik: Ich will. … will ich? Nein, ich muss. Wenn ich überleben will, muss ich eine neue Straße finden. Sie existieren noch, die anderen Straßen, vermutlich. Ja wahrscheinlich, gibt es noch tausende Straßen, in denen man mehr oder weniger erfolgreich betteln kann. Denn auch daran gibt es kaum Zweifel: ohne uns könnten sie nicht existieren. Ohne uns hätten sie schlichtweg nichts mehr zu lachen. Deshalb werden sie uns auch schön am Leben erhalten, samt unseren Strassen und den ach so schönen Kulissen. Es ist einfach lächerlich, was sie uns da vor die Nase knallen: schlechte Malerei; Bauten aus Zeiten, an die wir uns kaum noch erinnern können: Renaissancesäulen; Jugendstilfassaden. Häuser für unsereins? Nur noch auf Plakaten. Ausgenommen natürlich die Baracken, wenn man die überhaupt zu den Häusern zählen will: runtergekommene Bruchbuden, miese Löcher, Gelegenheitsschlafquartiere für die, die’s aneinandergepresst aushalten. Nur für verstopfte Nasen, taube Ohren, wenigstens halbblind sollte man sein. Da bleibe ich doch besser gleich draußen, da stinkt’s weniger, ab und zu ein frischer Luftzug und Abstand zum nächsten mindestens 200 Meter. Nur im Winter wird’s problematisch, da sucht man freiwillig die Nähe, notgedrungen. Dann träume ich mehr. Die Nähe der anderen stört meinen Schlaf. Sie schnarchen und ich träume von Kulissen. Ich versuche sie wegzuschieben, die Verankerungen zu lösen. Ich baue mir alle möglichen Werkzeuge, setze hier und da an, doch sie sind einfach nicht zu knacken. Immer wieder dasselbe: bauen, versuchen, scheitern. Bauen, versuchen, scheitern. Wenn ich aufwache habe ich Kopfschmerzen … immer. Und diese Leere danach … Dann ab zur Straße und da läuft’s auch selten richtig gut. Mh, ja, dieses Leben … Es ist … Ist ein schlechtes Leben besser als keins? Was für eine Frage. Scheiß Frage! Viel zu philosophisch. Was natürlich auch wieder Quatsch ist. Ich sehe aber auch keine Alternative. Warum kommt mir immer diese blöde Frage in den Sinn? Vielleicht erledigt’s sich von selbst. Ich habe immer die bewundert, die einfach Schluss machen, so radikal, unwiderruflich; vorbei der ganze Mist. Ist das möglicherweise auch schon eine Begabung? Das denkbar härteste Nein zu sich selbst. Ich würd’s mir in letzter Minute noch anders überlegen. Mit Sicherheit. Könnte ja doch noch was kommen; … vor dem Stuhl, vor dem Strick. Ja, hört das denn niemals auf? Scheiß Denkapparat! Kann ich die Poren schließen, wenn sie einmal geöffnet sind? Es zieht verdammt noch mal. Ich will nichts wissen. Schluss jetzt, reiß dich zusammen. Zurück zum Wesentlichen: ich muss eine neue Straße finden. Und das, wenn möglich, ohne Stilbruch. Was für ein Problem, angesichts der Lage. Aber wenn wir schon mal dabei sind: bitteschön ohne stinkende Nachbarn oder gleich ganz ohne Nachbarn. Das wäre der Idealfall. Rieche ich denn besser als die …? Äh, nein, keinesfalls. Auch meine Außenschicht hat dringend eine Grundreinigung nötig. Aber lassen wir das Thema. Bis man sich selbst nicht mehr riechen kann, müsste man Krusten angesetzt haben. Also kein Grund zur Sorge. Den Waschanlagen kann ich durchaus noch einige Tage fern bleiben. Meine schwache Orientierung hingegen macht mir eher Sorgen. Ich sehe und ich sehe zugleich nichts. Die Gleichförmigkeit der Umgebung hat meine Augen müde gemacht. Oder haben sie mir eine neue Mischung verpasst? Etwas gegen durchdringendes Klarsehen. Selbstverständlich doch. Gähnend taumele ich konsequent an jedem noch so nahen Ziel vorbei. In diesem Sinn weiter auf den noch nicht ganz lahmgelegten Füßen beharrlich am Ziel vorbeimarschiert. Augen auf, denn ich sehe sowieso nicht, was ich eigentlich sehen sollte. Soviel ist jedenfalls sicher, ob gewollt eingeflößt oder nur unbeabsichtigte Nebenwirkung: Meine Orientierung ist gründlich im Arsch. So gründlich im Arsch wie meine Schuhe da unten kaputt sind. In den Dingern möchte auch keiner freiwillig weiterlaufen. Hey, jetzt bring mir mal einer ein paar schöne neue Lederschuhe! Aber dalli, dalli! Und möglichst schwarze, ja …! Ach, Entschuldigung, das hätte ich doch beinahe vergessen: leider sind uns aus Versehen die Tiere ausgegangen. Aber das ist nicht ganz korrekt. Es müsste richtigerweise heißen: Aus Versehen sind uns nicht alle Tiere ausgegangen. Ein paar sind nämlich noch da. Und die haben es in sich; bzw. nichts mehr Lebendiges an sich. Ausgehöhlt und auf Wagen festgeschnallt, werden sie nun untierisch pervers durch die Gegend gefahren. Wer ist bloß auf diese dusslige Idee gekommen? Was für eine komische Fantasie.

Episode 2

Eik:

So blind wie man auch sein mag, letztendlich kommt man immer an einen Punkt; ein Ziel, das sich nicht mehr übersehen lässt. Und die Masse sprach: am Anfang war das Tor; der große Triumphbogen der Arbeit. Für meinen Geschmack ein zu protziger Auftakt für dieses nachfolgend kalt-monotone Spektakel. Und zudem kalkuliert ungenau, denn an den breiten Pfeilern fehlen die Namen der Toten, stattdessen kunstvolle Verführung: weich schwingende florale Ranken, Bandelwerk, Arabesken, alles zieht sich stillos gemischt über den ganzen Bogen hinweg. Am Ende wachen barocke Putten über der aufgeblühten Szene, heben die Hände und tun so, als wenn sie das ganze groteske Gedöns noch irgendwie halten müssten. Soll das hier vielleicht einladend sein, muss man sich doch ernsthaft fragen? Aber unsere wirren Architekten werden auch darauf eine Antwort wissen, die wir selbst so nie formulieren könnten: das hier ist nämlich unser qualifizierter Beitrag für eure Welt: eine feuchtwarme Überleitung, eine Art sanftes Gleitmittel bis euch dahinter die Trockenheit wie Mörtel von den Augen fällt. Oder noch einfacher: es ist schön und es wird euch aufmuntern eure Arbeit zu tun; an der letztendlich, so oder so, niemand vorbeikommt.

Ja, es ist wie es ist: Blütenfirlefanz und Fassadenspektakel. Nur eine weitere Schleuse hinein in das Reich der kalten Monotonie. Hier und da mit feisten Putten am Sockelende, die so fett sind wie in Form geschnürte Luftballons, kurz vorm knalllauten Zerplatzen, peng …! Sollen sie doch platzen, peng, peng …! Aufgedunsene Pausbäckchen! Wahrscheinlich von Pädophilen gemacht. Man hat hier eben für alles Verwendung, ha! Aber im Detail haben sie sich hier wirklich sagenhaft Mühe gegeben. Fein gelocktes Haar in selten üppiger Pracht. Der Mund: zuckersüße Schmollkissen; beinahe appetitlich die Schnute. Und die Schenkel erst: saftig; das sind unglaubliche Schenkel, so ausgewogen prall, dass man neidisch werden könnte. Insgesamt also ausgezeichnete Arbeit, was man hier so sieht. Alles glänzt und funkelt, zumindest an der Oberfläche. Darunter ist alles aus Pappe, die sie spätestens morgen wieder herunterreißen. Gepresst und aufbereitet für neue Scheußlichkeiten. Meine Hemmschwelle sinkt.

Ich hätte Lust hier meinen Finger reinzubohren. Merkt schon keiner. Ein riesiges Arschloch. … ein riesiges Puttenarschloch. … schwarzes Loch in rosa Umgebung. Das ist gut. Sehr gut. Nicht zu groß, sonst verliert’s die Wirkung. Und … auf keinen Fall zu franselig. … jaa, … soo! Das wird. Fantastisch! Das schönste Barockarschloch der Welt. Hääjee, … einfach fantastisch!

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