Aber Chris hat sich damals anders entschieden. Für eine bequeme romantische Unaufrichtigkeit anstelle der völlig unromantischen Wahrheit. Ist natürlich auch viel einfacher, Ich liebe dich zu sagen, in so einer Situation, klar. Und wahrscheinlich dachte er, ich würde das sowieso lieber hören als alles andere.
Und so wurde dann Paris für uns der Anfang von allem, weil seit Paris hatte ich das sichere Gefühl, dass aus dieser heißen Affäre, diesem absoluten Power-Flirt in Anführungszeichen nun endgültig die eine große Liebe meines Lebens geworden war.
In Paris wurden wir so richtig ein Paar. Und seitdem hatte ich das Drehbuch für uns im Kopf einfach auch schon fertig.
In dem Sommer und Herbst nach Paris bestand unser Leben dann nur noch aus Liebe Liebe Liebe Liebe ... Und aus ein klein wenig Arbeit natürlich, wir hatten ja beide unsere Jobs. Später kam dann noch Wohnungssuche als Teilzeitbeschäftigung hinzu.
Ich musste zu der Zeit wirklich viel arbeiten, als junge Assistentin bist du natürlich immer die erste, die kommt, und die letzte, die geht, klar. Plus Dienste, nachts und an den Wochenenden. Gegen Chris' Arbeitszeiten war das allerdings immer noch Gold. Seine Firma Network Solutions lief nämlich sehr gut, trotz Wirtschaftskrise. Er hatte immer wahnsinnig viel Arbeit, und er verdiente natürlich dementsprechend. Chris machte Systemberatung für Großanwender . Ich habe zwar nie wirklich begriffen, was das genau war, aber offenbar konnte man damit ein Heidengeld verdienen, jedenfalls war Chris reich wie ein Zauberer, fand ich. Und er hatte wirklich unglaublich Ahnung von Computern, sofern ich das beurteilen kann. Ich musste mir in der ganzen Zeit jedenfalls nie Gedanken machen, dass mein Rechner nicht funktioniert.
In den ersten Monaten war Network Solutions noch eine Ein-Mann-Firma gewesen, und Chris hatte von zuhause aus gearbeitet. Aber bereits im Frühjahr hatte er ein Büro angemietet, zwei große Räume in einem schicken Loft in der Schanze, und kurz darauf stellte er dann die erste Mitarbeiterin ein, die zuerst jeden Tag von 11 bis 15 Uhr hauptsächlich Telefondienst machte, Clarissa.
Clarissa war eine junge Bürokauffrau, eine waschechte Sizilianerin aus Bayern, 22 Jahre alt, die schon nach wenigen Monaten in Vollzeit den ganzen Laden schmiss. Clarissa war ein echter Glückstreffer. Sie war intelligent, schnell, kompetent. Außerdem sprach sie Deutsch, Italienisch und recht gut Englisch.
"Bayrisch und Sizilianisch kann ich natürlich auch. Nur koa Französisch net."
Zudem sah sie wirklich phantastisch aus. Sie war zwar eher ein kleiner Mensch, aber sie hatte einen sehr wohlproportionierten Körper, einen schönen vollen Busen und ein makelloses Madonnengesicht. Das dunkle, beinahe schwarze Haar, die helle Haut und die leuchtend grüngrauen Augen unter den geschwungenen dunklen Brauen verliehen ihr einen ganz besonderen Liebreiz. Und zu Anfang fand ich die Vorstellung, dass mein Freund seinen Arbeitstag in der ständigen Gegenwart dieser kleinen Sexbombe verbringt, ehrlich gesagt äußerst beunruhigend. Aber meine Sorgen waren ganz überflüssig. Sie flirtete zwar ziemlich viel, fand ich, aber ansonsten war Clarissa einfach ein tolles Mädchen, und für sie gab es nur Alexander, ihren Freund. Von daher machte ich mir um sie keine weiteren Sorgen. Außerdem liebte Chris ja sowieso nur mich.
Arbeit war Arbeit, aber unsere Freizeit verbrachten wir meistens zusammen, meistens zu Hause, bei ihm oder bei mir. Wir lagen auf dem Bett, wir machten uns was Schönes zu essen, wir guckten DVD, tranken Wein, schmusten rum und knutschten heftig. Und hatten immer ganz ganz ganz viel Sex.
Natürlich gingen wir auch viel aus, klar, waren auf Partys oder auf dem Kiez oder in der Schanze. Im Sommer fuhren wir an den Wochenenden manchmal an die Ostsee und schauten dann meistens auch bei Gini vorbei, die jetzt zusammen mit ihrem Freund Tobi in unserer alten Wohnung wohnte.
Als ich Chris das erste Mal nach Kiel mitbrachte, konnte ich es kaum erwarten, mit Gini unter vier Augen zu reden, weil ich war natürlich superneugierig zu erfahren, was sie von meinem tollen neuen Freund hielt.
"Und? Was sagst du?"
"Joo'a", meinte Gini. "Ganz lecker."
"Sieht er nicht traumhaft aus?"
"Na klar", sagte Gini grinsend. "Warst du vielleicht schon mal mit jemand zusammen, der nicht traumhaft aussah?"
"Nö!", sagte ich, und das kam so wie aus der Pistole geschossen, dass wir uns beide erstmal ein bisschen wegkugeln mussten vor Lachen.
"Ich frag mich ja sowieso immer, wo du solche Typen immer herzauberst."
"Jaja, ich weiß. Nur diesmal ist es einfach mehr als nur das. Was ganz besonderes."
"Na, dich hat's ja wohl voll erwischt!"
"Findst du auch, nä?"
"Ist nicht zu übersehen", sagte Gini lachend und knuffte mich liebevoll. "Du strahlst die ganze Zeit wie so ein Honigkuchenpferd."
"Und findst du, er passt zu mir?"
"Naja, er scheint dir jedenfalls gutzutun", sagte Gini schmunzelnd. "Und wenn's passt, dann passt's eben einfach, oder?"
" Jaaa! "
Ende Juni fuhr ich dann traditionsgemäß zur Fusion, so wie jedes Jahr. Eigentlich wollte ich natürlich gern, dass Chris mitkommt, aber er hatte keine Lust. Er fand die Fusion Mädchenkram, ist ja vielleicht auch gar nicht so verkehrt. Also fuhr ich dann notgedrungen eben ohne ihn.
Auf der Fusion wurde es dann nochmal alles so wie früher. Alle waren da, meine Mädels aus Kiel, Gini, Anna, Rebecca undsoweiter. Lexa war da. Und Clara, die extra für die Fusion aus München angereist war, worüber ich mich natürlich wahnsinnig freute, einfach weil wir uns so selten sahen, seit sie in München arbeitete. Es waren dann vier wirklich schöne Tage auf der Fusion, das Wetter spielte auch mit, weitgehend, und wir machten das, was wir immer schon gemacht haben auf der Fusion: Musik hören, Tanzen Tanzen Tanzen, Sachen angucken, Flirten, Reden Reden Reden, ganz wenig schlafen… die Tage sehr entspannt, und die Nächte auch.
In den Sommerferien fuhren Chris und ich dann für 14 Tage nach Polen, immer die Ostseeküste entlang bis rüber nach Gdansk. Chris hatte kurz zuvor ein Auto gekauft, einen großen Kombi, sehr komfortabel. Ich war vorher noch nie in Polen gewesen, aber Chris schon, von daher kannte er sich ein bisschen aus. Meistens zelteten wir, ganz kuschelig in meinem fusionerprobten Igluzelt, aber ab und zu leisteten wir uns auch ein Hotel der gehobenen Kategorie. Und in so einem Fünf-Sterne-Palast feierten wir dann in seinen 31. Geburtstag hinein. Natürlich lästerte ich ein bisschen, weil er jetzt wieder zwei Jahre älter war als ich.
"Viel zu alt für mich eigentlich."
"Jetzt kannst du noch darüber Scherze machen, kleine Prinzessin", meinte Chris lachend. "Das nächste Opfer des schrecklichen Dreißig-Fluchs wirst dann du."
"Nö, als Frau bleibst du immer 29. Vingt-neuf ans , wie wir in Paris sagen", meinte ich frech. Und als ich ihn später, als wir schon auf unserem Zimmer waren, dann auch noch Opi nannte, kriegte ich für meine kleinen Frechheiten noch ein bisschen den Po verhauen.
Am nächsten Tag, also am eigentlichen Geburtstag, waren wir von mittags bis spätabends am Strand. Es war ein total heißer schöner Tag, wir hatten uns ein ruhiges Plätzchen gesucht, so ganz für uns in den Dünen, wo wir den ganzen Tag nackt in der Sonne brieten, badeten, aßen, lasen, schmusten. Chris baute uns eine Burg aus Sand, ich machte für ihn kleine Meerjungfrauentänzchen in der Brandung. Und natürlich fummelten wir auch ein bisschen, ganz diskret. Heavy petting.
Und an diesem wunderbaren Tag am Strand entstand das Foto, das danach immer mein absolutes Lieblingsbild von Chris war, dieses Porträt in der Abenddämmerung, das ich später in meiner WG immer riesengroß an der Wand über meinem Bett hängen hatte. Eine Zeitlang war es auch das Hintergrundbild auf meinem Laptop. Was mich daran immer noch fasziniert, ist die ganz besondere Stimmung, die dieses Bild transportiert. Es enthält meine Erinnerung an diesen überwältigend schönen Tag. Den Duft von Sonnencreme auf seiner sonnenheissen Haut. Seine Hand zwischen meinen sandigen Schenkeln. Und wie er mich darauf ansieht! Zum Dahinschmelzen!
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